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Evers, Hans Gerhard; Rubens, Peter Paul [Hrsg.]
Rubens und sein Werk: neue Forschungen — Bruessel, 1944

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https://doi.org/10.11588/diglit.29108#0238
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XIX.

6 LE CHAPEAU DE PAILLE >.
Über den eigentümlichen Namen « Chapeau de paille & eines berühmten Frauenporträts von
Rubens in der Londoner Nationalgalerie (Abb. 501, 502) haben schon viele Forscher nachge-
dacht. Die Bedeutung des französischen Wortes ist : Strohhut; dargestellt ist aber ein Hut
mit breiter Krempe aus schwarzem Wollfilz. Wie ist die Bezeichnung zu erklären ?
Die letzte Äusserung zu dieser Frage enthält ein Aufsatz von Paul Jamot* : c Chapeau
de paille ou chapeau de poil ^ ? Jamot versucht zweierlei Deutungen, die eine mehr schalkhaft,
die andere ernsthaft. Die schalkhafte Deutung (S. 162) ist : im Nachlass von Rubens seien
sieben Porträts von Susanne Fourment gewesen, von denen eines, das am höchsten bewertete,
mit dem vorliegenden Londoner Bild gleichzusetzen sei. Nichts hindere, zu denken, dass unter
den anderen sechs eines gewesen sein könne, das Susanne Fourment mit einem Strohhut zeigte.
Und — so müssen wir hinzufügen, denn Jamot führt es nicht so ausführlich aus, — nichts
hindert, zu denken, dass dann im Moment der Nachlassregelung die Bilder und die Namen
(wie Neugeborene in einer Klinik) vertauscht wurden, und dass der vertauschte Name seit
dreihundert Jahren am verkehrten Bilde hafte.
In der Tat lässt sich gegen solche Möglichkeiten wenig Amtliches Vorbringen. Immerhin
müsste freilich die Wahl unter den anderen Porträts von sechs auf zwei herabgesetzt werden,
denn L. Burchard hat schon 1932^ davon gehandelt, dass sich die Zahl der Porträts von
Susanne Fourment nur durch ungenaue Interpretation von drei auf sieben erhöht hat.
Jamots ernsthafte Erklärung ist : der Name 4: chapeau de paille ^ sei garnicht alt. Mr. Mac
Laren von der National Gallery habe keine Spur von ihm gefunden vor dem Erwerb des Bildes
durch dieses Museum im Jahre 1871. Im Jahre 1822, als das Bild zuerst nach England kam,
sei es in London unter der Bezeichnung « Miss Lunden ^ ausgestellt gewesen. P. Cenard habe
es 1877 « Le chapeau espagnol ^ genannt. Demnach (folgert Jamot weiter) könnte sich der
Name durch einen Hörfehler der Engländer, zwischen 1822 und 1871, erklären (<x par un phe-
nomene de mauvaise interpretation auditive et par Ies deficiences de Ia prononciation anglaise
en fait de vocables etrangers x<). Das Bild habe « Chapeau de poil ^ geheissen, die Engländer
hätten daraus chapeau de paille ^ gemacht, (c Porf et patlfe sont pour Ies Anglais des mots
difficiles et qui tendent ä se confondre. Le son que nous appelons I mouille est presque interdit
ä des gosiers britanniques. On a dit c Chapeau de poil >, dejä denomination insolite.
L'Anglais a compris : c Chapeau de paille et une erreur a pris son vol ä travers deux
generations. x>)
Ich muss gestehen, dass auch diese Erklärung, obwohl sie mit ernster Miene vorgetragen
wird, auf mich den Eindruck eines versteckten Scherzes macht; ich möchte den Vortragenden
scharf beobachten, ob er sich nicht durch ein Zucken der Mundwinkel verrät. Und es wäre

2 In G. GLÜCK. RuBens, van Dyc& und ilrr Kreis, Wien, )Q32, S. 388.
 
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