CHARAKTERISTIK SEINES STILES.
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Doch erkannte man in dem Hetzten Ritter« wenigllens noch einen thatkräftigen
Charakter, der lieh auch die Pflege der Kunsl angelegen sein liess. Burgkmair,
Dürer u. A. erfreuten sich seiner Aufträge, wenn auch mehr zu des Kaisers
Verherrlichung als der selbstlosen Unterslützung halber, denn grossartige Geslchts-
punkte fehlten ihm dabei gänzlich. In den deutsehen Städten war ebenso wenig
das Bewusstsein der Nothwendigkeit einer umfassenden Förderung der Kunsl
erwacht; die Magislrate konnten sleh über die Schranken einer spiessbürgerlichen
Anschauung nicht hinaussehwingen: auch he versäumten durch Behellungen in
grossartigem Massslabe und nach weitgreifenden Gehchtspunkten die Kunsl zu
höheren Zielen zu lenken. Bei den Fürsten, Herren und reichen Privatleuten
sah es ebenfalls zumeih recht kleinlich aus. So mancher deutsehe Künstler
wird die Gefühle getheilt haben, von denen bewegt Dürer i$o6 in Venedig
über den grellen Unterschied der Stellung klagt, die der deutsehe Künsller zu
Hause gegenüber seinen italienischen Genossen einnahm. Und dazu kamen dann
auch noch die mittelalterlichen Zunftverhältnisse, die handwerklichen An-
schauungen. So ernsl es Dürer mit der Kunst nahm, dem Banne des Handwerk-
lichen konnte selbsf er nicht vollständig entfliehen.
Mit einem seltsamen Gemische von Bewunderung und unangenehmen Gefühlen
betrachten wir seine Werke. Lebenskräftige Phantahe und Unbehülhichkeit der
Anschauung, Zartheit und Rohheit der Empfindung gehen bei ihm Hand in Hand.
Ganz mit Unrecht hat man ihm auch tiefsinnige Gedanken unterschoben: Dürer
war kein philosophischer Geist des 19. Jahrhunderts, er war eine ächte Künsller-
natur. Und gerade bei Werken, wie der Melancholie, der Nemesis u. s. f., dürfen
wir sicher sein, dass er sle nach Angabe von Gelehrten machte. In seinem Fache
aber gab er sleh einem raillosen Studium hin, Rrebte er nach neuen Motiven,
nach umfassender Naturkenntniss: einer der grössten Charaktere, die die Kunsl
gesehen, ein Genie in des Wortes vollster Bedeutung. Wie slicht sein treuer
Fleiss ab von den italienischen Manierislen und Barockkünsllern, die in ganzen
Schaaren die einmal angelernten Formen prahlerisch wiederholen, ohne auf die
Natur zurückzugehen! Es isl ein eigner Reiz, Dürers Zeichnungen durchzusehen,
zu deren Anfertigung er sleh verschiedenster Techniken bediente. Am geringslen
iE seine Bedeutung gerade in der Malerei. Er besass eben eine zu mangelhafte
Ausbildung im Colorislischen, so dass in den Gemälden das zeichnerische Element
überwiegt; und was in der Jugend bei ihm versäumt war, holte er später nie
mehr vollkommen nach. Der Bauerngeschmack in der Farbe, die platte Be-
handlung der Modellirung, die unsehönen Geslehter und Formen, die sleh bis in
die Fratzenhaftigkeit versleigen können, wirken zum Theil höchsl abslossend.
Das ungewöhnliche Talent isl natürlich auch in ihnen nicht zu verkennen, und
namentlich die »Vier Aposlel« erheben sleh bis an's Grossartige, aber man be-
trachte auch bei diesen z. B. die Bildung der Zehen des heiligen Johannes, um
sleh sagen zu müssen, dass auch hier der volle monumentale Stil mangele. Un-
gleich grösser isl Dürers Bedeutung für den Kupferslich und Holzschnitt, Kunsl-
gattungen, die allerdings gegenüber der Malerei einen untergeordneten Rang
einnehmen. Auf seinen Schultern sleht die ganze nachfolgende Kunstentwicke-
lung dieser Art, und zwar nicht blos in Deutschland, wo er allerdings seine
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Doch erkannte man in dem Hetzten Ritter« wenigllens noch einen thatkräftigen
Charakter, der lieh auch die Pflege der Kunsl angelegen sein liess. Burgkmair,
Dürer u. A. erfreuten sich seiner Aufträge, wenn auch mehr zu des Kaisers
Verherrlichung als der selbstlosen Unterslützung halber, denn grossartige Geslchts-
punkte fehlten ihm dabei gänzlich. In den deutsehen Städten war ebenso wenig
das Bewusstsein der Nothwendigkeit einer umfassenden Förderung der Kunsl
erwacht; die Magislrate konnten sleh über die Schranken einer spiessbürgerlichen
Anschauung nicht hinaussehwingen: auch he versäumten durch Behellungen in
grossartigem Massslabe und nach weitgreifenden Gehchtspunkten die Kunsl zu
höheren Zielen zu lenken. Bei den Fürsten, Herren und reichen Privatleuten
sah es ebenfalls zumeih recht kleinlich aus. So mancher deutsehe Künstler
wird die Gefühle getheilt haben, von denen bewegt Dürer i$o6 in Venedig
über den grellen Unterschied der Stellung klagt, die der deutsehe Künsller zu
Hause gegenüber seinen italienischen Genossen einnahm. Und dazu kamen dann
auch noch die mittelalterlichen Zunftverhältnisse, die handwerklichen An-
schauungen. So ernsl es Dürer mit der Kunst nahm, dem Banne des Handwerk-
lichen konnte selbsf er nicht vollständig entfliehen.
Mit einem seltsamen Gemische von Bewunderung und unangenehmen Gefühlen
betrachten wir seine Werke. Lebenskräftige Phantahe und Unbehülhichkeit der
Anschauung, Zartheit und Rohheit der Empfindung gehen bei ihm Hand in Hand.
Ganz mit Unrecht hat man ihm auch tiefsinnige Gedanken unterschoben: Dürer
war kein philosophischer Geist des 19. Jahrhunderts, er war eine ächte Künsller-
natur. Und gerade bei Werken, wie der Melancholie, der Nemesis u. s. f., dürfen
wir sicher sein, dass er sle nach Angabe von Gelehrten machte. In seinem Fache
aber gab er sleh einem raillosen Studium hin, Rrebte er nach neuen Motiven,
nach umfassender Naturkenntniss: einer der grössten Charaktere, die die Kunsl
gesehen, ein Genie in des Wortes vollster Bedeutung. Wie slicht sein treuer
Fleiss ab von den italienischen Manierislen und Barockkünsllern, die in ganzen
Schaaren die einmal angelernten Formen prahlerisch wiederholen, ohne auf die
Natur zurückzugehen! Es isl ein eigner Reiz, Dürers Zeichnungen durchzusehen,
zu deren Anfertigung er sleh verschiedenster Techniken bediente. Am geringslen
iE seine Bedeutung gerade in der Malerei. Er besass eben eine zu mangelhafte
Ausbildung im Colorislischen, so dass in den Gemälden das zeichnerische Element
überwiegt; und was in der Jugend bei ihm versäumt war, holte er später nie
mehr vollkommen nach. Der Bauerngeschmack in der Farbe, die platte Be-
handlung der Modellirung, die unsehönen Geslehter und Formen, die sleh bis in
die Fratzenhaftigkeit versleigen können, wirken zum Theil höchsl abslossend.
Das ungewöhnliche Talent isl natürlich auch in ihnen nicht zu verkennen, und
namentlich die »Vier Aposlel« erheben sleh bis an's Grossartige, aber man be-
trachte auch bei diesen z. B. die Bildung der Zehen des heiligen Johannes, um
sleh sagen zu müssen, dass auch hier der volle monumentale Stil mangele. Un-
gleich grösser isl Dürers Bedeutung für den Kupferslich und Holzschnitt, Kunsl-
gattungen, die allerdings gegenüber der Malerei einen untergeordneten Rang
einnehmen. Auf seinen Schultern sleht die ganze nachfolgende Kunstentwicke-
lung dieser Art, und zwar nicht blos in Deutschland, wo er allerdings seine