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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0070
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- 64

Für jedes geistige Werk kann man die höchste Aufgabe und den
Preis durch das Sprichwort bezeichnen: den Nagel auf den Kopf
zu treffen; dies gilt aber besonders für die Satyre. Und diese
Aufgabe hat der Vers. des Lustspiels gelöst, indem sie nur dahin
gerichtet war, die Fehler und Mängel der Redwitzschen Tragödie
aufzudecken, dramatisch zu veranschaulichen. Damit aber können wir
uns nicht einverstanden erklären, daß der Vers, sich für den Um-
fang seiner Aufgabe so enge Grenzen gesteckt hat. Sein Talent
hätte viel weiter gereicht. Wir meinen, er hätte nicht blos dies
Werk, sondern die ganze Geistes- und Zeitrichtung, woraus es ent-
sprungen ist, zum Gegenstand seiner Satyre machen sollen. Zwar
nicht den Genuß seiner komischen Muse wollen wir uns dadurch
schmälern, daß wir glauben, „der Schelm sei die Prügel nicht
werth;" ist ja doch ihm und seinen Werken so viel grundlose An-
erkennung geworden, daß auch eine gründliche Blamage am Platze
ist. Wir wissen auch, daß mit dem einzelnen Werke zugleich die
Richtung gerichtet ist, aus der es stammt. Dennoch und dennoch
hätten wir gewünscht, daß die Pfefferkörner auch über die engen
Grenzen der Siglinde hinausgestreut worden wären; und war dies
mit dem Hauptplane einer schrittweisen Nachfolge nicht wohl zu ver-
binden, war selbst die Parabase, dieser hergebrachte Herold des
Komöden, aus demselben Grunde nicht anzubringen, dann durste
wohl der Plan hie und da verlassen werden, um den Blick auf das
Allgemeine zu wenden. Vielleicht holt es der Verfasser nach und
beschreitet die Bahn des Komöden mit freierem Tritt in weiteren
Kreisen; möge sich der satyrische Waidmann auf einen höheren An-
stand stellen, daß ihm mehr und besseres Wild in den Wurf kommt;
sein Geschoß ist gut und sein Auge scharf! auch an allerlei Wild
fehlt es ja nicht, der Hasen und Füchse sind viele, -— Säue nicht
selten, — selbst Urochsen und Büffel und Bären zeigen sich wieder
in den Landen der Civilisation und Kultur.

Han gestatte uns noch eine kleine

Nach schritt über die SiegLinde von Nebwih.

Es könnte geltend gemacht werden, daß diese nicht vom allge-
meinen Standpunkt der Ethik und Aesthetik, sondern von dem ganz
specifischen des Christenthums beurtheilt werden müßte. Zugegeben.
Dann werden wir anerkennen, daß die Bösewichter in der Tragödie
nicht bestraft, sondern bekehrt werden, nicht Buße leiden, sondern
Buße üben müssen, um ein sittliches Gleichgewicht wieder hergestellt
zu sehen. Die Schuld fordert nicht den Tod zur Sühne, sondern
findet Gnade nach der Einkehr zum Guten. Wir werden also an-
erkennest, daß mit Recht der Schenk und die Scheukin, auch der
Wildgraf statt der Rache Frieden finden. — Aber warum leiden
und sterben die Guten? warum die Frau des Wildgrafen und be-
sonders Sieglinde? — Fordert schon nach dem Christenthum die
Schuld nicht den Tod, so fordert doch der Tod eine Schuld! Aber
nein! es giebt auch einen Opfertod, wie den des christlichen Hei-
lands. Auf die Aehnlichkeit mit diesem wird zum Ueberdruß oft

wo der Witz des Verfassers grade fruchtbar und aufgelegt ist. Es sollten aber
die deutlichen Unterschiede des subjecstv und objecstv Komischen, des bewußt
oder unbewußt Lächerlichen, des absichtlichen oder unwillkürlichen Scherzes wohl
beachtet werden, wie dies beim Shakespeare in so genauer und belehrender Weise
fast immer geschieht. Falstaff charakterisirt sich selbst als einen, über den man
viel gelacht und der Viele über Andere lachen gemacht hat; Heinrich ist stets
lachenerregend, aber nie lächerlich; die Kärrner und der Kellner sind objecstv
komisch; was an ihnen Ernst und Natur ist, scheint uns komisch und seltsam.
Besonders aber „verlorne Liebesmühe" ist eine wahre hohe Schule des Komi-
schen. Hier sind säst alle Figuren komisch, Aller Thun und Reden erregt Lachen,
aber jeder aus eine andere und immer in derselben Weise.

hiugewieseu. Das aber ist ein Spiel mit dem Heiligen, ein eben
so freches als ungeschicktes. Weder in den Ursachen noch in dem
Zwecke hat der Tod der Sieglinde irgend Aehnlichkeit mit dem Tode
Jesu. Hier ist nicht ein selbstmörderischer Eigensinn, der mit Absicht
den Weg voll Angst und Beschwerden sucht und durch selbstver-
schuldete Ermattung erliegt; sondern es ist- wenn wir selbst von
dem Streite der Principien, dem Kampfe einer alten gegen eine
neue Zeit absehen, und dem einfachen Wortlaut der Evangelien fol-
gen, der Fall durch Verrath unter römischen Henkersknechten. Wäre
Sieglinde durch Veit oder den Wildgrafen ermordet, dann wäre
hier eine Aehnlichkeit. Ferner in Bezug auf den Zweck, soll dort
eine Sühne nicht für eigene Schuld, sondern für das sündige Men-
schengeschlecht stattfinden; dafür opfert sich Jesus von Nazareth.
Sieglinde aber bedurfte dieses Opfers nicht. Der Wildgraf ist
durch die Erinnrung an seine Mutter und eigene Gewissensbisse zur
Rene zurückgekehrt. Der Schenk und seine Frau werden ebenfalls
innerlich überwältigt und bekehrt, aber nicht durch den Tod ihrer
Tochter, sondern vor demselben, durch ihre Liebesthat, durch den Gang
zur Kaiserin und den. erwirkten Freibrief. Wozu und weshalb also
muß Sieglinde dennoch sterben? Hätte es ihres Opfers bedurft, um
die Eltern zu befreien', wäre sie, nach ihrer Absicht, statt jener
gefallen, denn war der Tod eines reinen Engels für jene
lasterhaften Scheusale zwar nimmer ästhetisch schön, aber christ-
lich erhaben und gerechtfertigt; sie wäre ein reines Opfer. Des-
sen aber bedurfte es nicht, und es konnte jetzt nicht mehr ihre
Absicht sein; eS ist nur der Dichter, der sie opfert. Oder ist ihr
Tod im Sinne des Dichters wirklich nöthig, um die Schuld, die
bereute und bekannte, schon von Menschenherzen (der Kaiserin), um
wie viel mehr vor Gott begnadete Sünde vollends zu sühnen?
Wahrlich, dieser Sinn ist nichts weniger als christlich, oder irgend
religiös, und nicht minder als alle ästhetische Kunstregel streitet jede
religiöse Satzung gegen solchen Sinn.

Möge hierin ein Beispiel erkannt werden, aller Falschheit und
Verkehrtheit, worein die Tendenzpoesie so leicht verfällt. — Daß ich
endlich den Junker Veit nicht vergesse. Es ärgert uns, daß dieser
niederträchtige und grundgemeine Schmarotzer, der selbst nicht ein-
mal Banditentreue hegt, in der Tragödie zwar nicht bekehrt, sonst
aber ganz wohlbehalten -sortkommt mit der ganzen fahrenden Habe
des Schenken und der Schenkin, um die er sie für die Befreiung
aus dem Wildschloß geschätzt, sammt der schönen Summe, womit
ihn Held Arthur bestochen. Seine letzten Worte, womit er den
Wildgrafen in der Tragödie verläßt, sind voll der alten gottlosen
Ausgelassenheit; da der srommgewordene Wild graf sagt, den Dolch
herausreißend:

Geh', gift'ger Hund! Ich werf' dm Dolch nach dir!

erwidert er zum Abschied:

So bläst der Wind? — Nun wart', dir soll's gedenken!

'S giebt im Verließ noch einen Schatz zu heben;

Den hol' ich mir, und lasse frei den Schenken,

Und aus dem Staub! — Ha; lustig Wanderleben! *)

Dafür hätte der Kerl in dem Lustspiel, wenn es uns ganz er-
freuen wollte, zum wenigsten gehenkt werden müssen, oder nach einer
Wallfahrt — kanonisirt.

f). Im Lustspiel ist er wenigstens nicht so brüsk. Rüdiger holt mit dem
Dolch aus, als wollt' er nach ihm werfen, und sagt: „Hebe dich weg, Satan!
oder —Darauf Veit: „So weich gestimmt Hab' ich ihn nie gesehen! (ein
guter Hieb auf die dolchgezückte Frömmigkeit des Wildgrafen!) Ich glaube, er
will fromm werden. Dann will ich ihm wenigstens noch ein gutes Werk vor-
der Nase wegnehmen, und die Andern auch laufen lassen! Meines Bleibens ist
hier ohnehin nicht länger. Und Geld Hab' ich. Also — Gott befohlen!"

Verlag von Heinrich Schindler in Berlin. — Druck von Trowihsch lind Sohn in Berlin.
 
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