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Herzog und Koch.

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I mir in dieser hochwichtigen Angelegenheit zu thun nöthig scheint,
j ist, daß wir uns meiner Schwester versichern. Wir muffen ihr
■ die Sache auf eine schickliche Weise mittheilen und ihr zu be-
i denken geben, welche große Unehre auf unsere hochachtbare
Familie durch ein unstatthaftes Benehmen von sihrer Seite
kommen könnte. Ist das vor der Hand nicht das Beste? Was
meint Ihr dazu, Herr Bruder?"

„Ganz meine Meinung; das wird das Beste sein," erwi-
, bette hastig.der Koch, froh, nur irgend einen Weg ins Holz
zu sehen. Außerdem hatte ihn auch schon längst der Gedanke
gepeinigt, wie er seiner Frau die Sache am besten beibrächte
und sich ihrer versicherte, denn sein Herz war durchaus nicht
frei von Aengstlichkeit in Betreff des hohen Rivalen. Auf
die angegebene Art ivard er wenigstens der einen Müheleistung
überhoben.

„So wollen wir durchaus nicht zögern. Die Veste möchte
sonst ohne Vertheidiger befunden und leicht überrumpelt werden."
Selbstgefällig über seinen Witz lachend, öffnete er einen Kleider-
schrank, der dem Canapee gegcnüberstand, holte den bekannten
chocoladefarbigen Rock heraus, den er mit dem blumigen Haus-
rock vertauschte. Während er sich zum Ausgehen rüstete, Vor-
j bercitungen, die ziemlich lange Zeit wegnahinen, trat sein Schwa-
l ger ans Fenster und schaute .sinnend hinaus. In Gedanken
durchschritt 'er die Straßen, eilte ins Haus und trat ins Zim-
mer, lärmend bewillkommt von den beiden Sproffen, mit einem
lieben Blick und freundlichem Wort von seiner Frau begrüßt.
— Und das alles sollte anders werden? Es ward ihm feucht
i in den Augen, er drehte sich rasch um. Eben setzte sein Schwa-
! ger den Dreieckigen auf sein würdiges Haupt und griff zum
i Stocke. Einen Augenblick später verließen Beide, in ernstes Ge-
spräch vertieft, das Haus.

Wie einstmals der hinkende Teufel Asmodi den flotten
! Studenten Don Zerbino, so entführen wir a colli jetzt den gelieb-
! ten Leser über die Gaffen Hinwegs und gestatten ihm vermöge
j der uns vom Gott der Dichtkunst und Zauberei verliehenen Kraft
! den Einblick in die Parterrestube des Hauses, auf dessen First
. wir, von der Abenddämmerung eingehüllt, ungesehen sitzen *). j
! Der erste Gegenstand, der unsre Aufmerksamkeit mit vollem
Rechte unb wie das bei jungen Leuten natürlich und verzeihlich
! ist, auf sich zieht, ist eine junge, sehr hübsche Frau. Ein Kopf-
i putz, wie ihn jetzt die Baucrnweiber tragen, der aber damals
! bei den Bürgerfrauen üblich war, konnte ihr hellblondes Haar
j nicht ganz verdecken, ein Mieder von nicht ganz ordinärem
j Stoff schloß sich dicht an der schmalen Hüfte und der falten-
s reiche Rock ging nicht ganz hernieder, so daß ein paar recht
j niedliche Füße sichtbar wurden. In der Thal war es eine Er-

*) Erzähler kann sich kecklich rühmen, mächtiger zu sein als der
kleine „Hinkende." Denn er läßt den Leser nach der luftigen Fahrt
auf einem Hause nieder, das nicht mehr steht und zeigt ihm eine
Schöne, die vor hundert Jahren blühte. Er kann sich wohl mit
Mephisto, dem Helena-Beschwörer, meffen.

scheinung, die selbst fiirstliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen
konnte. Der Leser erräth oder weiß schon längst, wenn wir vor
uns haben. Wen anders, als Frau Karoline Müller, geborne
Agricola? Das Gesicht der kleinen Frau ist ein treuer Spiegel
ihrer ivechselnden Empfindungen. Jetzt zieht sie die Augen-
brauen zusammen und am Munde bildet sich ein recht trotziger
Winkel. Doch nach einiger Zeit glättet sich die Stirn wieder
und Angst und Besorgniß nehmen ihren Sitz auf derselben.
Sie springt vom Tische auf, wo eine Oellampe einen kleinen
Lichtkreis um sich verbreitet, wirft ihre Arbeit zugleich, hin und
geht zum Fenster; sie öffnet und lauscht. Frau Müller befand
sich in Wahrheit seit mehreren Stunden in einer qualvollen
Stimmung. Als ihr Mann, der gewöhnlich um vier Uhr
Nachmittags nach Hause kam. um fünf Uhr noch nicht da
war, dachte sie nichts, denn das war zuweilen schon vorge-
fallen ; um sechs Uhr war sie ängstlich und machte sich bis
sieben Uhr allerhand traurige Vorstellungen; nach sieben ivard
sie sehr böse, weil er noch immer nicht da war und ihr im
Falle einer wichtigen Abhaltung nichts hatte sagen laffen. Der
Zorn wich aber bald der Angst wieder. Um acht Uhr hatte
sie die Kinder ins Bett gebracht und hatte sich eine kleine
Strecke vom Hause entfernt, um bei der Nachbarschaft anzu-
fragen, ob vielleicht ihr Mann an einem oder dem andern Orte
eingekehrt sei. Nirgends hatte man seit Vormittag etwas von
ihm gesehen. Mit schwerem Herzen kehrte sie in ihre einsame
Stube zurück. „Wo er nur bleibt! Ach, lieber Gott! es wird
ihm doch kein Unglück widerfahren sein!" seufzte sie. Jetzt
hörte sie Stimmen, sie näherten sich der Thüre ihres Hauses.
Die Männer blieben stehen. Sie öffnete, das Licht in der Hand,
voll düstrer Ahnungen, die Stubenthür, um zu leuchten. Die
Leute gingen ins Nebenhaus. Traurig kehrte sie zu ihrer Ar-
beit zurück. Nicht lange kam ein Wagen langsam die Straße
hergesahren, immer langsamer schien es, je näher er ihrem Hause
kam. Ein Todesschreck durchfuhr sie, sie erwartete jeden Augen-
blick, das Geschirr werde halten und mit zeibrochnen Gliedmaßen
oder gar tobt werde man ihren Eheherrn abladen. Sie schlich
zum Fenster (die schreckliche Vorstellung schon hatte ihr die
Glieder gelähmt) und hatte kaum den Muth hinauszusehen —
aber der Wagen war vorbei — im Fluge erblickte sie noch
einen dicken Mann, der schwerlich die Beine oder das Genick
gebrochen hatte. Endlich hörte sie die Tritte zweier Männer —
das eine war ihr Christian — er mußte es sein. In dem
Augenblicke, wo sich die Thüre öffnete und sie ihn lebend und
mit ganzen Gliedern vor sich sah, kehrte aber auch ihr gerechter
Unwille zurück, der sich indeffen aus dem Vordergrund ihrer
Seele durch Erstaunen und Neugierde drängen ließ, zu so später
j Zeit ihren Bruder noch bei sich zu sehen. Und welche Wich-
tigkeit hatte Herr Agricola in seine Gesichtsfalten zu legen ge-
wußt. Ich wette, der Anblick dieser Physiognomie hätte die
gleichgültigste Seele mit einer brennenden Neugierde erfüllt.
Christian ging etwas unsicher auf seine Frau zu, denn es fiel
ihm mit einemmal centnerschwer aufs Herz, wie rücksichtslos er
gegen seine Frau gewesen, faßte ihre Hand 'und schnitt ihre
Frage, wo er in aller Welt bleibe? ehe sie noch ganz ausge-
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