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Vier und zwanzig Stunden auf dem Stuffenberge.
langer Peter!" rief ich aus und riskirte wahrhaftig noch einen
zweiten Freudensprung, aber diesmal vorsichtiger. Und dann
sah ich noch lange in die Nacht hinaus.
Früh 6 Uhr am andern Morgen spannte der Fritz das
Korbwägelchen an und hinein setzten sich die dicke Tante und
mein holdes Bräutchen auf den Rücksitz, ich aber neben den
Fritz auf den Vordersitz. So rollten wir den Berg hinab,
und die Leute in Gernrode machten nicht schlechte Augen, als
sie das hübsche Lenchen mit einem langen, dürren Magister
durch die Straßen fahren sahen. Sie mochten was wittern,
denn der Fritz hieb wie unsinnig auf den Braunen; es war ja
eine Brautfahrt. Man sah's den Leuten an den erstaunten
Gesichtern an, daß sie dachten: „da hätte ich mir doch einen
Andern genommen." Wahrhaftig, ich trug's den Leuten nicht
nach, wenn sie wirklich so dachten; ich war so recht in der
Stimmung, jede Anspielung auf die wenig vortheilhafte Er-
scheinung meines Jchs mit Gleichmuth zu ertragen. So unrecht
hatten sie ja überdem nicht; denn ein langer, unansehnlicher
Gesell war ich, das läßt sich einmal nicht leugnen und ich
will's ja auch gar nicht. Aber doch dächt' ich, ich hätte gerade
heute zehnmal besser und um zehn Jahre jünger ausgesehen als
sonst, schon um des Glückes und der süßen Befriedigung willen,
die mir aus den Augen leuchteten.
Es war ein prächtiger Sommermorgen; die Sonne lachte
auf Wald und Flur, aber nirgends lieblicher als auf den Wan-
gen meines Helenchens. O! sie glänzte vor Glück und Heiter-
keit fast schöner, heller als die Sonne selbst. Wäre nur die
langweilige Tante so vernünftig gewesen und hätte sich selbst
neben den Fritz gesetzt, mich aber neben dem Lenchen sitzen las-
sen. Aber keinen Funken von einer entfernten Idee schien sie
davon zu haben. Glücklicherweise währte die Fahrt nicht lange,
sonst hätte ich Gefahr gelaufen, mir den Hals zu verdrehen, so
oft wandte ich mich um, dem süßen, holden Bräutchen in die
Augen zutschen. Ich glaube, ich muß einem Wendehals nicht
ganz unähnlich gesehen haben.
Auf der Blachhütte ließen wir den Fritz und den Wagen.
Nun ging's gleich bergauf der Roßtrappe zu. Lenchen und ich
stogen wie zwei wilde Tauben voraus, die gute dicke Tante
keuchte wie eine Locomotive, der der Dampf ausgegangen, hin-
ter uns her. „Kinder!" rief sie einmal über das andere, „hat
denn die verfluchte Roßtrappe noch kein Ende!"
Als wir oben ankamen, saßen die drei Freunde im Freien
am Tische und tranken ihr Schälchen Kaffe. Sie bemerkten
uns nicht im Eifer des Gespräches, deffen Gegenstand meine
Wenigkeit war. „Weiß der Henker, was ich von der ganzen
Geschichte denken soll! ich werde zuletzt ganz dumm und dämelig
davon im Kopfe!" rief gerade der Nudelmaier, als wir dicht
bei ihnen waren. — „Ich will Dir die nöthige Aufklärung
geben, Nudelmaicr!" rief ich plötzlich dicht neben ihm, „hier
stelle ich Euch Helene Walther, meine Braut, und deren lie-
benswürdige Tante vor!"
Na! Leser, die Augen hättest Du sehen sollen, die sie
machten. O Kräuselfritz, Tu rissest die Deinigen besonders
weit aus, und Zwirn saß so verblüfft da, daß, wenn er nicht
mehr Contenance im Examen hat, ich ihm ohne ärztliche Kennt-
niffe einen tüchtigen Durchfall in Aussicht stelle. Das gab nun
ein Fragen, ein sich Verwundern, ein Erzählen und Erklären
und Glückwünschen, auch ein Lachen und ein sich Acrgern und
Gesichterschneiden, als ich die Listen und Manöver zum Besten
gab, durch die ich meine beiden Nebenbuhler beseitigt hatte;
und zuletzt saßen wir fröhlich zusammen und der Nudelmaier
sagte mir einmal über das andere: „Sieh', langer Peter, daß
Du dem Kräuselfritz ein so hübsches, wohlverdientes Zöpfchen
gemacht, darum Hab' ich Dich noch einmal so lieb, und nun
will ich auch bald Ernst machen und in vier Wochen habt Ihr,
so Gott will, eine Verlobungskarte."
Lenchen fühlte sich bald heimisch in unserm Kreise, nur die
gute, dicke Tante schien sich nicht gerade behaglich zu fühlen, be-
sonders als Kräuselfritz mit ihr von äußerer und innerer Mis-
sion zu sprechen anfing und ihr 300 Traktätchen zur Austhei-
lung an die Besucher des Stuffenbergs zu senden versprach.
Leser, heute, wo ich die Erzählung dieses kleinen, für mich :
aber so bedeutungsvollen Abenteuers gerade beendige, ist meines
Lenchens, die jetzt Frau Doktor Wagner heißt, neunzehnter Ge-
burtstag. Geibels gut getroffenes Bild, stattlich in breite, ächte
Goldleisten eingerahmt, und mit Blumen umkrünzt liegt als
.Angebinde auf dem Tische. „Carl!" spricht sie und fällt mir
dabei an die Brust, „das ist das schönste Geschenk, das Du
mir machen konntest. Denn Emanuel Geibel ist der Stifter
unseres Bundes. Gott segne ihn!" „Amen!" sprach ich und
Dir, lieber Leser, sag' ich: „Leb' wohl!"
Wie sich der Kassette Kintschinsky im Bln-
menthal bei Leipzig versündigte und darob ge-
straft wurde.
Eine traurige Erzählung.
In ein Thal, welches eigentlich kein Thal ist. wo statt
Nachtigallen Frösche singen und statt Veilchen Knoblauch duftet,
trat eines Tages ein niedergeschlagener Pole, Namens Kint-
schinsky.
„Was fange ich an, ich edler Flüchtling?" murmelte er
vor sich hin.
„Lotteriecollecteur war ich bereits und als Postillon ist
keine Carritzre mehr zu machen-o verfluchte Eisen-
bahn !"
In diesem Momente fiel sein linkes Auge (er schielte näm-
lich) auf eine Kartoffel, die am Wege faulte.
„Kartoffel!" murmelte er weiter, „ist das nicht die Lieb-
lingsfrucht der Sachsen? — Aber ich verstand mich nie auf
Oekonomie — doch siehe!" Und jetzt fiel sein rechtes Auge
auf eine zerbrochene Kaffetasse.
„Ich hab's, ich hab's, ich hab's!" rief er freudestrahlend
aus, und nach sechs Wochen errichtete er eine Wirthschaft im
Blumenthal, und kochte den seit dieser Zeit so berühmten Blümchen-
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Vier und zwanzig Stunden auf dem Stuffenberge.
langer Peter!" rief ich aus und riskirte wahrhaftig noch einen
zweiten Freudensprung, aber diesmal vorsichtiger. Und dann
sah ich noch lange in die Nacht hinaus.
Früh 6 Uhr am andern Morgen spannte der Fritz das
Korbwägelchen an und hinein setzten sich die dicke Tante und
mein holdes Bräutchen auf den Rücksitz, ich aber neben den
Fritz auf den Vordersitz. So rollten wir den Berg hinab,
und die Leute in Gernrode machten nicht schlechte Augen, als
sie das hübsche Lenchen mit einem langen, dürren Magister
durch die Straßen fahren sahen. Sie mochten was wittern,
denn der Fritz hieb wie unsinnig auf den Braunen; es war ja
eine Brautfahrt. Man sah's den Leuten an den erstaunten
Gesichtern an, daß sie dachten: „da hätte ich mir doch einen
Andern genommen." Wahrhaftig, ich trug's den Leuten nicht
nach, wenn sie wirklich so dachten; ich war so recht in der
Stimmung, jede Anspielung auf die wenig vortheilhafte Er-
scheinung meines Jchs mit Gleichmuth zu ertragen. So unrecht
hatten sie ja überdem nicht; denn ein langer, unansehnlicher
Gesell war ich, das läßt sich einmal nicht leugnen und ich
will's ja auch gar nicht. Aber doch dächt' ich, ich hätte gerade
heute zehnmal besser und um zehn Jahre jünger ausgesehen als
sonst, schon um des Glückes und der süßen Befriedigung willen,
die mir aus den Augen leuchteten.
Es war ein prächtiger Sommermorgen; die Sonne lachte
auf Wald und Flur, aber nirgends lieblicher als auf den Wan-
gen meines Helenchens. O! sie glänzte vor Glück und Heiter-
keit fast schöner, heller als die Sonne selbst. Wäre nur die
langweilige Tante so vernünftig gewesen und hätte sich selbst
neben den Fritz gesetzt, mich aber neben dem Lenchen sitzen las-
sen. Aber keinen Funken von einer entfernten Idee schien sie
davon zu haben. Glücklicherweise währte die Fahrt nicht lange,
sonst hätte ich Gefahr gelaufen, mir den Hals zu verdrehen, so
oft wandte ich mich um, dem süßen, holden Bräutchen in die
Augen zutschen. Ich glaube, ich muß einem Wendehals nicht
ganz unähnlich gesehen haben.
Auf der Blachhütte ließen wir den Fritz und den Wagen.
Nun ging's gleich bergauf der Roßtrappe zu. Lenchen und ich
stogen wie zwei wilde Tauben voraus, die gute dicke Tante
keuchte wie eine Locomotive, der der Dampf ausgegangen, hin-
ter uns her. „Kinder!" rief sie einmal über das andere, „hat
denn die verfluchte Roßtrappe noch kein Ende!"
Als wir oben ankamen, saßen die drei Freunde im Freien
am Tische und tranken ihr Schälchen Kaffe. Sie bemerkten
uns nicht im Eifer des Gespräches, deffen Gegenstand meine
Wenigkeit war. „Weiß der Henker, was ich von der ganzen
Geschichte denken soll! ich werde zuletzt ganz dumm und dämelig
davon im Kopfe!" rief gerade der Nudelmaier, als wir dicht
bei ihnen waren. — „Ich will Dir die nöthige Aufklärung
geben, Nudelmaicr!" rief ich plötzlich dicht neben ihm, „hier
stelle ich Euch Helene Walther, meine Braut, und deren lie-
benswürdige Tante vor!"
Na! Leser, die Augen hättest Du sehen sollen, die sie
machten. O Kräuselfritz, Tu rissest die Deinigen besonders
weit aus, und Zwirn saß so verblüfft da, daß, wenn er nicht
mehr Contenance im Examen hat, ich ihm ohne ärztliche Kennt-
niffe einen tüchtigen Durchfall in Aussicht stelle. Das gab nun
ein Fragen, ein sich Verwundern, ein Erzählen und Erklären
und Glückwünschen, auch ein Lachen und ein sich Acrgern und
Gesichterschneiden, als ich die Listen und Manöver zum Besten
gab, durch die ich meine beiden Nebenbuhler beseitigt hatte;
und zuletzt saßen wir fröhlich zusammen und der Nudelmaier
sagte mir einmal über das andere: „Sieh', langer Peter, daß
Du dem Kräuselfritz ein so hübsches, wohlverdientes Zöpfchen
gemacht, darum Hab' ich Dich noch einmal so lieb, und nun
will ich auch bald Ernst machen und in vier Wochen habt Ihr,
so Gott will, eine Verlobungskarte."
Lenchen fühlte sich bald heimisch in unserm Kreise, nur die
gute, dicke Tante schien sich nicht gerade behaglich zu fühlen, be-
sonders als Kräuselfritz mit ihr von äußerer und innerer Mis-
sion zu sprechen anfing und ihr 300 Traktätchen zur Austhei-
lung an die Besucher des Stuffenbergs zu senden versprach.
Leser, heute, wo ich die Erzählung dieses kleinen, für mich :
aber so bedeutungsvollen Abenteuers gerade beendige, ist meines
Lenchens, die jetzt Frau Doktor Wagner heißt, neunzehnter Ge-
burtstag. Geibels gut getroffenes Bild, stattlich in breite, ächte
Goldleisten eingerahmt, und mit Blumen umkrünzt liegt als
.Angebinde auf dem Tische. „Carl!" spricht sie und fällt mir
dabei an die Brust, „das ist das schönste Geschenk, das Du
mir machen konntest. Denn Emanuel Geibel ist der Stifter
unseres Bundes. Gott segne ihn!" „Amen!" sprach ich und
Dir, lieber Leser, sag' ich: „Leb' wohl!"
Wie sich der Kassette Kintschinsky im Bln-
menthal bei Leipzig versündigte und darob ge-
straft wurde.
Eine traurige Erzählung.
In ein Thal, welches eigentlich kein Thal ist. wo statt
Nachtigallen Frösche singen und statt Veilchen Knoblauch duftet,
trat eines Tages ein niedergeschlagener Pole, Namens Kint-
schinsky.
„Was fange ich an, ich edler Flüchtling?" murmelte er
vor sich hin.
„Lotteriecollecteur war ich bereits und als Postillon ist
keine Carritzre mehr zu machen-o verfluchte Eisen-
bahn !"
In diesem Momente fiel sein linkes Auge (er schielte näm-
lich) auf eine Kartoffel, die am Wege faulte.
„Kartoffel!" murmelte er weiter, „ist das nicht die Lieb-
lingsfrucht der Sachsen? — Aber ich verstand mich nie auf
Oekonomie — doch siehe!" Und jetzt fiel sein rechtes Auge
auf eine zerbrochene Kaffetasse.
„Ich hab's, ich hab's, ich hab's!" rief er freudestrahlend
aus, und nach sechs Wochen errichtete er eine Wirthschaft im
Blumenthal, und kochte den seit dieser Zeit so berühmten Blümchen-
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