EINLEITUNG
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1. Jacobello del Fiore: Die Gerechtigkeit mit den Erzengeln Gabriel und Raffael. Venedig, Akademie
Oberitalien umfaßt die Provinzen Venezien, Lombardei, Piemont, Ligurien und die Emilia:
das große Gebiet der Poebene mit den angrenzenden Ausläufern der Alpen im Norden
und des Apennin im Süden. Die hauptsächlichsten Kunstzentren sind im Osten Venedig,
Padua und Vicenza, im Westen Mailand, dazwischen Verona und Brescia, im Süden, schon
nahe der Grenze Toskanas, Ferrara und Bologna. Der Schwerpunkt der künstlerischen Tätig-
keit lag sowohl im 15. wie im 16. Jahrhundert im Osten; führend ist im Quattrocento die
Schule von Padua, während die übrigen Zentren, wie Mailand, in ihrer künstlerischen Rich-
tung teils von Padua abhängig sind, teils unter dem Einfluß der mittelitalienischen, nament-
lich der Florentiner Kunst stehen, teils auch bis zu einem gewissen Grad nordischen Ein-
fluß verraten. Eine besondere Stellung nimmt Venedig ein, das sich durch seinen konser-
vativen Zug viel langsamer und später erst fremden Einflüssen erschloß, jedoch in vorsich-
tiger und stetiger Entwicklung im Cinquecento die Führung gewann und auf die kleinen
Lokalschulen den stärksten Einfluß ausübte. Doch haben auch diese, wie Verona und Bre-
scia in ihrer Weise ein reiches Eigenleben weitergeführt. In besonderem Grade gilt dies von
Parma, das sich nicht nur eine große Selbständigkeit zu wahren wußte, sondern der weit-
hin wirkende Ausgangspunkt für ganz neue künstlerische Tendenzen wurde, während Ferrara,
das im 15. Jahrhundert ein höchst reiches und individuelles künstlerisches Leben aufweist,
im 16. Jahrhundert an Bedeutung verliert. Bologna endlich, das im Quattrocento für Ober-
italien als Vermittlungsstelle umbrischer und toskanischer Einflüsse von größter Bedeutung
war, schließt sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts Mittelitalien so vollständig an, daß es
in dieser Zeit für eine Würdigung der oberitalienischen Malerei, wie sie hier beabsichtigt
ist, nicht mehr in Betracht kommt.
v. d. Bercken-Mayer, Malerei der Renaissance in Oberitalien
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1. Jacobello del Fiore: Die Gerechtigkeit mit den Erzengeln Gabriel und Raffael. Venedig, Akademie
Oberitalien umfaßt die Provinzen Venezien, Lombardei, Piemont, Ligurien und die Emilia:
das große Gebiet der Poebene mit den angrenzenden Ausläufern der Alpen im Norden
und des Apennin im Süden. Die hauptsächlichsten Kunstzentren sind im Osten Venedig,
Padua und Vicenza, im Westen Mailand, dazwischen Verona und Brescia, im Süden, schon
nahe der Grenze Toskanas, Ferrara und Bologna. Der Schwerpunkt der künstlerischen Tätig-
keit lag sowohl im 15. wie im 16. Jahrhundert im Osten; führend ist im Quattrocento die
Schule von Padua, während die übrigen Zentren, wie Mailand, in ihrer künstlerischen Rich-
tung teils von Padua abhängig sind, teils unter dem Einfluß der mittelitalienischen, nament-
lich der Florentiner Kunst stehen, teils auch bis zu einem gewissen Grad nordischen Ein-
fluß verraten. Eine besondere Stellung nimmt Venedig ein, das sich durch seinen konser-
vativen Zug viel langsamer und später erst fremden Einflüssen erschloß, jedoch in vorsich-
tiger und stetiger Entwicklung im Cinquecento die Führung gewann und auf die kleinen
Lokalschulen den stärksten Einfluß ausübte. Doch haben auch diese, wie Verona und Bre-
scia in ihrer Weise ein reiches Eigenleben weitergeführt. In besonderem Grade gilt dies von
Parma, das sich nicht nur eine große Selbständigkeit zu wahren wußte, sondern der weit-
hin wirkende Ausgangspunkt für ganz neue künstlerische Tendenzen wurde, während Ferrara,
das im 15. Jahrhundert ein höchst reiches und individuelles künstlerisches Leben aufweist,
im 16. Jahrhundert an Bedeutung verliert. Bologna endlich, das im Quattrocento für Ober-
italien als Vermittlungsstelle umbrischer und toskanischer Einflüsse von größter Bedeutung
war, schließt sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts Mittelitalien so vollständig an, daß es
in dieser Zeit für eine Würdigung der oberitalienischen Malerei, wie sie hier beabsichtigt
ist, nicht mehr in Betracht kommt.
v. d. Bercken-Mayer, Malerei der Renaissance in Oberitalien