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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0078
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ihr in gleicher Weise. — Die Bande der Familie werden sogar
höher gestellt, denn die Bande der Liebe, als fester und edler be-
trachtet und heiliger geschätzt.

Ich armes Mädchen Die grünen Blätter.

Hab' keinen Vater. Die Blätter fallen,

Im grünen Garten Es sprossen neue;

Da steht ein Eichbaum, Doch färbt der Vater,

Er treibt so Prächtig So kommt kein anderer.

Zn ganz gleicher Form folgt dann die Mutter, mit der Linde,
der Bruder, mit der Päonie, daun die Schwester, mit der Rose ver-
glichen, diese sprossen neu, jene kommen nicht wieder, und daun heißt es:

Ich armes Mädchen Die grünen Blätter.

Hab' keinen Liebsten. Die Blätter fallen,

Im grünen Garten Es sprossen neue;

Da grünt die Raute, Und stirbt mein Liebster,

Sie treibt so prächtig So kommt ein anderer.

Tiefer und poetisch erhaben kehrt derselbe Gedanke in folgenden
Versen wieder. Nachdem die Schwester geschildert, wie sie mit dem
Bruder ausgeritten, und er auf der Brücke vom scheuen Pferde ins
Wasser gestürzt:

Mein lieber Bruder
Liegt auf dem Hügel
Tief unter grünem Rasen.

Ich selber traurig,.

Betrübt mein N'ößlein,

Was soll ich nun beginnen?

Drei Schwäne kamen
Herbeigeflogen

Wohl aus des Königs Garten.

Es setzten nieder
. Sich die drei Schwäne
Auf meines Bruders Grabe.

Ein Schwan 51t Füßen,

Ein Schwan zu Haupte,

Ein Schwan an seinem Herzen.

Die Braut zu Füßen,

Zu Haupt die Schwester,

Die Mutter an dem Herzen.

Die Braut, die folgte
Ihm über's Blachfeld,

Die Schwester bis zur Kirche;

. Die Mutter aber,

Die ihn erzogen,

Bis in die Heimatherde.

Die Braut, die klagte
Um ihn drei Wochen,

Das Schwesterchen drei Jahre;

Die Mutter aber,

Die hochverehrte,

So lang ihr Haupt am Leben.

Freilich wird andererseits auch die Macht der Liebe und ihre
Treue zuweilen mit glühenden Farben geschildert, es bricht das Herz,
wo seinen innersten Zügen von anßen Fesseln angelegt werden.

Aus schöpft Ihr eher
Des Meeres Wasser,

Eh' Ihr ergründet
Die Weise unserer Liebe.

Nicht eher scheid' ich
Von meinem Knaben,

Bis ich mich lege
In meinen Sarg, den schwarzen.

Zwar die Verwandten
Sind's nicht zufrieden,
Sie wollen trennen
Die treuen Liebesbande.

O, eher zählt Ihr
Des Waldes Blätter,
Als daß Ihr trennet
Die treuen Liebesbande.

Sonst sind die Liebeslieder höchst einfach, Anträge nnd Ver-
sicherungen in gewöhnlicher Form, gehaltene und gebrochene Treue.
Häustg wird der Tod des Mädchens oder des. Knaben beweint, nicht
selten anch, daß er entartet, ein Säufer geworden, daß sie ihren
jungfräulichen Rautenkranz verloren.

Eins der schönsten poetischen Motive, welches in den mannig-
fachsten Wendungen wiederkehrt und den Liedern einen tief elegischen
Hauch anweht, ist der Glaube, daß die Seelen der Abgeschiedenen
sich in Bäumen, Rauten- und Rosensträuchen anfhalten, dort das
Leben und die Liebe früherer Tage fortsetzen. Merkwürdig ist, daß
von einer Wanderung der Seelen in den Thierleib nirgends die
Rede ist.

Wir haben jetzt noch Einiges über die Form der Dichtungen
hinzuzufügen; zuvor mögen nur noch einige Strophen von didakti-

schem Anklange, welcher im Ganzen selten darin wiederkehrt, hier

ausgenommen werden.

Der Wolf, das Wölfcheu,

Das Thier des Waldes,

Tritt aus dem Walde
Hin auf die Weide,

Zerreißt das Kälbchen
Und auch das Füllen.

'S ist seine Arbeit.

Dan kommt der Fuchs, das Füchschen, dann der Hund, auch
„der Floh, das Flöhchen, das leckere Thierchen"; Aller Thun wird
geschildert mit dem Refrain „'S ist seine Arbeit. Sodann folgt:

Die Bien', das Bienchen, - O Mensch, 0 Menschchen

Des Waldes Thierchen, Sieh' auf die Biene;

Summt in der Heide, Genug ja stichst Du

Sticht in den Finger, Jn's Herz, in's Herzchen;

Jn's Ohr, in's Antlitz, Gieb süßes Labsal

Und giebt uns Honig. Auch Deinem Bruder.

'S ist seine Arbeit. 'S ist Menschenarbeit.

Die obwaltende Form der Lieder kann selbst aus den wenigen
angeführten Beispielen schon erkannt werden. Sie sind immer er-
zählend; soll ein Gedanke, eine Empfindung ansgedrückt werden,
so geschieht es alle Mal in der Schilderung einer Situation, an
welche sie sich knüpfen. Das Plastische dieser Situation ist meist
eben so glücklich gewählt, so deutlich und lebendig, als die Empfin-
dungen selbst ächte Natnrlante von ursprünglicher Gesühlstiefe ent-
halten. Die Form selbst ist meist höchst einfach und anspruchslos,
gar keine oder sehr nahe liegende Bilder, schlichte herzliche Worte
sind Mittel des Ausdrucks. Außer dem Rhythmus ist besonders der
Refrain und noch viel mehr, eine häufige Wiederholung sowohl des-
selben Wortes, als anch der ganzen Gestalt der Strophe das Eigen-
thümliche, aber auch in allen auf fast gleiche Weise Wiederkehrende
in den Liedern. Die Wiederholung soll offenbar zu einer Verstär-
kung des Gefühlsausdruckes dienen, wie dies selbst grammatisch bei
solchen Sprachen der Fall ist, die sich noch in dem Stadium ur-
sprünglicher Entwickelung befinden, wie z. B. die semitischen.

Zugleich deutet diese und jede Art der Wiederholung in der
Form darauf hin, daß es eben nicht Gedichte sind, die gesprochen,
sondern Lieder, die gesungen werden sollen. Die ganze Form in
ihrer Einfachheit, man könnte sagen Monotonie, ist auf musikalische
Begleitung, um nicht zu sagen berechnet, offenbar begründet. Es
ist schließlich noch hervorzuheben, daß fast immer zwei Gedanken, die
für unser Gefühl oft nur sehr lose zusammenhäugen, in einem Liede
verbunden werden. Es ist, als ob der Dichter sich an dem einen
Hauptgedanken nicht habe genügen lassen können, und eben deshalb
irgend ein Moment desselben am Anfang oder Ende weiter hinaus-
gebildet hätte. Von dieser Art ist in dem obigen Liede „Warum
Schwester u. s. w." der Schluß vom Erblühen der Lilie; und die
ganze Geschichte des Anfangs, welche in dem Liede vorangeht, das
oben mit den Worten beginnt „Mein lieber Bruder".

Ein auffallendes Beispiel für diese seltsame Eigenthümlichkeit
des Manischen Liedes ist der folgende kleine drollige Beitrag zur
littauischen Pädagogik eines Bräutigams.

Ich besaß ein liebes Pferdchen, Ich begegnet' einem Mädchen,

Das war klein zwar, aber niedlich. Das verstand von Arbeit wenig.

§)as trug mich, den jungen Burschen,
Mich und meinen Nock auch trug es.

Trabend lief's hinan den Hügel,
Bergab, immer galoppirend.

Ueber's Bächlein sprang es hüpfend,
Durch des Haffes Wogen schwamm es.

Sie verstand nicht fein zu spinnen,
Fein zn spinnen, dicht zu weben.

Eine gute Peitsche hatt' ich,

Fein geschnitten, dicht geflochten.

Dieses Peitschchen lehrte Jene
Fein zu spinnen, dicht zu weben.

Verlag von Heinrich Schindler in Berlin. — Druck von Trowihsch und Sohn in Berlin.
 
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