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B. Die Bruchstellen des Stils Louis XIV als
Ansatzmöglichkeiten des Regence-Stils
1. Verfall der „großen Gattungen“; neue Ziele im
Kunstschaffen
Nach dem Tode Ludwigs XIV. (1715) schrieb der Herzog von Antin
an Poerson, den Direktor der Ecole de Rome88): „Les Arts et les
Sciences sont bien ä plaindre dans une longue Minorite.“
In Wirklichkeit hat der Regent die Künste freigebiger und verständ-
nisvoller gefördert als Ludwig XIV., der in seinem morosen Alter
gegen das Werkzeug seines Ruhms gleichgültig geworden war, ge-
legentlich seine Hunde von Desportes porträtieren ließ, oder den
verwehten Glanz seiner jungen Taten noch einmal in der neuen
Tapisserienfolge der „Histoire du Roi“ erlebte89). Sonst hatte er im
letzten Jahrzehnt seiner Regierung Boullogne den Jüngeren, Noel
Covpel u. a. beschäftigt, „pour couvrir les nuditez des tapisseries des
Gobelins90)“.
Zwischen 1690 und 1715 sind die „großen“ Gattungen in unaufhalt-
samer Dekadenz begriffen. Das religiöse Andachtsbild, im
Machtbereich des Le Brun korrekte Nachahmung der bolognesischen
Idealität, wird von der naturalistischen Strömung angegriffen und neigt
zum gesellschaftlichen Genre; selbst Jean Jouvenet „le Grand“ (1644
bis 1717) und Charles de la Fosse (1636—1716) geben gelegentlich
devotionale Porträts91); der geschmeidige Mignard malt Frau von
Maintenon als „Sainte Franpoise Romaine“ (Louvre und Versailles)
oder eine Magdalena „dans le style du Guide“, wie sein Biograph
mit Stolz berichtet. Die unehelichen Kinder Ludwigs XIV. mit ihrer
Gouvernante sind eine „Sainte Familie“; „die religiöse Kunst ist
ein Genre geworden..., das mit erschreckender Leichtigkeit prak-
tiziert wird92)“. Santerres „Sainte Therese“ (1709 für die Kapelle von
Versailles gemalt), erregt Anstoß und Mißtrauen bei Laien und Geist-
lichen93).
Die Mythologie wird wieder, was sie in der ersten Hälfte des

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