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Evers, Hans Gerhard; Rubens, Peter Paul [Hrsg.]
Rubens und sein Werk: neue Forschungen — Bruessel, 1944

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https://doi.org/10.11588/diglit.29108#0312
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XXIV.

DIE LÜCKEN DER RUBENS-FORSCHUNG.

Rubens ist nicht nur ein unbegreiflich fruchtbarer Mensch gewesen, er hat nicht nur sefbst
alle ihm bekannten Fächer der Malerei erprobt, und aHe ihm zugänglichen Bildstoffe gestaltet.
In Rubens gipfelt auch eine ganze Malerschule, sei es dass die einzelnen Künstler wirldich
mit ihm in Verbindung standen, sei es dass die Nachwelt auf seinen Namen übertragen
hat, was dem siebzehnten Jahrhundert und dem flandrischen Temperament ähnlich sah.
Daher sind neuer Wissenschaftsstoff und neue britische Untersuchungen zum Rubenswerb
immer möglich. Aber Stoff und Kritib sind bedeutungslos ohne ein neues Rubensbild. Die
vorliegende Sammlung einiger Arbeiten zu Rubens würde den Rahmen eines Buches nicht
verdienen, wenn ihr bestritten werden müsste, dass ein besonderes Rubensbild in der Gesamt-
heit der Aufsätze erbennbar ist, — das gegenüber der erst vor burzem veröffentlichten Biogra-
phie des Künstlers wieder neue Züge trägt.
Wer zum ersten Mal die Bibliographie von Prosper Arents zu Rubens in die Hand nimmt,
wird den Mut sinben lassen : gegenüber dem Fleiss oder wenigstens der Anteilnahme so
vieler Völber und so vieler Generationen noch ein stechnadelgrosses Ffecbchen zu finden, wo
etwas Unentdecbtes und Unverputztes übrig bleibt. Wer länger arbeitet, sieht die Lüchen. Er
sieht, dass die meiste Drucberschwärze nur das Längstbebannte erneut überdrucbt, man möchte
fast sagen : das Längstbanale oder sogar das Längstfalsche. Er sieht nicht nur die Möglich-
beiten zum Umdenhen des Bebannten, sondern auch die grossen Felder des Nicht-Behannten.
Ihm setzt sich das Rubensbild nicht nur aus den vorhandenen Werben, Briefen und Anehdoten
zusammen, sondern in den Umrissen auch aus dem, was fehlt.
Das ist freilich schon eine Vorentscheidung für den Wissenschaftler, eigentlich die
wichtigste. Vor fünfundzwanzig Jahren schrieb Rudolf Oldenbourg* zusammenfassend über
Rubens : <x Trotz der ungeheuren stofflichen Fülle seiner Werbe wirbt Rubens nie literarisch;
man hönnte ihn sogar in einem sehr wörtlichen Sinne oberflächlich nennen, insofern er
nämlich nichts aussprechen will, was sich nicht an die Oberfläche ziehen und dem Auge
wahrnehmbar machen lässt. Hinter seinen Bildern dämmern beine unerforschfichen Tiefen wie
bei Rembrandt, sondern alles ist blar und eindeutig erbannt und mit instinbtmässiger Leich-
tigbeit in sichtbare Werte umgesetzt. Rubens deutet nichts an, wodurch der Beschauer angeregt
würde, sich gefühlsmässig weiter zu vertiefen oder eigenes Erleben in der Schöpfung des
Künstlers zu suchen. AHes wendet sich ans Auge und allein durch den Gesichtssinn wird
das Empfinden angeregt und der Geist erhoben. Daher wird man ihn nie tiefsinnig, selten
ergreifend, aber häufig erschütternd und immer unmittelbar bereichernd finden 3*. Ich habe
diese Worte (die nicht von einem Unbeteiligten stammen, sondern von einem Forscher, der
seine Lebensarbeit Rubens gewidmet hat) nie ohne Erstaunen lesen bönnen, denn ich würde
von einem Menschen, auf den sie wirblich zuträfen, schwerlich zugeben, dass er den Rang
und die Ehre eines grossen Künstlers verdiene. Aber treffen sie wirbfich zu auf Rubens ? Hier

i A a. O., S. 129.
 
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