VERHÄLTNIS ZUM LEBEN
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2. Giovanni Bellini: Religiöse Allegorie. Florenz, Uffizien
I. Inhalt und Form
Die oberitalienische Malerei ist von größerer Sinnlichkeit als die Kunst von Florenz und
Mittelitalien und steht in viel lebendigerer und engerer Beziehung zum wirklichen Leben.
Gegenüber dem mehr abstrakt-vornehmen Charakter der Florentiner Malerei besteht in Ober-
italien ein viel engeres Verhältnis zum Beschauer, eine größere Nähe und Greifbarkeit der
Bilderscheinung und Bilddarstellung. Gewiß fehlt auch in Florenz der Kunst die Beziehung
zum Leben nicht, was vor allem die Porträts erkennen lassen. Immer aber können wir
beobachten, daß eine viel größere Distanz zum Beschauer vorhanden ist, als wir sie in der
oberitalienischen Kunst finden.
Die oberitalienische Malerei hat im Grunde ihres Wesens einen undramatischen Zug.
Sie ist eine Stimmungskunst, wo auf Ausdruck und Gefühl größtes Gewicht gelegt wird, sie
sucht eine eigenartige Intimität auch in den zeremoniellsten Szenen festzuhalten, indem überall
ein besonders enger Kontakt mit dem Beschauer erzielt ist. Es tritt in dieser Kunst ein eben-
so einzigartiger Illusionismus wie ein seltsam märchenhafter Charakter zutage, Erschei-
nungen, die keineswegs durch jenen Naturalismus zu erklären sind, wie er der oberitalie-
nischen Malerei vielfach nachgesagt wird.
Man wird in Oberitalien, namentlich im 15. Jahrhundert, vergeblich den Gestaltungs-
drang suchen, den Reichtum an Sujets, den wir in Florenz finden, vergeblich die litera-
rischen Strömungen, die große Fabulierlust, die in Florenz so häufig Gemälde von stark
illustrativem Charakter entstehen ließ. Nur Tizian nimmt hier eine Ausnahmestellung ein.
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2. Giovanni Bellini: Religiöse Allegorie. Florenz, Uffizien
I. Inhalt und Form
Die oberitalienische Malerei ist von größerer Sinnlichkeit als die Kunst von Florenz und
Mittelitalien und steht in viel lebendigerer und engerer Beziehung zum wirklichen Leben.
Gegenüber dem mehr abstrakt-vornehmen Charakter der Florentiner Malerei besteht in Ober-
italien ein viel engeres Verhältnis zum Beschauer, eine größere Nähe und Greifbarkeit der
Bilderscheinung und Bilddarstellung. Gewiß fehlt auch in Florenz der Kunst die Beziehung
zum Leben nicht, was vor allem die Porträts erkennen lassen. Immer aber können wir
beobachten, daß eine viel größere Distanz zum Beschauer vorhanden ist, als wir sie in der
oberitalienischen Kunst finden.
Die oberitalienische Malerei hat im Grunde ihres Wesens einen undramatischen Zug.
Sie ist eine Stimmungskunst, wo auf Ausdruck und Gefühl größtes Gewicht gelegt wird, sie
sucht eine eigenartige Intimität auch in den zeremoniellsten Szenen festzuhalten, indem überall
ein besonders enger Kontakt mit dem Beschauer erzielt ist. Es tritt in dieser Kunst ein eben-
so einzigartiger Illusionismus wie ein seltsam märchenhafter Charakter zutage, Erschei-
nungen, die keineswegs durch jenen Naturalismus zu erklären sind, wie er der oberitalie-
nischen Malerei vielfach nachgesagt wird.
Man wird in Oberitalien, namentlich im 15. Jahrhundert, vergeblich den Gestaltungs-
drang suchen, den Reichtum an Sujets, den wir in Florenz finden, vergeblich die litera-
rischen Strömungen, die große Fabulierlust, die in Florenz so häufig Gemälde von stark
illustrativem Charakter entstehen ließ. Nur Tizian nimmt hier eine Ausnahmestellung ein.