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Vorwort

Vorwort
Als „Universitäts- und Gartenstadt“ bezeichnete sich
die „Großherzoglich Oberhessische“ Metropole Gießen
um die Jahrhundertwende. Es war ein idyllisches Städt-
chen. Um einen Kern mit engen Gassen und kleineren
und beachtlich großen Fachwerkhäusern lag locker die
repräsentative Bebauung der Gründerzeit, gruppiert vor
allem um das Zentrum der damals neuen Universitäts-
gebäude, durchzogen von Gärten und von Grünzügen
wie dem Anlagenring oder den Wieseckufern.
Der größte Teil der städtischen Fachwerkhäuser ist in
den Flammen des Bombenkriegs untergegangen. Was
die Bomben vom innersten Stadtkern, dem eigentlichen
Gesicht der Stadt, nicht zerstört hatten, wurde sehr weit-
gehend „wegsaniert“ Doch die beiden Komponenten,
die Universität und das natürliche Grün, sind auch
heute noch bestimmende Elemente im Bild dieser
Stadt.
Die Gründung der Universität 1607 löste in Gießen
einen gewaltigen Fachwerk-„Bauboom“ aus. Die alma
mater bestimmte neben dem Militär in den folgenden
Jahrhunderten das Leben der Gießener Bürgerschaft.
Die Universität ist heute nach dem Rückzug des Militärs
wieder die größte Bauherrin und der bedeutendste Wirt-
schaftsfaktor der Stadt. Schließlich ist Gießen die Uni-
versitätsstadt mit der größten „Studentendichte“ in
Deutschland. Zur Zeit drängen sich 29 000 Studierende
in einer Stadt mit 80 000 Einwohnern.
Und so wie einerseits die Grünzüge über die Lahnufer,
über Lutherberg und Alten Friedhof, über Philosophen-
wald, Wieseckaue und Botanischen Garten bis in den
Stadtkern hineinreichen, so greift die Universität mit
dem Philosophikum, mit den Studentendörfern am
Bergwerkswald und am Anneröder Weg oder mit dem
Versuchsgut Hardthof in die umgebende Landschaft
hinein.
Die große planmäßige Stadterweiterung nach 1880, das
Universitätsviertel-immernoch so charakterisiert, auch
wenn die Universität inzwischen weit darüber hinaus
gewachsen ist - steht heute als Gesamtanlage unter
Denkmalschutz. Als Baudenkmäler eingestuft sind
auch viele weitere Bauten der Gründer- und Nachgrün-

derzeit, inzwischen auch Einzelgebäude und Siedlun-
gen aus den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg.
Eine große Zahl ländlicher Fachwerkhäuser kam mit der
Eingemeindung von fünf benachbarten Dörfern zu Gie-
ßen. Zwei dieser Stadtteile - Wieseck und Kleinlinden -
sind auch seit langem mit der Kernstadt zusammenge-
wachsen. Der Gefahr, daß die Stadt diese Dörfer „frißt“,
sie ihrer Individualität und Identität beraubt, können
Denkmalschutz und besonnene Stadtplanung bis zu
einem gewissen Grad begegnen.
Neubaubedarf und Erhaltungsstreben müssen gegen-
einander abgewogen, eine sinnvolle Umnutzung muß
gesucht werden.
Die systematische Erfassung all dessen, was nach heuti-
gen Maßstäben als erhaltenswert einzustufen ist, wurde
1974 bzw. 1986 im neuen Hessischen Denkmalschutzge-
setz als Landesauftrag formuliert. Da der Magistrat der
Universitätsstadt Gießen die Vorteile einer solchen Er-
fassung für die eigene Stadtplanung begriff, engagierte
sich besonders das zuständige Dezernat für diese Auf-
gabe weit über den Rahmen des Üblichen hinaus in
materieller und personeller Hinsicht. Der Begriff der
„Stadtheilung“ seit einigen Jahren in Gießen geläufig,
fragt nach menschlicher und gestalterischer Heilung der
gebauten Störungen und Zerstörungen der Stadt. Wie
besonders wichtig ist dann die Kenntnis über die große
Zahl der Baudenkmäler der Stadt:
Ein Baum, der Blätter treiben will, braucht seine Wur-
zeln. Zukunft zu gestalten, auch die Zukunft einer Stadt,
benötigt das Wissen um die Vergangenheit. Mancher,
der dieses Buch zur Hand nimmt, wird erstaunt darüber
sein, wieviel schöne gebaute Vergangenheit es in diesem
einstmals so zerstörten Gießen noch gibt. Dem Wissen
und dem Bewußtsein darum soll diese Denkmaltopo-
graphie dienen, sie soll helfen zu heilen und sich orga-
nisch zu entwickeln.

Stadtrat Ekkehard Friedrich Dammann
Dezernent für Umwelt, Stadtentwicklung und
Bauwesen der Universitätsstadt Gießen

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