Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0005
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
: m l.

Donnerstag,

den 12. Januar.

1884.




Inhalt: Eduard Mörike. —

- Die Sieglinde des Herrn von Redwitz.



Eduard Mörike.

Wir fühlen eS alle Tage, wenn wir mit ehrlichen Augen um
uns sehen, daß wir es in Sachen der Kunst und besonders der
Poesie mit Angeregten zu thun haben. Von allen Zweigen schallt
es so bunt durch einander, daß sein eigen Wort nicht verstehen könnte,
wer eins zu sagen wüßte, und wohl oder übel sich darein findet, in
irgend einer der gangbaren Weisen mitzusingen, um nur überhaupt
nicht schweigen zu müssen. Die einsame Nachtigall, die sich ihres
eigenen Wohllauts freut und nicht lernen kann im Chor zu singen,
wird völlig übertönt.

Aehnliche Zeiten, in denen die Tradition das Eigne, Einzelne
verschlang und die Kunst das Naturgefühl fast erstickte, sind in der
Geschichte der Poesie deutscher und fremder Zunge nicht unerhört.
DaS abschreckendste Beispiel giebt das dreizehnte Jahrhundert in
Frankreich, wo die Schule der Troubadours, von der Hofgunst ge-
tragen, mit ihrem Zwange unzählige Gemüther um ihre Selbstän-
digkeit betrog. Die Sonne der Bildung schien auch damals über
Gut und Bös. Dem geringsten Geist, der so, wie ihn Gott geschaf-
fen, sich unter den Menschen nicht hätte breit machen dürfen, ohne
Aergerniß zu geben, war in der herrschenden Mode, im faltigen
Costüm der Lyrik ein bequemes Mittel gegeben, aufs Stattlichste sich
der guten Gesellschaft vorstellen zu können. Kleider machen Leute.
Daß Kopf und Herz den Mann machen, vergaß man.

Wenn wir etwas vor jener Zeit voraus haben, so ist es viel-
leicht nur die größere Mannigfaltigkeit der Traditionen und Conven-
tionen, der Stil- und Spielarten, der Schulen und Katechismen,
während die späteren Provenzalen und ihre nordfranzösischen Nach-
ahmer sich in engerem Kreise drehten. Im Uebrigen ist die Aehn-
lichkeit erschreckend. Schon hat ein großer Theil der Poeten heut
wie damals, von der Trostlosigkeit der lyrischen Mode betroffen, sich
epischen Formen zugewendet, verhoffend, im Fremden, im Stoff, im
Objectiven sich selbst wiederzufinden, oder doch willens, sich lieber
an das Fremde hinzugeben, als ganz srucht- und freudlos um sich
zu kommen. Und doch ist auch diese Kur nur äußerlich. Auch den
epischen Dichtungen möchte eS begegnen, daß eine spätere Zeit sie
nur im Ganzen beurtheilt, und die Poeten um das bringt, was
ihnen vor allen Menschen am Herzen liegt, um ihr bischen per-
sönliche Unsterblichkeit.

Denn die Persönlichkeit besteht in der Form. Nun aber ist
daS, was als sogenannte Formgewandtheit unsrer Zeit nachgepriesen
wird, geradezu der Tod aller wahren Form. Niemand bestreitet
in der Theorie, daß der Inhalt sich seine Form schaffen, der Geist
sich im Sinnlichen sein Abbild ausprägen müsse. Und doch wird
in der Praxis mit der Form gebahrt, als wäre sie ein Gefäß, in
daS der Dichter sein Herz hineinschütte, wie gekelterten Wein in
vorräthige Fässer, verschiedene Sorten und Jahrgänge auf verschie-
dene Flaschen ziehend, wie es die Grille der Sitte mit sich bringt.

Literatur-Blatt.

Es ist dies kaum zu viel gesagt. Wir erinnern an eine große
Schule, welche die Fertigkeit ausgebildet hat, jede Anecdote, jeden
Zug einer Chronik mühloS in Balladen-Verse zu gießen. Diese
Hantierung, die es auf Füllung abgesehen hat, nimmt es mit
dem Stoff so wenig genau als mit dem Gefäß. Die Krüge
stehn da, der Weinberg, der Sagenschatz unseres Volkes, grünt
und blüht, und man hat nur einiges im Tact mit Füßen zu
treten, um das Gewächs trinkbar zu machen. Wer fragt danach,
ob es ein Feuerwein ist, der Leib und Seele durchglüht? der fade
Heißdurst und die grobe Zunge deS Publicums läßt sich Vieles gefallen.

Nicht anders geschah eS in der Provence. Der Ehrgeiz der
Sänger ging dahin, .möglichst schnell und vollständig ihr eignes
Wesen abzustreifen und sich der allein-seligmachenden Manier in den
Schooß zu flüchten. Was die gemeine Wirklichkeit Jedem an Schick-
salen und Stimmungen zutrug, ward erst litteraturfähig, wenn es
seiner Länge und Breite so viel hatte ab- und zuthun lassen, daß
es in einer hergebrachten Form bequemlich Platz hatte. Die Situa-
tion, die Gelegenheit, die bestimmte Welt deS Individuums, die
anfangs begeistert hatten, wurden gewaltsam zurückgedrängt. Man
sieht nun freilich nicht ein, warum überhaupt gedichtet wurde; denn
an geringen Neuerungen der Convention war weder Fortschritt
noch Freude; und doch soll jede Production eine neue Freude machen.
Das was ewig neu ist, die Person, ward verachtet.

Auf den ersten Blick kann eS seltsam scheinen, daß die Men-
! schen, die sonst im Rufe stehen, ihr Ich mehr als billig zu lieben,
es nicht zu Worte kommen lassen da, wo es sogar ihre heilige
Pflicht und ihr unvergängliches Recht ist. Aber Trägheit stumpft
hier, wie in andern Fällen, den Stachel der Selbstsucht ab. Nicht
zu rechnen, daß es wenige Menschen zu einem Egoismus bringen,
der über dumpfe Genußsucht und brutale Todesfurcht hinausginge.
Zur wahren Selbstliebe, die die eitle Trägheit deS Sich-gelten-laffenS
durchbricht, gehört überhaupt die Kraft zu lieben, die nun einmal
nicht Jedermanns Sache ist, und beiläufig auch ein Selbst, das der
Mühe und des Liebens werth ist.

Es schien nöthig, dies vorauszuschicken, ehe wir von einem
Dichter sprechen, der in großer Einsamkeit im Schwarm dasteht, und
dessen seelenvolle Stimme unter dem Klappern, das zum Handwerke
der Andern gehört, nicht zu der Herrschaft über die Gemüther gelan-
gen konnte, die dem Besten oft erst von spätern Geschlechtern freu-
dig eingeräumt wird. Um so mehr ist es uns Bedürfniß, ein
„Hört! Hört!" zu rufen, weil der Weg, den er gewandelt hat,
auch Andere zum Heil führen kann; denn die Forderung, sich selbst
zur Naivetät zu erziehen, ist nur scheinbar widersinnig. Was unS
am meisten von unS selber scheidet, die Phrase, ist doch nur eine
schlechte Angewöhnung, die wir abstreifen können, sobald wir sie
aufrichtig hassen.

Eduard Mörike gehört mehr als Einer zu den Angeregten.
Die widersprechendsten Elemente neuerer Cultur, die scheinbar feind-

1
 
Annotationen