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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0093
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87

und Verkehrtheit zu reden weiß. — Ist es nicht schmerzlich, auf so
wohlthuende und freudige Anerkennung ein Aber folgen zu lassen,
folgen lassen zu müssen? Und leider ein gewaltiges Aber! Dies
gilt theilweis schon von den srüheren Werken des Verfassers, mehr
von den späteren, ganz besonders aber von dem vorliegenden Bande.
Hier ist fast allenthalben nur „Aber"Weisheit und „Aber"witz. Des
Verfassers sittliche Tendenz war von je her eine vorwiegend reli-
giöse; wir müssen zu seinem Ruhme gestehen, daß seine Religion
keine pietistische und keine quietistische Lehre oder Leere war, son-
dern eine auf sittlicher Thatkraft beruhende Innerlichkeit und Tiefe
des Gemüthslebens. Dennoch ist er von dem Wahn des religiösen
Eifers geblendet, von den Banden inhumaner Orthodoxie umstrickt.
Genauer betrachtet, zeigt sich nämlich, daß die Sache der Religion
und Sittlichkeit denn doch zu sehr eine Sache der Parthei bei ihm
ist und zwar eben so der politischen als der religiösen, und während
früher das Religiöse scheint jetzt das Politische bei ihm vorznwiegen.
Zwar an dem Guten soll man halten und dafür kämpfen; aber da-
durch unterscheidet sich die wahre und wahrhaft sittliche Hingebung
an dasselbe von der Vertretung desselben als Parthei, daß jene nur
aus Liebe kommt und nur zu Liebe führt, die Parthei aber führt
zum — Haß. Die Gifttropfen des Hasses verbittern den Kelch
seiner Lehre; er will das Saatkorn der Religion ausstrenen, Pflanzt
aber zugleich inhumane Verachtung gegen Alles was nicht zur Enge
seines Bekenntnisses schwört; wird nicht das Unkraut den guten Sa-
men überwuchern und ersticken?

Schon früher fehlte es an allerlei Ausfällen nicht gegen Alles,
was von seinem Sinne, von seiner Denkweise abweicht; in dem
vorliegenden Bande aber, besonders in der Hanptgeschichte: der Ball,
zeigt der Verf., daß er für Alles was nicht nach seinen Leisten ge-
macht ist ein verschlossenes Auge und ein noch verschlosseneres Herz
hat; es fehlt mit Einem Worte die — Humanität.

Die genannte Geschichte ist eine Sathre, aber eine eben so
ungeschickte als ungerechte, eben so unerfreulich als unwirksam, nicht
beißend sondern bissig. Das Leben der Städter soll sathrisch ge-
schildert werden; aber nicht auf die Schwächen des Stadtlebens,
auf die Auswüchse der Cultur, sondern auf die Stadt überhaupt
geht der Verf. los; da ist auch keine einzige Gestalt, welche nur
ein Halbweges Gegengewicht, ja nur eine lichtere Stelle zeigt. Selbst
die Schärfe der Charakteristik, welche G. sonst anszeichnet, verläßt
ihn hier; offenbar weil keine Liebe seinen Pinsel leitet. Was aber
das Widerlichste an dem Ganzen ist: weder die Schwächen noch die
Leidenschaft, weder die Sünde noch das Verbrechen, weder das Böse
noch auch nur das Niedrige wird dargestellt, sondern einzig und
allein — das Häßliche. Das ist häßlich und hat weder irgend
welche ästhetische oder sittliche Berechtigung. Keine Spur von dem
heiteren Lachen des Sathrikers über die kleinen Schwachheiten, von
dem erhabenen Ernst desselben gegen die Verkehrtheit der Gesin- j
nung; nur ein schadenfrohes Grinsen, das Nichts erregt als Ekel.
— Seine Erzählung soll die Schattenseiten des Stadtlebens dar-
legen, aber die Art wie es geschieht zeigt nur die Schattenseiten
seiner Gesinnung und Einsicht. Der Verfasser ist weit zurück-
und heruntergekommen. Um so mehr zu bedauern, als er,
wo er in seinem engen Gebiete bleibt, noch immer durch
religiöse Innigkeit und Tiefe uns wohlthätig ergreift. Eine Schil-
derung wie „des Großvaters Sonntag" (in demselben Bande) wird
auch den Bauer rühren und veredeln, aber der „Ball" wird weder
den Städter bekehren noch den Bauer belehren und den nnpar-
theiischen Leser am allerwenigsten erfreuen. Es fehlt dem Verfasser
ntcht blos an Witz und Geschick, sondern hier vor Allem an Huma-
nität um ein guter Satyriker zu sein. Ne sutor ultra crepidam.
Wo je in Gotthelfs Werken ein Witz vorkommt, ist er niemals
harmlos, sondern stets nur gegen seine Feinde gerichtet (ein Beweis,

daß er eigentlich keinen hat) und dann zeigt sich ein kaltes Herz
unter der Mönchskutte. — Die Form des Witzes besteht meist nur
in dem Gebrauch gemeiner Redensarten,*) der bei sparsamer An-
wendung wohl zur Komik gehören kann, aber nicht in solchem Ueber-
mäße; oder es sind ganz triviale Wendungen, womit Gassenjungen
oder Ladenbnrschen unter einander Lachen erregen; z. B. „es war
als ob sein Kopf sich ausdehne wie die Flügel einer Henne, wenn
sie auf einem Dutzend Eier sitzt und brütet, und Jacots Seele brü-
tete wirklich auch, aber nicht über Eier, sondern über Ge-
danken." — Wie weit die tendenziöse Polemik selbst einen sittlich
Strebsamen verführen kann, davon sind manche abschreckende Bei-
spiele hier vorhanden; oder schickt es sich etwa für einen auf sitt-
lichen Einfluß und Veredlung steuernden Schriftsteller folgende Worte
niederzuschreiben: „Oder was meint ihr, ihr Töchter zu Stadt und
Land mit den Rosenfingern in dänischem Leder und den Füßen in
galanten Bottines, wenn ihr so sitzen solltet und Rüben abhanen
in zügigem Tenn, und die Rüben wollten nicht mindern und die
Luft würde alle Stunden saurer, was meint ihr, was kämen euch
da für Gedanken, dächtet ihr ans Hängen oder an ins Was-
ser springen?" — Polen, Franzosen und Juden ist bekanntlich
das Schiboleth einer gewissen Parthei: der Verf. gehört zu ihr, aber
seine Devise ist noch etwas anders und weiter: gegen Städter,
Franzosen und Juden. In Bezug auf alle und die letzteren ins-
besondere zeigt er die traurigste Seite des religiösen und politischen
Eifers; Blindheit des Geistes, inhumane — gelinde gesagt — Ein-
seitigkeit der Gesinnung. Lebten noch Kritiker wie Lessing, der Zahn
des Spottes würde an solcher Inhumanität gewetzt, auch wenn
bessere Kunst sonst in seinen Arbeiten wäre. — Wir verkennen einen
edlen Kern in seiner Gesinnung eben so wenig als die hohen Gaben,
welche er besitzt, und nur darum haben wir es der Mühe Werth
erachtet, unserer Indignation Worte zu geben, um zu zeigen, von
welcher Seite er jetzt tief unter der Schätzung einer wahrhaft ethi-
schen Lebensanschaunng steht; möge er, kommt ihm dies Blatt zu
Gesicht, diese Worte beherzigen, und zu dem Standpunkte zurück-
kehren, auf welchem sein vortreffliches Werk: „Geld und Geist oder die
Versöhnung" steht; möge er in dieser Richtung sich wahrhaft ver-
tiefen, dann wird er von selbst sich von den wenigen Schlacken läu -
tern, welche den Werth und Glanz an dem reinen Erz seiner Ge-
sinnung auch dort zuweilen unterbrechen und trüben.

Ein Sommer in London.

Von Theodor Fontane.

Dessau. Druck und Verlag von Gebrüder Katz.

London ist die personificirte Prosa. Seine Seele ist der Han-
del und weder das Einmal-Eins, noch der Courszettel gehören in
das Gebiet der Poesie. Touristen, welche uns in ihren Reisebe-
richten die Eindrücke wiedergeben wollen, die sie selbst von der
Weltstadt empfangen, haben daher nicht bloß das Recht, sondern
sogar die Pflicht, uns in nüchternster und verständigster Weise von
der Menge ihrer Häuser und von dem Umfange ihrer Docks, von
der Zahl der in ihrem Hasen einlaufenden und anslaufenden Schiffe
und von den Summen des in den Gewölben ihrer Bank lagernden
Geldes, so wie von allen den Größen zu erzählen, die durch ihre
Ungeheuerlichkeit zu imponiren geschickt sind. Oft genug ist jenes
Recht geübt und diese Pflicht erfüllt worden, und wir machen uns
im Voraus auf statistische Angaben gefaßt, wenn wir ein Reisewerk

*) 3- B. „Er tanzte, und jedes Glied an ihm arbeitete wie ein Pferd" —

„er fuhr zurück, als sei ihm eine Hurnuß ins Gesicht gefahren"-„die Ge-

schmäcke sind verschieden" — er schnitt die Feigen entzwei, weil sie waren „wohl
groß für das Loch, worein sie sollten", „Lieb haben bis zum Fressen", „sich nicht
unnöthig das Maul verbrennen." Doch genug! Alle dergleichen commune Re-
densarten kommen nicht in den Reden der handelnden Personen vor, wo sie
charakteristisch sein könnten, sondern als Zierrathen in den höchsteigenen Bemer-
kungen des Verfassers.
 
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