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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0103
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M 23.

Donnerstag, den 14. December. 1834.

Inhalt: Hermen rc. (Schluß.) — Neue Dramen. V. Meleager, eine Tragödie von Paul Heyse. — Gedichte von I. G. Fischer.

Hermen.

Dichtungen von Paul Heyse.

(Schluß.)

Die nächste Arbeit ist der „Michel Angelo". Der Fuß des
Dichters weilt noch in der Heimath, aber seine Gedanken sind schon
jenseits der Alpen, und die Vorstudien, die er macht, um reif für
jedes feinste Verstandniß die hohe Schule Jtalia zu beziehen, gestal-
ten sich für ihn, wie es sich für einen Dichter schickt, selbst wieder
zum Gedicht. Der in gereimten fünffüßigen Jamben geschriebene
Monolog (diese Form wählte der Verf.) hat als Inhalt die Liebe
Michel Angelo's zur Vittoria Colonna, Gemahlin des Marchese von
Pescara. Am Todestage dieser, als der Maler eben aus dem
öden Tranerhause heimkehrt, erzählt er, in Ermangelung eines anderen
Vertrauten und weil er sprechen muß, seinem getreuen Diener Ur-
bino die Geschichte seines Herzens. Der Kern dieser Geschichte und
der Grundgedanke des Gedichts, um dessen Geltendmachung es dem
Verf. vor allem zu thun war, ist der: daß keine Vorzüge des Geistes
und Herzens den ächten* Künstler über die Häßlichkeit der Erschei-
nung trösten können, und daß er nur lieben kann, was schön ist.
Vittoria Colonna ist häßlich; seine Seele und seine Sinne bestehen
einen schweren Kampf, bis endlich das Auge über den Zug des
Herzens siegt. Es ließe sich über die Allgemeingültigkeit dieses Satzes
streiten, aber die Künstler werden sicher für ihn eintreten und nur
sie sind, dem Stoff dieses Gedichts gegenüber, competent. Es ist
eben Michel Angelo, der spricht, und die Stimmung, die über dem
Ganzen liegt, der stolze, selbstbewußte Ton, die hervorbrechende
starke Empfindung und dann wieder der Schmerz und die Bitterkeit

dessen, der

als er jung war, Einsamkeit begehrte,

und ihrer hat nun ein gehäuftes Maaß,

macht an vielen Stellen die Täuschung vollkommen und läßt uns
wähnen, die Stimme des alten Malerfürsten wirklich zu vernehmen.
Nur eine einzige Wendung, die uns eine Zwiespältigkeit in den Lauf
der Dichtung zu bringen scheint, wünschten wir beseitigt. „Eine
Künstlernatur kann über die Häßlichkeit der Form nicht hinweg," —
das ist das Grundthema des Gedichts. Von dem Augenblick an
aber, wo der Verf. seinen Michel Angelo sagen läßt:

Geselle Zeitliches nicht nah zu Dir,

zieht er einen zweiten, wesentlich verschiedenen Gedanken mit in seine
Dichtung hinein. Worauf er eigentlich aus ist, das lautet: „Geselle
Häßliches nicht nah zu Dir", und während er, profan zu sprechen,
gegen jede Heirath eines Künstlers mit einer häßlichen Frau sich
erheben will, spricht er in jener Zeile aus, daß es für den Künstler
das Beste sei, überhaupt keine zu nehmen. Vielleicht irren wir nicht
in der Annahme, daß der Dichter an diese Arbeit ging, als er, statt
seinen Gedanken völlig zu beherrschen, selbst noch unter der Herrschaft

Literatur-Blatt.

dieses Gedankens war. Die Gestalt des Michel Angelo ist aus
einem Guß, nicht so, wenn man uns das Wort verzeiht, die Ten-
denz des Gedichts.

Die Puppentragödie „Perseus" trägt, auf dem Titelblatt be-
reits, die Angabe: Rom, 1852. Es mag auf den ersten Blick
überraschen, daß „die ewige Stadt" im Herzen unsres Dichters
keine andre Erstlingsfrucht zeitigte, als eine Puppentragödie, vielleicht
aber ist das Faktum viel erklärlicher und natürlicher, als es einer
oberflächlichen Betrachtung erscheint. Wir zweifeln keinen Augenblick
daran, daß der Verf. des „Perseus" bei seinem ersten Gange über
das Forum romanum oder beim ersten Besuche St. Peters und
des Vatikans, in eben so viele Ausrufe der Bewunderung ausge-
brochen ist, als nur je ein deutscher Landsmann, der über die Alpen
zog, aber er ist sich zu gleicher Zeit auch klar darüber gewesen, daß
die Aufzählung und klassisch-breite Motivirung dieser Ach's bereits
zu einer kaum übersehbaren Literatur angeschwollen ist, und hat nur
deshalb, in empsehlenswerther Abgeneigtheit gegen die bloße Wieder-
holung von längst gesagten Dingen, es vorgezogen, sich mit seinem
Staunen privatim abzufinden. Der Verf., wenn wir ihn recht be-
urtheilen, ist vor nichts so sehr ans der Hut, als vor der Triviali-
tät, und selbst sein Talent dürste daran gescheitert sein, der Be-
wunderung beim ersten Anblick des Colosseums neue Worte zu
leihn. — Aber wir gingen weiter und sprachen es bereits aus, daß
diese Puppenkomödie ein viel weniger fremdartiges oder gar gesuchtes
Produkt sein dürste, als es Diesem und Jenem vielleicht erscheint.
Nach unserm Dafürhalten war es durchaus kein burlesker Einfall
oder gar eine souveräne Laune, was diese Arbeit entstehen ließ,
sondern wie eine Perseus-Statue leicht möglicherweise die äußere
Anregung dazu geben konnte, so glauben wir auch zwischen den
Zeilen einer Stimmung begegnet zu sein, der eine poetische Beichte
Bedürsniß war. Sollten wir diesem Stücke einen Platz anweisen,
so würden wir es nicht in die Reihe geistreicher Scherze, sondern
vielmehr allerernstester Bekenntnisse stellen. Perseus liebt die Me-
dusa, aus deren Blut der Pegasus entsteht, — Hinweis genug, als
was der Dichter die Medusa aufgefaßt haben will. Der erste Akt
(der vor der Rache der Minerva spielt) malt uns das schnelle Er-
wachen der Liebe zwischen Perseus und Medusa. Kasperle, der
Träger jener Art gesunden Menschenverstandes, der Unverschämtheit
für Witz nimmt, ist eine glückliche Mischung von Leporello und Car-
los (im Clavigo) und dem, seine Tour machenden Perseus, von der
Minerva als Begleiter mit auf den Weg gegeben. Er unterzieht
sich seiner Ausgabe, den poetischen Ueberschwang des jungen Helden
durch sogenannte praktische Auffassung der Verhältnisse zu dämpfen,
mit anerkennenswerthem Geschick. Dennoch vergebens; die Schön-
heit und Leidenschaft der Medusa ist mächtiger als er, und Perseus
ist in Gefahr eine poetische Parthie zu machen, der Poesie selbst
seine Hand zu reichen. Aber Minerva, in tyrannischer Allweis-

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