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Bildung und des Fortschrittes brüstet und ihre schiefen Urtheile, ihre
unwahren Anschauungen mit den edelsten Bestrebungen des Geistes
Ldentificirt. Um so entschiedener müssen wir Produkte zurückweisen,
die nur eine unfteiwillige Karrikatur jener Richtung darstellen. Der
Poet, der wie Gottschall verächtlich auf das lyrische Getändel herab-
blickt und es verschmäht „mit zarten Reisern zu spielen", bedarf
vor allen Dingen einer gründlichen Bildung, zumal eines tiefen
Studiums der Geschichte, ohne welches die innere Flachheit durch
alles wohlfeile Phrasengeklingel, durch allen wüsten Bilderbombast
kläglich durchscheint. Bis jetzt ist dem lyrikverachtenden Gottschall
nur das „Spiel mit zarten Reisern" gelungen, und selbst dieses nicht
einmal in hervorragender Weise: will er aber Größeres, Nachhalti-
geres leisten, so wird er sich erst eine gediegene historisch-phi-
losophische Bildung anschaffen, einen klaren Blick auf die
Gegenwart erwerben müssen. Möglich, daß dann die Geschmack-
losigkeiten, die Uebertreibungen seiner Poesie als Schlacken von ihr
abfallen.
Lieder des Catull,
deutsch von Theodor Heyse in Rom. *)
Ein Gesuch bei Varus' Liebchen.
Seine Liebste zu sehn, dem Varus war ich
Müßiggängerisch nachgefolgt vom Forum:
Ein Lustdirnchen, ich sah's im ersten Anblick,
Auch nicht übel so weit und ungenießbar.
Also waren wir da, und kam die Rede
Denn auf dieses und jenes, unter andern
Aus Bithynien, wie das Land bestellt sei,
Und wie viel es an Gelde mir erübrigt.
Sag' ich, wie es denn war, es habe Niemand,
Vom Prätoren herab zum letzten Diener,
Seinen Säckel gespickt davongetragen,
Sintemalen ein Flegel war der Prätor,
Dem die ganze Eohorte keinen Deut galt.
„Aber", meinten ste, „was ja dort zu Lande
Soll altübliche Sitte sein, du hast doch
Sänftenträger genommen?" — Ich, dem Mägdlein
Mich anständigermaßen darzustellen:
Nun, mir, sag' ich, erging es nicht so trostlos,
Daß ich, weil die Provinz sich mager anließ,
Nicht acht richtige Kerle mir gehalten.
(Zwar nicht Einen besaß ich, hier wie damals,
Der das alte Gerumpel meines Faulbetts
Auf den Nacken sich hätte packen können.)
Da gleich kam sie in ihrer Unverschämtheit:
„Bitte, liebster Catullus, überlaß mir
Doch die Burschen einmal; ich wollte grade
Zum Serapis" — Gemach nur! unterbrach ich;
Was mir eben entfiel, daß mir gehörte,
Da verwechselt' ich was; ein guter Freund ist's,
Der war kränklich und kaufte jene, Cinna.
Zwar, ob sein sie, ob meine, was verschlägt mir's?
Ich gebrauche sie doch wie meine eignen.
Nur dein dummes Betragen find' ich eklig,
Wenn kein lässiges Wörtchen soll erlaubt sein.
An La b u 11 u s.
Speisen sollst du bei mir, und gut, Fabullus,
Nächster Tage, sofern die Götter wollen,
Wenn du selbst ein genügend gutes Essen
Mit dir bringst und ein hübsches Mädchen mitbringst,
Wein nicht minder und Salz und Lust und Lachen.
Bringst du obiges, schöner Freund, so sollst du
Sehr gut speisen; denn dein Catullus Heuer
Hat den Beutel gefüllt mit Spinneweben.
Dafür aber erhältst du wahre Wollust,
Ganz was Einziges, reizend Wunderschönes,
Nämlich Salbe von mir, so meinem Mägdlein
Venus selbst und die Liebesbübchen schenkten.
Diese rieche, Fabull, — die Götter wirst du
Anflehn, daß sie dich ganz zur Nase machen.
*) Die Uebersetzung sämmtlicher Gedichte des Catull, der wir diese Proben
entnehmen durften, wird zu Ostern im Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche
Buchhandlung) erscheinen.
S u t t e n u s.
(Choliamben.)
Suffenus, jener, den du, Varus, wohl kennest,
Ist angenehm, ist unterhaltend, ist witzig,
Und macht daneben ungeheuer viel Verse.
Ich glaub', er hat zehntausend, oder sind's mehr noch,
Geschrieben, nicht, wie Andre thun, auf Flugblätter
Verzeichnet: Prachtpapiere, neue Rollstäbe,
Ein neuer Umschlag, rothe Schnürchen dran, Linien
Mit Blei gezogen, alles glatt von Bimssteine.
Nun aber lies sie, und der art'ge, scherzhafte
Suffenus wird mit einem Mal ein Sackträger,
Ein Ziegenmelker, ganz vertauscht, ein ganz Andrer.
Was das bedeute, fragst du. Erst ein Witzkrämer
Von Profession, der feinste wäre nicht feiner, —
Nun gröber plötzlich als ein grober Landlümmel,
Sobald der Mann ans Dichten kommt, und doch niemals
Zufriedner grad', als wenn er seinen Vers hinschreibt.
So lacht das Herz ihm, an sich selbst hinauf staunt er. —
Freund, so ergeht's uns allen: ist doch nicht Einer,
Der nicht in Etwas dieser Art den Suffenus
Verriethe; jeder trägt den großen Erbfehler,
Nur sehn wir unser Päckchen nicht, es hängt hinten.
An A 1 p h e n u s.
O Alphenus, so leichtsinnig und falsch gegen den Busenfreunds
Rührt, Grausamer, das Herz nimmer der einst süße Genosse dir?
So mir spinnest du Trug, spinnest Verrath ohne Bedenken an?
Thu's! doch Göttern gefällt bösliche That tückischer Menschen nicht;
Daß du wenig gedenk lässest den Freund mitten im Leid allein.
Sprich, wem sollen wir noch glauben, wohin retten die Zuversicht?
Huldvoll locktest dn mich näher heran, locktest Vertrauen ab,
Freundschaft zeigend, als wärst du mir allem gegen die Welt genug.
Und nun trittst du zurück, was du gesagt, was du gethan, zumal
Von dir werfend wie Nichts, Winden ein Spiel, luftiger Wolken Raub.
Wenn dein Herz es vergaß, weiß es ein Gott, weiß es die Treue doch,
Der mit bitterer Reu' deinen Verrath einst dn entgelten wirst.
Akme und Septimius.
Atme, feine Geliebt', im Schooße haltend
Ruft Septimius: Akme, meine Süße,
Wenn vor Liebe zu dir ich nicht vergehn will
Und dich immer und ewig lieben werde
Wie nur je sich ein Mensch zu Tode liebte,
Mag in libyscher Oed', am heißen Indus
Mir einsam der ergrimmte Leu begegnen.
Dies geredet, und Amor von der Linken
Trat zur Rechten und nies'te seiuen Beifall.
Doch leisübergebognen Köpfchens Akme
Ihres wonnigen Knaben trunkne Aeuglein
Herzlich küssend mit jenes Mundes Purpur:
Holder, sagte sie, so, mein Leben, laß uns
Diesem König allein beständig dienen,
Wie mit schärferem, ach! mit heißerm Brennen
Liebe mir in Gebein und Adern schauert!
Dies geredet, und Amor von der Linken
Trat zur Rechten und nies'te seinen Beifall.
So vom günstigen GLtterwink bekräftigt
Tauschen liebend geliebt sie Herz um Herz nun.
Er, Septimius, gäbe seine Akme
Nicht um Syrien hin und um Britannien;
Ihr Septimius ist der treuen Akme
Aller Wonnen und Wünsche Ziel und Abgott.
Wer hat reichere Menschen je gesehen?
Wer ein liebendes Paar so schön begnadet?
Geltung.
Von Holtey wird in diesen Tagen ein neuer Roman unter dem Titel
„ Ein Schneider" bei Trewendt und Gramer in Breslau erscheinen. Dieselbe
Verlagshandlnng bereitet eine illustrirte Ausgabe der „Lieder eines Erwachen-
den" von Moritz Graf Strachwitz vor. —
Von dem Verfasser der „Sommerreise" haben wir nächstens einen Roman
„Afra Veit" zu erwarten. —
Griepenkerl's Drama „Ideal und Welt" ist an der Königl. Hofbühne zu
Berlin zur Aufführung angenommen. Gottschall hat ein neues Lustspiel „Pitt
und Fox" vollendet. —
Paul Heyse hat vom König von Bayern eine Berufung nach München
erhalten. Titus Ulrich hat eben eine Studienreise nach Italien angetreten.
Verlag von Heinrich Schindler in Berlin. — Druck von Lrowitzsch und Sohn in Berlin.
Bildung und des Fortschrittes brüstet und ihre schiefen Urtheile, ihre
unwahren Anschauungen mit den edelsten Bestrebungen des Geistes
Ldentificirt. Um so entschiedener müssen wir Produkte zurückweisen,
die nur eine unfteiwillige Karrikatur jener Richtung darstellen. Der
Poet, der wie Gottschall verächtlich auf das lyrische Getändel herab-
blickt und es verschmäht „mit zarten Reisern zu spielen", bedarf
vor allen Dingen einer gründlichen Bildung, zumal eines tiefen
Studiums der Geschichte, ohne welches die innere Flachheit durch
alles wohlfeile Phrasengeklingel, durch allen wüsten Bilderbombast
kläglich durchscheint. Bis jetzt ist dem lyrikverachtenden Gottschall
nur das „Spiel mit zarten Reisern" gelungen, und selbst dieses nicht
einmal in hervorragender Weise: will er aber Größeres, Nachhalti-
geres leisten, so wird er sich erst eine gediegene historisch-phi-
losophische Bildung anschaffen, einen klaren Blick auf die
Gegenwart erwerben müssen. Möglich, daß dann die Geschmack-
losigkeiten, die Uebertreibungen seiner Poesie als Schlacken von ihr
abfallen.
Lieder des Catull,
deutsch von Theodor Heyse in Rom. *)
Ein Gesuch bei Varus' Liebchen.
Seine Liebste zu sehn, dem Varus war ich
Müßiggängerisch nachgefolgt vom Forum:
Ein Lustdirnchen, ich sah's im ersten Anblick,
Auch nicht übel so weit und ungenießbar.
Also waren wir da, und kam die Rede
Denn auf dieses und jenes, unter andern
Aus Bithynien, wie das Land bestellt sei,
Und wie viel es an Gelde mir erübrigt.
Sag' ich, wie es denn war, es habe Niemand,
Vom Prätoren herab zum letzten Diener,
Seinen Säckel gespickt davongetragen,
Sintemalen ein Flegel war der Prätor,
Dem die ganze Eohorte keinen Deut galt.
„Aber", meinten ste, „was ja dort zu Lande
Soll altübliche Sitte sein, du hast doch
Sänftenträger genommen?" — Ich, dem Mägdlein
Mich anständigermaßen darzustellen:
Nun, mir, sag' ich, erging es nicht so trostlos,
Daß ich, weil die Provinz sich mager anließ,
Nicht acht richtige Kerle mir gehalten.
(Zwar nicht Einen besaß ich, hier wie damals,
Der das alte Gerumpel meines Faulbetts
Auf den Nacken sich hätte packen können.)
Da gleich kam sie in ihrer Unverschämtheit:
„Bitte, liebster Catullus, überlaß mir
Doch die Burschen einmal; ich wollte grade
Zum Serapis" — Gemach nur! unterbrach ich;
Was mir eben entfiel, daß mir gehörte,
Da verwechselt' ich was; ein guter Freund ist's,
Der war kränklich und kaufte jene, Cinna.
Zwar, ob sein sie, ob meine, was verschlägt mir's?
Ich gebrauche sie doch wie meine eignen.
Nur dein dummes Betragen find' ich eklig,
Wenn kein lässiges Wörtchen soll erlaubt sein.
An La b u 11 u s.
Speisen sollst du bei mir, und gut, Fabullus,
Nächster Tage, sofern die Götter wollen,
Wenn du selbst ein genügend gutes Essen
Mit dir bringst und ein hübsches Mädchen mitbringst,
Wein nicht minder und Salz und Lust und Lachen.
Bringst du obiges, schöner Freund, so sollst du
Sehr gut speisen; denn dein Catullus Heuer
Hat den Beutel gefüllt mit Spinneweben.
Dafür aber erhältst du wahre Wollust,
Ganz was Einziges, reizend Wunderschönes,
Nämlich Salbe von mir, so meinem Mägdlein
Venus selbst und die Liebesbübchen schenkten.
Diese rieche, Fabull, — die Götter wirst du
Anflehn, daß sie dich ganz zur Nase machen.
*) Die Uebersetzung sämmtlicher Gedichte des Catull, der wir diese Proben
entnehmen durften, wird zu Ostern im Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche
Buchhandlung) erscheinen.
S u t t e n u s.
(Choliamben.)
Suffenus, jener, den du, Varus, wohl kennest,
Ist angenehm, ist unterhaltend, ist witzig,
Und macht daneben ungeheuer viel Verse.
Ich glaub', er hat zehntausend, oder sind's mehr noch,
Geschrieben, nicht, wie Andre thun, auf Flugblätter
Verzeichnet: Prachtpapiere, neue Rollstäbe,
Ein neuer Umschlag, rothe Schnürchen dran, Linien
Mit Blei gezogen, alles glatt von Bimssteine.
Nun aber lies sie, und der art'ge, scherzhafte
Suffenus wird mit einem Mal ein Sackträger,
Ein Ziegenmelker, ganz vertauscht, ein ganz Andrer.
Was das bedeute, fragst du. Erst ein Witzkrämer
Von Profession, der feinste wäre nicht feiner, —
Nun gröber plötzlich als ein grober Landlümmel,
Sobald der Mann ans Dichten kommt, und doch niemals
Zufriedner grad', als wenn er seinen Vers hinschreibt.
So lacht das Herz ihm, an sich selbst hinauf staunt er. —
Freund, so ergeht's uns allen: ist doch nicht Einer,
Der nicht in Etwas dieser Art den Suffenus
Verriethe; jeder trägt den großen Erbfehler,
Nur sehn wir unser Päckchen nicht, es hängt hinten.
An A 1 p h e n u s.
O Alphenus, so leichtsinnig und falsch gegen den Busenfreunds
Rührt, Grausamer, das Herz nimmer der einst süße Genosse dir?
So mir spinnest du Trug, spinnest Verrath ohne Bedenken an?
Thu's! doch Göttern gefällt bösliche That tückischer Menschen nicht;
Daß du wenig gedenk lässest den Freund mitten im Leid allein.
Sprich, wem sollen wir noch glauben, wohin retten die Zuversicht?
Huldvoll locktest dn mich näher heran, locktest Vertrauen ab,
Freundschaft zeigend, als wärst du mir allem gegen die Welt genug.
Und nun trittst du zurück, was du gesagt, was du gethan, zumal
Von dir werfend wie Nichts, Winden ein Spiel, luftiger Wolken Raub.
Wenn dein Herz es vergaß, weiß es ein Gott, weiß es die Treue doch,
Der mit bitterer Reu' deinen Verrath einst dn entgelten wirst.
Akme und Septimius.
Atme, feine Geliebt', im Schooße haltend
Ruft Septimius: Akme, meine Süße,
Wenn vor Liebe zu dir ich nicht vergehn will
Und dich immer und ewig lieben werde
Wie nur je sich ein Mensch zu Tode liebte,
Mag in libyscher Oed', am heißen Indus
Mir einsam der ergrimmte Leu begegnen.
Dies geredet, und Amor von der Linken
Trat zur Rechten und nies'te seiuen Beifall.
Doch leisübergebognen Köpfchens Akme
Ihres wonnigen Knaben trunkne Aeuglein
Herzlich küssend mit jenes Mundes Purpur:
Holder, sagte sie, so, mein Leben, laß uns
Diesem König allein beständig dienen,
Wie mit schärferem, ach! mit heißerm Brennen
Liebe mir in Gebein und Adern schauert!
Dies geredet, und Amor von der Linken
Trat zur Rechten und nies'te seinen Beifall.
So vom günstigen GLtterwink bekräftigt
Tauschen liebend geliebt sie Herz um Herz nun.
Er, Septimius, gäbe seine Akme
Nicht um Syrien hin und um Britannien;
Ihr Septimius ist der treuen Akme
Aller Wonnen und Wünsche Ziel und Abgott.
Wer hat reichere Menschen je gesehen?
Wer ein liebendes Paar so schön begnadet?
Geltung.
Von Holtey wird in diesen Tagen ein neuer Roman unter dem Titel
„ Ein Schneider" bei Trewendt und Gramer in Breslau erscheinen. Dieselbe
Verlagshandlnng bereitet eine illustrirte Ausgabe der „Lieder eines Erwachen-
den" von Moritz Graf Strachwitz vor. —
Von dem Verfasser der „Sommerreise" haben wir nächstens einen Roman
„Afra Veit" zu erwarten. —
Griepenkerl's Drama „Ideal und Welt" ist an der Königl. Hofbühne zu
Berlin zur Aufführung angenommen. Gottschall hat ein neues Lustspiel „Pitt
und Fox" vollendet. —
Paul Heyse hat vom König von Bayern eine Berufung nach München
erhalten. Titus Ulrich hat eben eine Studienreise nach Italien angetreten.
Verlag von Heinrich Schindler in Berlin. — Druck von Lrowitzsch und Sohn in Berlin.