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Die Hallstädt
Felsenriffe und den Wasserspiegel erzeugen ein wahres Meer von
Glanz. Jede Welle ist Feuer, jeder Tropfen am Ruder ein
leuchtender Diamant. Man gedenkt des Glanzes vor Gottes
Thron, dessen Helle kein Menschenauge ertragen kann. Dazu
das frische, saftige. lichtdurchglühte Grün der Vegetation. wie
man es nur in den Alpen findet. Klarheit über, unter uns. von
weichen, balsamischen Lüften umfächelt, und nur wenige Ruder-
schläge weiter — und die finstre Schlucht von Hallstadt gähnt
uns an. deren eisigen Hauch nur spärlich und spät am Tage
ein einsamer Sonnenstrahl erwärmt.
Weiter als in diese Schlucht um den dortigen großen Wasser-
fall. den sogenannten Strupp zu besehen, dringt selten eines
Fremden Fuß. Die allerwürts eng aneinandergerückten, senk-
rechten Felswände scheinen, so wie den Sonnenstrahlen, so auch
den Menschen jedes weitere Eindringen zu verwehren. Doch eben
hier und in den angrenzenden Gebirgsstöcken des Dachsteins um-
schließt die Ratur ihre herrlichsten Kleinodien. Blinkende Seen,
wie verlorne Edelsteine, am Fuße von Eisregionen, gefahrvolle
Pfade mit unvergleichlichen Fernsichten. Alpendlumcn so zart
und duftig, wie von Elfenhand gewoben. Felsenzacken so aben-
teuerlich wie die Sagen, die sich daran knüpfen. Und auch die schnei-
dendsten Eontraste vermittelt durch die Allem gemeinsame, unaus-
sprechliche Schönheit.
Das sind die Schätze, die sich hier in reicher Fülle dem
Beschauer bieten, dem getreuen, liebenden Sohn der Natur, der
weder Hinderniß. noch Anstrengung und Gefahr scheute, um bis
hieher zu dringen. Hier in lautloser Stille redet sie in einer
Sprache zu ihm. die der Alltagswelt fremd, in einer Sprache,
die nur die Tiefe der Seele kennt.
Ein lebenskräftiger, treuherziger Schlag Menschen wohnt
auf den Bergen, in den Thälern Salzkammerguts. die die Na-
tur so verschwenderisch mit Reiz geschmückt. Nur in Hallstadt
selbst ist es anders.
Das wonnetrunkne Auge des zum ersten Male dort Lan-
denden sucht unwillkührlich die Gestalt der Bewohner in Ein-
klang mit der Herrlichkeit zu bringen, die es um sich schaut, und
sieh da! dicht am Ufer fällt der Blick auf eine Schaar halb
Eckel, halb Entsetzen erregender Geschöpfe, halb Thier, halb Mensch,
klein, plump, mit unförmlichen Köpfen und blödsinnigen, häßlichen
Gesichtern, großen Kröpfen und Höcker» und sonstigen Verkrüppel-
ungen und Verunstaltungen aller Art. Sie drängen lärmend
und streitend näher. Sprechen sie? Nein, sie lallen nur unver-
ständliche. unartikulirte Laute und strecken die Arme aus um zu
betteln. Sind's Kobolde, die jene Schwalbennester der Felswand
bewohnen und den Fremden den Eintritt wehren? oder sind's
menschliche Wesen, die die Natur verthieren ließ zur Strafe für
das Eindringen in ihre Prachtregionen, die sie hier mit so
dräuenden Zinnen schützte? oder ist cs der Fluch der Unvoll-
kommenheit, der an allem Erschaffnen haftet, und der hier
zur Ausgleichung die Menschen uni so mehr traf, als das Land
so bezaubernd schön?
Wie dem auch sei, es ist der Cretinismus in seiner scheuß-
lertro ttel.
lichsten Gestalt und so häufig vorkommend, daß man glauben
könnte, ganz Hallstadt sei mit Cretinen*) bevölkert.
Die Enge der Thalschlucht bei der himmelanstrebenden Höhe
der Felsen, die nur um die Mittagszeit den Sonnenstrahlen Ein-
tritt geivähren. die beständige Feuchtigkeit der an den Bergwänden
klebenden, beinahe unterirdischen Wohnungen machen diese schreck-
liche Entartung der Menschennatur wohl für immer hier ein-
heimisch.
I.
Es war Allerheiligen. Im alterthümlichen Kirchlein von
Hallstadt ward Frühgottesdienst gehalten. Hunderte von Lichtern
flimmerten für die Todten einem frommen Gebrauch zur Folge
un) neben den Kerzen inurmelten die Lippen leise Gebete für
die Abgeschiedenen. Die Orgel begleitete das Amt und ihre
bald rauschenden, bald Nagenden Töne erreichten auch das Ohr
einer einsamen Beterin, die außerhalb der Kirche an einem
einfach aber sorgfältig geschmückten Grabe kniete.
Die letzten Akkorde erNangen >vie versöhnend und tröstend und
schienen auch beruhigend auf sie zu ivirken, denn nachdem sie erst lange
gebetet und dabei heftig geweint hatte, stand sie nun auf. trocknete
ihre Thränen und lehnte dann unbeweglich und lautlos am ärm-
lichen Kreuze. Wer sie so gesehen hätte, die hohe, schlanke, ob-
gleich kräftige Gestalt beinahe ganz verhüllt unter einem großen,
grauen Regentuche, mit trübem Blicke in den Sec hinausstarrend.
einen Zug tiefen Leids in dem sonst blühend frischen Gesichte.
Hütte das junge Mädchen eher für ein meisterhaft aus Stein ge-
hauenes Grabmal, als für ein lebendes Wesen gehalten.
Schwere Schneewolken hingen über den Bergen und schienen
an mehreren Stellen Eins zu sein mit dem dichten Nebel, der über
dem See lagerte. Ein scharfer, durchdringender Wind trieb den
Gischt des Wassers in feinem Regen bis zum Kirchhof und wühlte
im Giebel. Gestalten bildend, die gleich Geistererscheinungen, auf
dunklerm Grunde gegen die Spitze der Berge zogen.
Das Mädchen schien den Frost nicht zu fühlen, hingegen
eine Art Genuß in der düster» Aussicht zu finden, wie sie heute
der Kirchhof bot — derselbe Kirchhof, der weitberühmt ist unter
Künstlern und Naturfreunden ob seiner heitern und poetischen
Lage bei klarem Himmel.
Versunken in den Anblick der Nebelgcstalten. hatte sie nicht
bemerkt, wie beim Verklingen der letzten Orgeltöne einzelne An-
dächtige aus der Kirche traten, denen bald mehrere und mehrere
folgten, die nun zwischen den bluincngeschmückte» Gräbern hin-
und hergingcn. diese mit Weihivasser besprengten und still dazu
beteten, mitunter auch halblaut plauderten.
„Schaut nur die arme Klara an," sagte eine gutmüthig.
aber ärmlich aussehende alte Frau zu einem noch ziemlich jungen
reichgelleideten Weibe, das am Grabe seines erst vor einem Jahre
gestorbenen Mannes andächtig den Weihwedel schwenkte, wie
blaß sie aussieht und wie sie dasteht als säh' und hörte sic gar
*) In der dortigen Landessprache werden diese „Trotteln" genannt.
Die Hallstädt
Felsenriffe und den Wasserspiegel erzeugen ein wahres Meer von
Glanz. Jede Welle ist Feuer, jeder Tropfen am Ruder ein
leuchtender Diamant. Man gedenkt des Glanzes vor Gottes
Thron, dessen Helle kein Menschenauge ertragen kann. Dazu
das frische, saftige. lichtdurchglühte Grün der Vegetation. wie
man es nur in den Alpen findet. Klarheit über, unter uns. von
weichen, balsamischen Lüften umfächelt, und nur wenige Ruder-
schläge weiter — und die finstre Schlucht von Hallstadt gähnt
uns an. deren eisigen Hauch nur spärlich und spät am Tage
ein einsamer Sonnenstrahl erwärmt.
Weiter als in diese Schlucht um den dortigen großen Wasser-
fall. den sogenannten Strupp zu besehen, dringt selten eines
Fremden Fuß. Die allerwürts eng aneinandergerückten, senk-
rechten Felswände scheinen, so wie den Sonnenstrahlen, so auch
den Menschen jedes weitere Eindringen zu verwehren. Doch eben
hier und in den angrenzenden Gebirgsstöcken des Dachsteins um-
schließt die Ratur ihre herrlichsten Kleinodien. Blinkende Seen,
wie verlorne Edelsteine, am Fuße von Eisregionen, gefahrvolle
Pfade mit unvergleichlichen Fernsichten. Alpendlumcn so zart
und duftig, wie von Elfenhand gewoben. Felsenzacken so aben-
teuerlich wie die Sagen, die sich daran knüpfen. Und auch die schnei-
dendsten Eontraste vermittelt durch die Allem gemeinsame, unaus-
sprechliche Schönheit.
Das sind die Schätze, die sich hier in reicher Fülle dem
Beschauer bieten, dem getreuen, liebenden Sohn der Natur, der
weder Hinderniß. noch Anstrengung und Gefahr scheute, um bis
hieher zu dringen. Hier in lautloser Stille redet sie in einer
Sprache zu ihm. die der Alltagswelt fremd, in einer Sprache,
die nur die Tiefe der Seele kennt.
Ein lebenskräftiger, treuherziger Schlag Menschen wohnt
auf den Bergen, in den Thälern Salzkammerguts. die die Na-
tur so verschwenderisch mit Reiz geschmückt. Nur in Hallstadt
selbst ist es anders.
Das wonnetrunkne Auge des zum ersten Male dort Lan-
denden sucht unwillkührlich die Gestalt der Bewohner in Ein-
klang mit der Herrlichkeit zu bringen, die es um sich schaut, und
sieh da! dicht am Ufer fällt der Blick auf eine Schaar halb
Eckel, halb Entsetzen erregender Geschöpfe, halb Thier, halb Mensch,
klein, plump, mit unförmlichen Köpfen und blödsinnigen, häßlichen
Gesichtern, großen Kröpfen und Höcker» und sonstigen Verkrüppel-
ungen und Verunstaltungen aller Art. Sie drängen lärmend
und streitend näher. Sprechen sie? Nein, sie lallen nur unver-
ständliche. unartikulirte Laute und strecken die Arme aus um zu
betteln. Sind's Kobolde, die jene Schwalbennester der Felswand
bewohnen und den Fremden den Eintritt wehren? oder sind's
menschliche Wesen, die die Natur verthieren ließ zur Strafe für
das Eindringen in ihre Prachtregionen, die sie hier mit so
dräuenden Zinnen schützte? oder ist cs der Fluch der Unvoll-
kommenheit, der an allem Erschaffnen haftet, und der hier
zur Ausgleichung die Menschen uni so mehr traf, als das Land
so bezaubernd schön?
Wie dem auch sei, es ist der Cretinismus in seiner scheuß-
lertro ttel.
lichsten Gestalt und so häufig vorkommend, daß man glauben
könnte, ganz Hallstadt sei mit Cretinen*) bevölkert.
Die Enge der Thalschlucht bei der himmelanstrebenden Höhe
der Felsen, die nur um die Mittagszeit den Sonnenstrahlen Ein-
tritt geivähren. die beständige Feuchtigkeit der an den Bergwänden
klebenden, beinahe unterirdischen Wohnungen machen diese schreck-
liche Entartung der Menschennatur wohl für immer hier ein-
heimisch.
I.
Es war Allerheiligen. Im alterthümlichen Kirchlein von
Hallstadt ward Frühgottesdienst gehalten. Hunderte von Lichtern
flimmerten für die Todten einem frommen Gebrauch zur Folge
un) neben den Kerzen inurmelten die Lippen leise Gebete für
die Abgeschiedenen. Die Orgel begleitete das Amt und ihre
bald rauschenden, bald Nagenden Töne erreichten auch das Ohr
einer einsamen Beterin, die außerhalb der Kirche an einem
einfach aber sorgfältig geschmückten Grabe kniete.
Die letzten Akkorde erNangen >vie versöhnend und tröstend und
schienen auch beruhigend auf sie zu ivirken, denn nachdem sie erst lange
gebetet und dabei heftig geweint hatte, stand sie nun auf. trocknete
ihre Thränen und lehnte dann unbeweglich und lautlos am ärm-
lichen Kreuze. Wer sie so gesehen hätte, die hohe, schlanke, ob-
gleich kräftige Gestalt beinahe ganz verhüllt unter einem großen,
grauen Regentuche, mit trübem Blicke in den Sec hinausstarrend.
einen Zug tiefen Leids in dem sonst blühend frischen Gesichte.
Hütte das junge Mädchen eher für ein meisterhaft aus Stein ge-
hauenes Grabmal, als für ein lebendes Wesen gehalten.
Schwere Schneewolken hingen über den Bergen und schienen
an mehreren Stellen Eins zu sein mit dem dichten Nebel, der über
dem See lagerte. Ein scharfer, durchdringender Wind trieb den
Gischt des Wassers in feinem Regen bis zum Kirchhof und wühlte
im Giebel. Gestalten bildend, die gleich Geistererscheinungen, auf
dunklerm Grunde gegen die Spitze der Berge zogen.
Das Mädchen schien den Frost nicht zu fühlen, hingegen
eine Art Genuß in der düster» Aussicht zu finden, wie sie heute
der Kirchhof bot — derselbe Kirchhof, der weitberühmt ist unter
Künstlern und Naturfreunden ob seiner heitern und poetischen
Lage bei klarem Himmel.
Versunken in den Anblick der Nebelgcstalten. hatte sie nicht
bemerkt, wie beim Verklingen der letzten Orgeltöne einzelne An-
dächtige aus der Kirche traten, denen bald mehrere und mehrere
folgten, die nun zwischen den bluincngeschmückte» Gräbern hin-
und hergingcn. diese mit Weihivasser besprengten und still dazu
beteten, mitunter auch halblaut plauderten.
„Schaut nur die arme Klara an," sagte eine gutmüthig.
aber ärmlich aussehende alte Frau zu einem noch ziemlich jungen
reichgelleideten Weibe, das am Grabe seines erst vor einem Jahre
gestorbenen Mannes andächtig den Weihwedel schwenkte, wie
blaß sie aussieht und wie sie dasteht als säh' und hörte sic gar
*) In der dortigen Landessprache werden diese „Trotteln" genannt.