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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0100
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halb an sein Klippeneiland gefesselten Mönch Calogero zuzuschwim-
men — welches Wasser auf die Mühle eines jungen Poeten, dessen
Kraftbewußtsein, bevor es den ächten Weg fand, wenigstens Willens
war, die ausgefahrene Straße des Althergebrachten nicht zu betreten.
Der Gegestand war neu, wenigstens scheinbar, und die Situationen,
die sich daraus ergeben mußten, paßten nothwendig mehr für Tizian
als für Rubens: viel Fleisch und wenig Gewandung. So damals.
Die Muse des Dichters ist seitdem keuscher geworden. Die Umar-
beitung der „ Margherita Spoletina" vermeidet mit vielem Takte
jene Klippen, die, eben um ihrer Gefahr willen, fünf Jahre zuvor
die noch unerprobte Kraft des Talentes reizten und über die Schau-
stellung des Nackten, die nicht unter allen Umständen anzupreisen
ist, finden wir graziös einen verhüllenden Schleier geworfen. Nur
die Mißlichkeit des Stoffs selber, der mehr verführerisch als schön
ist, ist geblieben und im Hinblick auf diese schillernde Seite, dahinter
sich doch ein Mangel verbirgt, möchten wir die Behauptung wagen,
daß der Vers, jetzt Anstand nehmen würde dies Thema zu behan-
deln. Uebrigens sind wir dieser Behandlung schließlich die Erklärung
schuldig, daß sie sich weit über diejenigen Einkleidungen desselben
Stoffes erhebt, die andre unsrer neuesten Poeten versucht haben und
die Schlußzeilen, wo wir das liebende, von ihren stolzen Brüdern
betrogene Mädchen einem unvermeidlichen Tode entgegen schwimmen
sehn, sind der Ausdruck einer ächt dichterischen Gewalt:

Das Licht führt in die Irre, weh!

Schwimmt langsam in die offne See
Und Margherita schwimmt ihm nach
Und weiter — weiter — landet nimmer —

Weiß nicht, daß vor ihr flieht der Schimmer.

Ihr Herz ist stark, ihr Arm wird schwach,

Bald haucht die Brust ihr letztes Ach.

Die Brüder rudern immerzu,

Die Fahrt geht grausig, füll und stumm —

Ihr stolzen Männer, wendet um!

Das Schwesterherz ist längst zur Ruh.

Die zweite Dichtung, „Urica", wiewohl zwei Jahre später ge-
schrieben und durch meisterhafte Beherrschung formeller Schwierig-
keiten hervorragend, scheint uns dennoch mehr fast als die „Mar-
gherita Spoletina" einer Epoche der Entwickelung, des Suchens, des
Nicht-Fertigseins anzugehören. Unter allen Sachen des Verf. scheint
uns diese am wenigsten gelungen. Er ist hier nicht auf seinem Gebiet;
das Historisch-Politische ist nicht seine Forye und so gewiß, nach
unserem Dafürhalten, bereits die Wahl des Stoffes eine unglückliche
war, so gewiß hat hinterher dem Dichter das Material gefehlt, durch
lebensvolle Gestalten und durch konkrete, der Wirklichkeit abgelauschte
Schilderungen die Schwäche der Fabel selbst zu decken. Daß der
Dichtung ein wirklicher Vorfall zu Grunde liegt, kann an unserem
Urtheil nichts ändern. Urica, eine junge Mohrin von St. Domingo,
ist im Hause einer alten französischen Gräfin groß gezogen. Die
Revolution bricht herein; die alte Gräfin und vor Allem ihr Sohn
Etienne werden von der Macht der neuen Ideen mit fortgerissen
und „ ^galitö!", das Stichwort, das Glaubensbekenntniß von Mil-
lionen, wird auch zu dem ihren. Urica liebt den jungen Grafen;
sie gesteht es ihm, weil sie seine Freundschaft für Liebe nimmt, und
wird abgewiesen. Hieraus entwickelt sich eine Reihe leidenschaftlicher
Scenen und Conflikte, deren Ansgang der Tod Etienne's und der
Wahnsinn Urica's ist. Die eigentliche Quelle dieses Wahnsinns hat
in der Verzweiflung darüber ihren Grund, daß ein französischer
Graf für „<$galit4“ schwärmen und dennoch — in Berücksichtigung
seiner Nachkommenschaft — abgeneigt sein kann, eine Schwarze zu
heirathen. Urica ist das ganze Gedicht hindurch in einem tiefen
Irrthum darüber befangen, was eigentlich egalite sei und sie pocht
auf Rechte, die kein Conventsbeschluß der Welt, und wenn St. Just

im Verhältniß dazu zu einem ukermärkischen Granden würde, jemals
verleihen kann.

Etienne heirathet sie nicht, weil er sie nicht liebt, ob er sie
nicht liebt, weil sie schwarz ist, ist wieder eine Sache für sich; wär's
aber auch, so hat doch unter allen Umständen das.Gleichstellungs-
prinzip mit den Shmpathieen und Antipathieen seines Herzens nicht
das Geringste zu schaffen. Man könnte zur Rechtfertigung des Dich-
ters erwidern: „dieser Jrrthum Urica's ist da, gewiß! aber eben
dieser Jrrthum ist poetisch." Ein Jrrthum ist nur dann poetisch,
wenn er schön ist und wir an ihn glauben, ein Jrrthum aber, der
einfach Thorheit oder aber eine bewußte Unklarheit ist, wohinter sich
Verlangen und Leidenschaft verschanzen, ein solcher Jrrthum ist nicht
interessant und hat zum Mindesten keinen Anspruch auf eine poetische
Verherrlichung. So weit der Kern des Gedichts. Eine innige Ver-
trautheit mit der Zeit, in der die Sache sich ereignet, würde, wie
wir schon hervorhoben, im Stande gewesen sein, durch äußeren Glanz
den inneren Mangel weniger bemerkbar zu machen, aber diese Ver-
trautheit fehlt ersichtlich, und so flüchtet sich der Verf. hinter die
blaffe Allgemeinheit, von der nur noch ein Schritt ist bis zur poe-
tischen Phrase. Dieser Umstand und die, selbstquälerischerweise ge-
wählte schwere Form (die hinsichtlich ihrer Reimfülle der englischen
Spencer-Strophe am nächsten steht) haben der Dichtung, deren voll-
endete Form wir eben so gern anerkennen, als wir wenig Gewicht
darauf legen, einen Stempel, wir möchten sagen des Unkonkreten,
aufgedrückt, einen Ausdruck, den wir am besten durch Citirnng der
ersten anderthalb Strophen klar machen, die sich da mit geistrei-
cher Wendung behelfen, wo die Anschauung um vieles besser wäre.
Wir lassen die betreffenden Zeilen gesperrt drucken:

Es war ein Schloß voll Geigenklang und Glanz
Im schlafenden Paris. Wie überwacht
Mit rothen Fenstern blickt es in die Nacht;

Und drinnen fiebert noch der heiße Tanz,

Wird noch geschwärmt, gelächelt und gelacht,

Da schon die Schatten aus den Gräbern steigen
Der Opfer, die der Tag hat umgebracht,

Und fluchend tanzen ihren Reigen.

er h'ört den Fluch? — Festordner ist der Wahn.

Die armen Schatten aus den Gräbern dort
Weift er am Thore wie Gesindel fort,

Wie Bettler, die das Fest zu stören nahn :c.

Wir haben hiermit die Jugendarbeiten des Verf. erschöpft. Dle
größere Hälfte des Buches, die uns noch zu besprechen bleibt, ist
reif, und wenn wir mit in Rechnung bringen, daß seine nächste
Dichtung „die Brüder" nur ein halbes Jahr später geschrieben
wurde, als die Urica, so haben wir hier kaum eine Entwickelung,
sondern vielmehr einen Sprung. Wir denken uns das so. Der
Spätsommer des Jahres 1852 sah unseren Dichter ans der Reise
nach Italien. Die beiden Dichtungen („die Brüder" und „Michel
Angelo"), zu deren Besprechung wir jetzt übergehen, waren die letz-
ten vor seiner Reise und wurden niedergeschrieben, während Auge
und Herz bereits die Richtung in den schönen Süden nahmen. Es
ist kein Zweifel, Erlebnisse zeitigen den Menschen; aber die Macht
eines Erlebnisses reicht weiter, es wohnt ihm oftmals ein Zauber
inne, der voraus wirkt und es giebt einen Brautstand des Glücks.
Die Gewißheit, in Wochen, in Monaten Italien zu sehen, ist schon
ein halbes Dortsein, und wir dürfen uns kaum noch wundern, in
jenen beiden obengenannten Dichtungen einer Klarheit, Plastik, ja
einer Klassicität zu begegnen, wie sie meist nur die späte Frucht
eines italischen Aufenthalts zu sein pflegt.

Das Gedicht „die Brüder" würde allein schon ausreichen, uns
das vorliegende Buch lieb und werth zu machen. Es ist vielleicht
der bedeutendste Wurf, den der Dichter bis diesen Augenblick gethan,
 
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