Die Hallstädtertrottel. 107
nicht. Das arme Kind wird gewiß noch krank vor lauter Kum-
mer um den todten Vater."
„Thätest wohl besser, dich um ehrliche Christenmenschen zu
kümmern, als um so eine Ketzerin, die doch nicht besser ist. als
eine Heidin, wie unser Herr Pfarrer sagt. Und was ihr Herze-
leid betrifft, so wird's nicht so weit her sei», kann sie doch lieb-
äugeln mit allen Männern. Weiß nicht, wo der reiche Müller
hingeschaut hat. daß er sich in die Larve vergafft. Der hütt'
sich doch was Gescheidtres aussuchen können."
„Euch vielleicht." murmelte die Alte zwischen den Zähnen,
und fügte dann laut hinzu: „Redet doch nicht so gottlos heut
am heiligen Tage. Wenn die Klara Allen gefällt, so kann sic
wahrhaftig nichts dafür. Liebäugeln thut sie mit Keinem, und
der reiche Müller ist ihr obendrein zuwider!"
„Braucht schon noch heikel zu sein auch die dumme Dirne."
brummte die Andre, „nächstens wird sie doch vor unsrer Thür
betteln sammt ihrer Mutter, wenn's ihr nicht gelingt, mit ihren
Listen den Müller einzufädcln. Wie sich die Ketzerin nur ge-
trauen mag hier unter uns zu beten."
„So arm ich bin, bei meiner Thür soll sie immer ein Stück
Brod finden. Aber besser. Gott' behüt' sie vor solchen Wegen. Ist
abscheulich kalt heute, der Nebel dringt Einem bis ins Mark.
Behüt' Gott. Frau Nachbarin, muß hcimgcheu. mein Alter war-
tet nicht gern lange auf seine Suppe."
So lauteten mehr oder minder die Urtheile über Klara,
die bald von den Meisten bemerkt worden war. Die Wenigsten
ließen ihr Gerechtigkeit widerfahren, indem sic ihre Sitffnmkeit,
ihren Fleiß, ihre Dicnstwilligkeit rühmten, und Alle, selbst die
Männer, die im Allgemeinen billiger waren, da sie sie nicht uni
ihrer Schönheit willen beneideten, konnten nicht umhin, etivas Un-
gehöriges an ihrem Hiersein zu dieser Zeit zu finden.
Sie schien das selbst zu fühlen, denn nachdem sie das halb-
laute Gespräch der beiden Bäuerinnen, von dem sie einzelne Worte
erreicht, aus ihrer Betäubung erweckt hatte, hüllte sie sich tiefer
in ihr Tuch und kniete nochmals am Grabe nieder, scheinbar,
um fortzubctcn. in der That aber um so weniger bemerkt zu
werden, denn sie blickte unruhig über ihre gefalteten Hände hin-
weg, bis sie zu ihrer Freude bemerkte, daß der Kirchhof sich leerte,
weil der Frost die Leute heimtrieb. Als sie wieder allein war.
drückte sie noch einen Abschiedskuß auf die thcure'Stellc und eilte
rasch von dannen.
Beim Vorbeistreifen an der Kirche schien es ihr, als bewege
sich etwas in der Kirchthürecke.
Sie meinte, es sei ein Kind, das sich vielleicht verspätet,
und mitleidig wie sie war. ging sie darauf zu. An den unförm-
lichen Umrissen des zerlumpten Geschöpfs, das wie erstarrt an
dem gothischen Pfeiler lehnte, erkannte sie bald, daß cs eine Trot-
tel sein müsse, und wunderte sich, wie man sie habe vergessen
können. Zum Glück für diese armen Wesen nämlich, pflegen
ihre Angehörigen sie gewöhnlich mit liebreicher Sorgfalt, dem
frommen Glauben zufolge. daß eine Trottel dem Hause Glück
bringe.
Auf Klaras freundliche Anrede hob die Trottel den Kopf, j
und jene erblickte nun erstaunt ein uraltes, runzliches Gesicht,
während sie der Größe nach erwartet hatte, ein Kind zu finden,
und unter den eisgrauen Wimpern blickten sie ein paar blitzende
klugen so durchdringend an, daß sie beinahe davor erschrack.
„Wie kömmst du hieher?" frug sie sie endlich. „ich kenne
dich nicht, du bist nicht aus Hallstadt."
Die Alte schüttelte mit dem Kopfe, wies gegen die Berge
hin, und hauchte in ihre erstarrten, runzlichen Hände, zum
Zeichen, daß sie friere. In der That konnte sie sich nur zitternd
aufrecht halten, und cs war zweifelhaft, ob mehr aus Altersschwäche
oder vor Hunger und Kälte.
„Nicht wahr, du frierst, und ich bin so einfältig, dich da
auszufragen. Komm mit. dann kannst du dich an unserm Feuer
wärmen. Oder kennst du Jemand im Orte ? Soll ich dich in
ein andres Haus führen?"
Die Greisin verneinte und erhob bittend die Hände.
„So komm nur. ich führe dich, und was wir armen Leute
dir thun können, geschieht von Herzen gerne."
Die Alte schritt rascher als Klara dachte, und nachdem sie
bald Stufen binauf. bald Stufen hinunter überschritten, bald sich
durch enge, schlüpfrige Steige durchgewunden hatten, blieb iwch
eine mäßige Anhöhe zu erklimmen, und sie standen vor Klaras
Hütte, dem am höchsten liegenden und dcßwegcn auch wohl ge-
sündesten Wohnorte von Hallstadt. Klara hatte still sinnend
über ihre seltsame Begleiterin den Weg zurückgclegt. und darüber
eine Weile beinahe das eigene tiefe Leid vcrgcffcn. Wer war sie wohl ?
und woher? und warum so allein bei ihrem Alter und ihrer
Hilflosigkeit? War sie eine Trottel, wie ihre Gestalt verrieth,
oder war sie blos Mißgestalt und stumm? Sic schien nichts weniger
als blödsinnig. All dies und mehr waren Fragen, die sie sich
nicht zu beantworten wußte.
Klaras Mutter, die ihrer schwachen Gesundheit wegen an
diesem rauhen Tage daheim geblieben war, und eben eifrig in
ihrer Bibel las, enipfing herzlich den unerwarteten Gast. Schnell
ward ihr der beste Platz am warmen Kachelofen eingeräumt, der
beinahe die ganze Höhe des niedrigen Stübchens einnahm, und das
Einzige, was der ärmliche Haushalt bieten konnte, ein Stück
schwarz Brod und Ziegenkäse ihr vorgesetzt. Die arme Alte
schien nicht hungrig, hingegen gewaltig müde, denn obwohl sie
mit ihren Gebcrdcn eifrig dankte, rührte sie doch nichts von dem
Angebotenen an. und nachdem sie ihre erstarrten Glieder erwärmt,
rückte sie tiefer in die Ofencckc, wo sic bald darauf einschlief.
Als Klaras Mutter die Alte schlafen sah. winkte sie die
Tochter zu sich, die eben wieder hcrcintrat. nachdem sie sich ihres
vom Nebel durchnäßten Gewandes entledigt hatte, und frug sie
begierig, wie sie zu der Alten gekommen sei.
Was Klara wußte, oder vielmehr nicht wußte, war bald ge-
sagt. und nach kurzem Hin- und Herrcdcn ward für jeden
Fall beschlossen, sie in der Hütte zu behalten und bestmöglichst
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nicht. Das arme Kind wird gewiß noch krank vor lauter Kum-
mer um den todten Vater."
„Thätest wohl besser, dich um ehrliche Christenmenschen zu
kümmern, als um so eine Ketzerin, die doch nicht besser ist. als
eine Heidin, wie unser Herr Pfarrer sagt. Und was ihr Herze-
leid betrifft, so wird's nicht so weit her sei», kann sie doch lieb-
äugeln mit allen Männern. Weiß nicht, wo der reiche Müller
hingeschaut hat. daß er sich in die Larve vergafft. Der hütt'
sich doch was Gescheidtres aussuchen können."
„Euch vielleicht." murmelte die Alte zwischen den Zähnen,
und fügte dann laut hinzu: „Redet doch nicht so gottlos heut
am heiligen Tage. Wenn die Klara Allen gefällt, so kann sic
wahrhaftig nichts dafür. Liebäugeln thut sie mit Keinem, und
der reiche Müller ist ihr obendrein zuwider!"
„Braucht schon noch heikel zu sein auch die dumme Dirne."
brummte die Andre, „nächstens wird sie doch vor unsrer Thür
betteln sammt ihrer Mutter, wenn's ihr nicht gelingt, mit ihren
Listen den Müller einzufädcln. Wie sich die Ketzerin nur ge-
trauen mag hier unter uns zu beten."
„So arm ich bin, bei meiner Thür soll sie immer ein Stück
Brod finden. Aber besser. Gott' behüt' sie vor solchen Wegen. Ist
abscheulich kalt heute, der Nebel dringt Einem bis ins Mark.
Behüt' Gott. Frau Nachbarin, muß hcimgcheu. mein Alter war-
tet nicht gern lange auf seine Suppe."
So lauteten mehr oder minder die Urtheile über Klara,
die bald von den Meisten bemerkt worden war. Die Wenigsten
ließen ihr Gerechtigkeit widerfahren, indem sic ihre Sitffnmkeit,
ihren Fleiß, ihre Dicnstwilligkeit rühmten, und Alle, selbst die
Männer, die im Allgemeinen billiger waren, da sie sie nicht uni
ihrer Schönheit willen beneideten, konnten nicht umhin, etivas Un-
gehöriges an ihrem Hiersein zu dieser Zeit zu finden.
Sie schien das selbst zu fühlen, denn nachdem sie das halb-
laute Gespräch der beiden Bäuerinnen, von dem sie einzelne Worte
erreicht, aus ihrer Betäubung erweckt hatte, hüllte sie sich tiefer
in ihr Tuch und kniete nochmals am Grabe nieder, scheinbar,
um fortzubctcn. in der That aber um so weniger bemerkt zu
werden, denn sie blickte unruhig über ihre gefalteten Hände hin-
weg, bis sie zu ihrer Freude bemerkte, daß der Kirchhof sich leerte,
weil der Frost die Leute heimtrieb. Als sie wieder allein war.
drückte sie noch einen Abschiedskuß auf die thcure'Stellc und eilte
rasch von dannen.
Beim Vorbeistreifen an der Kirche schien es ihr, als bewege
sich etwas in der Kirchthürecke.
Sie meinte, es sei ein Kind, das sich vielleicht verspätet,
und mitleidig wie sie war. ging sie darauf zu. An den unförm-
lichen Umrissen des zerlumpten Geschöpfs, das wie erstarrt an
dem gothischen Pfeiler lehnte, erkannte sie bald, daß cs eine Trot-
tel sein müsse, und wunderte sich, wie man sie habe vergessen
können. Zum Glück für diese armen Wesen nämlich, pflegen
ihre Angehörigen sie gewöhnlich mit liebreicher Sorgfalt, dem
frommen Glauben zufolge. daß eine Trottel dem Hause Glück
bringe.
Auf Klaras freundliche Anrede hob die Trottel den Kopf, j
und jene erblickte nun erstaunt ein uraltes, runzliches Gesicht,
während sie der Größe nach erwartet hatte, ein Kind zu finden,
und unter den eisgrauen Wimpern blickten sie ein paar blitzende
klugen so durchdringend an, daß sie beinahe davor erschrack.
„Wie kömmst du hieher?" frug sie sie endlich. „ich kenne
dich nicht, du bist nicht aus Hallstadt."
Die Alte schüttelte mit dem Kopfe, wies gegen die Berge
hin, und hauchte in ihre erstarrten, runzlichen Hände, zum
Zeichen, daß sie friere. In der That konnte sie sich nur zitternd
aufrecht halten, und cs war zweifelhaft, ob mehr aus Altersschwäche
oder vor Hunger und Kälte.
„Nicht wahr, du frierst, und ich bin so einfältig, dich da
auszufragen. Komm mit. dann kannst du dich an unserm Feuer
wärmen. Oder kennst du Jemand im Orte ? Soll ich dich in
ein andres Haus führen?"
Die Greisin verneinte und erhob bittend die Hände.
„So komm nur. ich führe dich, und was wir armen Leute
dir thun können, geschieht von Herzen gerne."
Die Alte schritt rascher als Klara dachte, und nachdem sie
bald Stufen binauf. bald Stufen hinunter überschritten, bald sich
durch enge, schlüpfrige Steige durchgewunden hatten, blieb iwch
eine mäßige Anhöhe zu erklimmen, und sie standen vor Klaras
Hütte, dem am höchsten liegenden und dcßwegcn auch wohl ge-
sündesten Wohnorte von Hallstadt. Klara hatte still sinnend
über ihre seltsame Begleiterin den Weg zurückgclegt. und darüber
eine Weile beinahe das eigene tiefe Leid vcrgcffcn. Wer war sie wohl ?
und woher? und warum so allein bei ihrem Alter und ihrer
Hilflosigkeit? War sie eine Trottel, wie ihre Gestalt verrieth,
oder war sie blos Mißgestalt und stumm? Sic schien nichts weniger
als blödsinnig. All dies und mehr waren Fragen, die sie sich
nicht zu beantworten wußte.
Klaras Mutter, die ihrer schwachen Gesundheit wegen an
diesem rauhen Tage daheim geblieben war, und eben eifrig in
ihrer Bibel las, enipfing herzlich den unerwarteten Gast. Schnell
ward ihr der beste Platz am warmen Kachelofen eingeräumt, der
beinahe die ganze Höhe des niedrigen Stübchens einnahm, und das
Einzige, was der ärmliche Haushalt bieten konnte, ein Stück
schwarz Brod und Ziegenkäse ihr vorgesetzt. Die arme Alte
schien nicht hungrig, hingegen gewaltig müde, denn obwohl sie
mit ihren Gebcrdcn eifrig dankte, rührte sie doch nichts von dem
Angebotenen an. und nachdem sie ihre erstarrten Glieder erwärmt,
rückte sie tiefer in die Ofencckc, wo sic bald darauf einschlief.
Als Klaras Mutter die Alte schlafen sah. winkte sie die
Tochter zu sich, die eben wieder hcrcintrat. nachdem sie sich ihres
vom Nebel durchnäßten Gewandes entledigt hatte, und frug sie
begierig, wie sie zu der Alten gekommen sei.
Was Klara wußte, oder vielmehr nicht wußte, war bald ge-
sagt. und nach kurzem Hin- und Herrcdcn ward für jeden
Fall beschlossen, sie in der Hütte zu behalten und bestmöglichst
14*