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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0040
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stürzen müßten, wenn wir nicht noch bei Zeiten unsere Wege trenn-
ten. Nehmen wir uns daher zusammen und erhalten wir unsere
Erinnerungen rein und unbefleckt." Seine Frau aber gesteht ihm
all ihre Fehler und Verirrungen, so daß er sie in seiner Rührung
über ihre Demnthigung vor ihm, sogar wegen des Kampfes, den
sie bestanden, als ein Heldenherz bewundert, und, als sie ihm an-
kündigt, daß sie sich Mutter suhle, sie mit Entzücken an sich preßt
und ihr die süßesten Namen giebt (II. 297). Der Maler jedoch
kann sich noch nicht zur Resignation entschließen. Durch ein fal-
sches Billet, das ihm eine Jntriguantin schreibt, läßt er die Ge-
liebte nach einem Gasthof vor der Stadt verlocken, wo er ihr, unter
Beifügung von Papieren und einem Siegelring, leidenschaftlich er-
öffnet, daß er eigentlich kein gewöhnlicher Maler, sondern der Freiherr
Otto Bertram von Schüssen sei, an dessen Seite sie ein ganz an-
deres Leben führen werde, als in dem beschränkten Dasein eines
spießbürgerlichen Professors, der ihre Herrlichkeit zu Magddiensten
erniedrige. Dies ist der dritte und tiefste Keim zu Elisabeths See-
lenverdüsterung.

Hier würde nun ein anderer Autor das unselige Weib vielleicht
schon haben sterben lassen, den Malerbaron und Philosophen irgend-
wie obenein, allein für unfern Autor fängt nun erst recht diejenige
Geschichte an, um die es ihm besonders zu thun ist, die Geschichte
der Leiden der jungen Frau, der Kämpfe des Philosophen, des
göttlichen Strafgerichts. Bei jener Erklärung des Barons schwankt
Elisabeth einen kurzen Moment, verneint seinen Antrag, fällt aber
plötzlich in einen Starrkrampf, der sie einer Leiche ähnlich macht.
In diesem Augenblick stürzen Verwandte des Barons und ein Haus-
freund Roberts, Eberhard, ä propos in's Zimmer, zwingen den
Freiherrn zur Abreise und bringen die wiedererwachte Elisabeth zu
einer Jugendfreundin, Leonore, die an einen Landpsarrer verheirathet
ist, wo sie sich wieder erholt. Ihr Mann wird unterdessen, da er-
ber Antritt einer Professur in einer Rede den Pietisten zugeschworen,
daß sie seine glühende Liebe zur Wissenschaft als offenen Haß gegen
ihre Bestrebungen erfahren sollten, durch die Intriguen seiner Fein-
din Madelaine vorzüglich, seiner Stelle entsetzt und muß sich mit
einem Lehramt am Gymnasium in der kleinen Stadt Lederburg be-
helfen. Elisabeth ist diese Wendung der Dinge insofern angenehm,
als sie dadurch den für sie peinlich gewordenen Beziehungen der
Universitätsstadt entrückt wird.

In Lederburg verengt sich das Leben der Gatten. Sie müssen
sich mit untergeordneten Menschen näher berühren. Die kirchliche
und politische Unruhe, welche dem Jahr 1848 voranging, dringt
an sie heran. Robert benimmt sich mit Vorsicht und Zurückhaltung,
da er die gewaltsame Revolution mißbilligt und nur den Weg der
Reform für praktisch hält. Die Frau fängt an, die Kirchen viel zu
besuchen, woran der Mann sie nicht hindert, aber Missionsstunden
zu frequentiren, verbietet er ihr, weil durch ein solches Betragen
ein zu greller Widerspruch mit seiner Philosophie erzeugt werde. Sie
thut es nun hinter seinem Rücken, was ihn höchlich empört. In-
zwischen genest sie eines schönen Knaben, den beide unendlich lieben,
und an welchen zugleich der innerste Widerspruch ihres Wesens sich
insofern anknüpft, als sie das Kind im Glauben an einen persön-
lichen Gott erziehen möchte, während er sich aus der alten Bibel
die Ueberzeugung herausgelesen, daß (III. 219) ein Gott, wenn es
einen gäbe, launisch, grausam, böse sein müßte, daß der Glaube an
ihn nothwendig zu Verbrechen und Schlächtereien führen müßte und
sein Kind daher nicht in diesem verunsittlichenden Glauben großge-
zogen werden solle. Je älter aber der Knabe wurde, um so deut-
licher erinnerte er an das Gesicht und die Augen des Malerbarons,
ein Umstand, der von der Feindin des Philosophen, jener schon er-
wähnten intriguanten Dame benutzt wird, durch anonyme Briefe

und durch gewisse Gemälde des Freiherrn, welche sie durch Dieb-
stahl an sich gebracht, die Hölle der Eifersucht in Roberts und der
Reue in Elisabeths Busen zu schüren. Robert war in die Ehe mit
dem Vorsatz getreten, alle Eifersüchtelei von sich zu entfernen. Nie
hatte er sein Weib der Untreue fähig gehalten und still hatte er bei
ihr ausgeharrt. Seine Stellung am Gymnasium hatte er Chicanen
halber freiwillig aufgegeben und sich für den Erwerb auf Schrift-
stellerei beschränkt, der er sich mit allem Fleiße widmete. In solchen
Angelegenheiten verreist er einmal, findet zufällig auf der Reise Ge-
legenheit, sich von Elisabeths Unschuld gründlich zu unterrichten und
kehrt nun ungeduldig mit der innigsten Liebe zu Mutter und Kind
zurück. Aber er findet den Knaben tobt! Die Mutter, die ihn
aus ängstlicher Sorgfalt zu sich in's Bett genommen, hat ihn im
Schlaf erdrückt und wird nun, als sie erwacht und das Geschehene
erkennt, wahnsinnig. Drei Monat rast sie. Edel und liebevoll trägt
er unsägliches Leid und es wird ihm (III. 322) ausdrücklich zuge-
standen, daß er die Schuld vornämlich in sich gesucht und gefunden
und seine schwere Buße mit ergebenem Sinn auf sich genommen
habe.

Eine gewaltsame Krisis giebt sie nun zwar der Besinnung wie-
der zurück, allein mit einer völligen Stumpfheit, in welcher sie nur
noch für die Führung der Wirthschaftsangelegenheiten ein Interesse
behält und sich! an die Gegenwart ihres Mannes krampfhaft an-
klammert. Sie liebt ihn nicht mehr, aber sein Dasein beruhigt sie.
Die Religion selbst ist für sie machtlos geworden. Robert in sei-
nem verzweifelnden Mitleid versucht es, ihren Glauben wieder an-
zufachen, jedoch umsonst. Da er in seiner Niedergeschlagenheit all-
mälig auch in ttostlose Apathie zu versinken drohet, so dringen seine
Freunde in ihn, seine noch zukunstvolle Kraft nicht ganz in diesem
häuslichen Jammer zu verzehren und sein Leben für die Wissen-
schaft zu retten. Verwandte des Philosophen wollen ihm Hülfe
angedeihen lassen und schicken ihm zur Erheiterung ein junges
Mädchen, Sannchen, das sie früher gern mit ihm verheirathet hät-
ten. Dies frische, zierliche, leichtfertige, übermüthige, plauderlustige
Sannchen reizt im Philosophen nach und nach die Lust zum Leben
wieder an, geht aber auch geradeswegs darauf los, denselben für
sich zu gewinnen. Da sie ihn, dem düsten: Starrsinn der Frau
gegenüber, angenehm unterhält, so bildet er sich endlich ein, sie zu
lieben, beschließt, seine Frau einer Heilanstalt zu übergeben und den
Ruf nach einer Schweizeruniversität anzunehmen. Sannchen reist
ab. Bevor er selber abreisen kann, geräth seine Frau durch roman-
hafte Zusammenhänge, die wir als zu weitläufig und gewöhnlich
bei Seite lassen wollen, in den Besitz einer vergifteten Pastete und
vergifteten Flasche Wein und verfällt auf ein merkwürdiges Expe-
riment. Sie will nämlich erproben, ob ihr Mann auch die Gabe
des Vorauswissens habe. Sie läßt ihm daher auf sein Zimmer
neben der Pastete und der vergifteten Flasche Wein noch anderes
Essen und andern Wein hinstellen. Wähle er nun jene Speise, so
werde er gestraft durch seinen Unglauben, wo nicht, so werde sein
Götterbewußtsein ihn behüten (III. 527). Der Mann kommt spät
Abends von Geschäften ermüdet nach Haus. Sie hört ihn kom-
men, wartet ein Weilchen, stürzt dann auf sein Zimmer, sieht, daß
er der Pastete und Giftflasche wacker zugesprochen, kreischt: Mord!
Gift! und flieht in Nacht und Nebel zum Hans hinaus.

Der Mann erhält zwar noch ein Reagens, bekommt heftige
Krämpfe und Erbrechen, verfällt aber in ein schleichendes Fieber
mit fürchterlichen Phantasieen, bis ihn seine gesunde, kräftige Con-
stitution errettet. Elisabeth aber geräth zu einem Manne in einer
Vorstadt, dem sie einmal Gutes gethan, in der Nähe einer Kirche.
Ihr alter Hausfreund Eberhard, und, ganz wunderbar, der Freiherr-
Otto von Schüssen, der nämlich nur die schöne Gothische Architek-
 
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