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Der böhmische Wenzel.

der Mann, der einen ganzen Eimer Bier trinkt und ein ganzes
Kalb dazu verzehrt; alles in Zeit von sechs Stunden."

War den Herren schon der Eimer Bier bei weitem zu
viel, so wurden sie nun geradezu stocknärrisch, als sie auch
noch von dem Kalbe hörten.

„Non Oien, man Dien, Err Gcrichtshalter, Hab Sie
verlor den Verstand, oder wollen Sie macken schlecht Spaß
mit uns?"

„Keines von beiden, meine Herrn; ich rede im vollen
Ernst, und wette auf das Kalb noch extra zehn Louisd'or,
und zwar mit jedem, der da will."

„Ich nehme an, wir Alle nehmen an," rief es von
allen Seiten; die Börsen flogen aus den Taschen, so daß
selbst dem gestrengen Herrn, trotz der zuversichtlichen Miene
des neben ihm stehenden Wenzel, etwas unheimlich zu Muthe
ward.

Es wurde nun sogleich ein Kalb herbeigeschafft.

Wenzel, dem schon der Mund wässerte, machte sich eifrig
darüber her, es zu zerlegen und in einem großen Kessel zu
sieden. Hernach löste er das Fleisch von den Knochen, zer-
hackte es in kleine Stücke, schmorte es in einer ungeheuren
Pfanne und ließ sich dann den appetitlichen Bissen auftragen;
zwei Profosen übernahmen dieses Geschäft, ein Tambour
wurde neben einen aufgestapelten Banzen frischen Bieres als
Mundschenk beordert und die Zeit auf den Uhren notirt;
es war zwei Uhr. Jetzt gings also wirklich los.

Mehrere alte Leute, die bei diesem Auftritte gegenwärtig
waren, haben mich versichert, daß Wenzel, als er das ge-
bratene Kalb vor sich, den Banzen Bier neben sich sah, ein
ganz verklärtes Gesicht gemacht habe; seine sonst harten Züge
haben eine merkwürdige Sanftheit und Weichheit angenommen, j
daß man deutlich das Entzücken lesen konnte, welches er em-
pfunden haben mußte, weil er sich nun einmal so recht auf
Regimentsunkosten einen guten Tag aufthun konnte.

Wenzel griff zu, ohne sich im Mindesten zu geniren; die
ersten Bissen schienen ihm aber nicht sonderlich zu munden.
Er legte die Gabel bald wieder weg, und schaute bedächtig
bald auf den Tambour, der mit einem blanken Halbeglase
des Befehls zum Einschenken harrte, bald auf die Herren
Officiere, bald auf den gestrengen Herrn.

Die Franzosen steckten die Köpfe sehr bedeutungsvoll zu-
sammen.

Der Herr Gerichtshalter rauchte ganz gemüthlich aus
seiner Meerschaumpfeife. —

Wenzel griff wieder zu und verlangte eine Halbe Bier.
Eine halbe Stunde war bereits vergangen.

Die Herren Franzosen flüsterten einander zu, warfen ver-
stohlene Blicke aus den gestrengen Herrn, und dem Tambour
wurde die Zeit lang.

Der gestrenge Herr klopfte seine Pfeife aus und füllte sie
I aufs neue.

Jetzt schien Wenzels Appetit etwas zu wachsen; er griff
tapfer an, daß in dem Wall von Fleisch eine ziemliche Bresche
entstand; aufs Bier aber schien er gänzlich vergessen zu haben,

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denn es war nun eine Stunde vorüber und er hatte erst zwei
Halbe getrunken.

Die Franzosen erzählten von ihren Kriegsthaten, schauten
nur zuweilen auf Wenzel, der Tambour hatte sich zu seinen
Kameraden verfügt. Der gestrenge Herr rauchte fürbaß.

Die zweite Stunde war vorüber; Wenzel hatte das
Fleisch fast zur Hälfte verzehrt, aber erst drei Halbe Bier
getrunken. Er seufzte und winkte dem Tambour.

Die Franzmänner warfen triumphirende Blicke herum,
erzählten, wie sie Erzherzog Ludwig und General Hiller von
der Donau und dem Erzherzog Karl abgeschnitten hatten,
wie letzterer nur durch sein schnelles Pferd der Gefangen-
schaft entronnen sei, und vermaßen sich großsprecherisch in
vier Wochen in Wien zu sein.

Der Gerichtshalter runzelte die Stirn und schaute zweifel-
haft auf Wenzel.

Jetzt war die dritte Stunde verflossen, vom Fleisch waren
ohngefähr zwei Drittel verzehrt, und Wenzel rief: „Tam-
bour, jetzt bring mir a mal a ganze Maaß, mit dem lausigen
Glasl da is mir dös Ding all's z langweilt."

Des gestrengen Herrn Miene erheiterte sich wieder, die
Franzosen aber stutzten, ließen sich jedoch im Gespräch nicht
irre machen.

Ehe noch die vierte Stunde verflossen, war vom Fleische
nichts mehr zu sehen, der Tambour aber durfte sich nicht wieder
entfernen, denn Wenzel machte ihm allmählich zu schaffen.

Die Franzosen zogen die Uhren, fragten den Tambour,
wie oft er schon eingeschenkt hatte, und machten lange Ge-
sichter; dann erzählten sie, wie Karl Regensburg besetzt und
ein französisches Regiment gefangen genommen hatte.

Der gestrenge Herr war aufgestanden, um seine Abend-
suppe einzunehmen, die ihm heute besonders gut schmeckte.

Die fünfte Stunde war ebenfalls verronnen, und Wenzel,
als wenn er das Versäumte nachholen wollte, fing so un-
bändig zu trinken an, daß der Tambour vor lauter Ein-
schenken ganz außer Athem kam und nach einer Viertelstunde
die Meldung machte, er müsse einen Gehüsten bekommen oder
abgelöst werden.

Jetzt schauten die Franzosen curios darein, ihre Gesichter
wurden immer länger und länger, einige kratzten sich auch
hinter den Ohren. Der Herr Gerichtshalter aber ließ sich
seinen Abendtrunk schmecken.

Es schlug drei Viertel auf acht Uhr, und der Mundschenk
meldete mit lauter Stimme, daß der Banzen auf die Neige gehe.

Dies ivar ein Donnerwort für Wenzel, aber noch weit
mehr für die Herren Franzosen. Während ersterer wie aus
Zorn von seinem Sitze aufsprang, das Faß ergriff, mit dem
Spundloch an den Mund setzte und bis auf die Nagelprobe
leerte, hatten sich letztere alle erhoben und mit aufgerissenen
Mäulern um Wenzel versammelt, um mit Staunen und Ver-
druß zu sehen, wie ihre Hoffnung, die Wette zu gewinnen, .
in Wenzels mächtige Gurgel hinabrann.

Jetzt schlugs acht Uhr und die Franzosen sagten: „Dieser j
Mensel böhmisch sein dock ein ganser Teufelskerl."
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