206 Ein Sänger,
der vom Blatte singt.
Die Abschiedsprcdigt.
Der Schulnieistcr von Friedheim ist ein tüchtiger Lehrer und
dabei ein überaus gefälliger Manu. Letzteres weiß der Pastor des
Ortes am besten, denn so oft der alte Herr das Zipperlein ver-
spürt, schickt er einfach dem Lehrer ein Prcdigtbnch, damit dieser am
Die Abschiedspredigt.
Sonntag den Bauern eine Predigt vorlese, was der Stellvertreter
ohne Murren regelmäßig thut. Eines Sonntags sollte cs jedoch
dem Schulmeister schlecht ergehen mit seiner Stellvertretung —
und doch besser als sonst. Schickt der Pfarrer — schon läutet cs
zur Kirche — das Prcdigtbnch in das Schulhaus, da ihn sein
Leiden plötzlich ergriffen und er nicht im Stande ist, ans den Füßen
zu stehen. Der Schulmeister ist bereits zur Kirche gegangen, das
Buch muß ihm nnchgctragen werden. Er wählt rasch ein Lied, ver-
gißt aber eine Predigt zu suchen. Mitten im Gesänge fällt ihm das
Versäumnis; ein; da aber nichts Anderes zu machen, verläßt er
sich auf sein gutes Glück, tritt nach Beendigung des Liedes au
den Altar und schlägt eine beliebige Predigt auf. Andächtig hören
die Bauern zu; plötzlich schauen sic den Lehrer verwundert an,
und stecken daun die Köpfe zusammen, denn sie hören — eine Ab-
schiedspredigt. Auch der Vorlesende merkt natürlich alsbald seinen
Mißgriff; siedendheiß steigt ihm das Blut in die Schläfe, allein
er darf doch nicht innehalten und cingestchcn, daß er einen Bock
geschossen. Er faßt sich rasch wieder und liest ruhig weiter,
wobei ihn auch das Schluchzen der Zuhörer nicht irre machen
kann, das sich bald erhebt und erst mit dem „Amen" aufhört.
Kaum können die Bauern den Schluß des Gottesdienstes erwarten;
sodann stürzen sie Alle auf den Lehrer zu. „Wa—as, Herr Lehrer,
Sie wolle» uns verlassen?" ruft der Schulze, den Schulmeister am
Arm fassend. — „Aber ... ." will der Gefragte begütigen. —
„Wir lassen Sie nicht fort, wir geben Ihnen Zulage," fällt ihm ein
Gemeinderath in's Wort. — „Ja, fünfzig Thalcr geben wir Ihnen
jährlich mehr Besoldung, wenn Sic bleiben," bekräftigt der Ortsvor-
steher das Versprechen des Gemcindcraths. — Bei diesen Worten
horcht der Lehrer auf, und als er ringsum die Bauern der Rede
des Schulzen Beifall schenken sieht, denkt er: man muß das Eisen
schmieden, so lauge cs warm ist. „Allerdings, liebe Leute, habe ich im
der vom Blatte singt.
Die Abschiedsprcdigt.
Der Schulnieistcr von Friedheim ist ein tüchtiger Lehrer und
dabei ein überaus gefälliger Manu. Letzteres weiß der Pastor des
Ortes am besten, denn so oft der alte Herr das Zipperlein ver-
spürt, schickt er einfach dem Lehrer ein Prcdigtbnch, damit dieser am
Die Abschiedspredigt.
Sonntag den Bauern eine Predigt vorlese, was der Stellvertreter
ohne Murren regelmäßig thut. Eines Sonntags sollte cs jedoch
dem Schulmeister schlecht ergehen mit seiner Stellvertretung —
und doch besser als sonst. Schickt der Pfarrer — schon läutet cs
zur Kirche — das Prcdigtbnch in das Schulhaus, da ihn sein
Leiden plötzlich ergriffen und er nicht im Stande ist, ans den Füßen
zu stehen. Der Schulmeister ist bereits zur Kirche gegangen, das
Buch muß ihm nnchgctragen werden. Er wählt rasch ein Lied, ver-
gißt aber eine Predigt zu suchen. Mitten im Gesänge fällt ihm das
Versäumnis; ein; da aber nichts Anderes zu machen, verläßt er
sich auf sein gutes Glück, tritt nach Beendigung des Liedes au
den Altar und schlägt eine beliebige Predigt auf. Andächtig hören
die Bauern zu; plötzlich schauen sic den Lehrer verwundert an,
und stecken daun die Köpfe zusammen, denn sie hören — eine Ab-
schiedspredigt. Auch der Vorlesende merkt natürlich alsbald seinen
Mißgriff; siedendheiß steigt ihm das Blut in die Schläfe, allein
er darf doch nicht innehalten und cingestchcn, daß er einen Bock
geschossen. Er faßt sich rasch wieder und liest ruhig weiter,
wobei ihn auch das Schluchzen der Zuhörer nicht irre machen
kann, das sich bald erhebt und erst mit dem „Amen" aufhört.
Kaum können die Bauern den Schluß des Gottesdienstes erwarten;
sodann stürzen sie Alle auf den Lehrer zu. „Wa—as, Herr Lehrer,
Sie wolle» uns verlassen?" ruft der Schulze, den Schulmeister am
Arm fassend. — „Aber ... ." will der Gefragte begütigen. —
„Wir lassen Sie nicht fort, wir geben Ihnen Zulage," fällt ihm ein
Gemeinderath in's Wort. — „Ja, fünfzig Thalcr geben wir Ihnen
jährlich mehr Besoldung, wenn Sic bleiben," bekräftigt der Ortsvor-
steher das Versprechen des Gemcindcraths. — Bei diesen Worten
horcht der Lehrer auf, und als er ringsum die Bauern der Rede
des Schulzen Beifall schenken sieht, denkt er: man muß das Eisen
schmieden, so lauge cs warm ist. „Allerdings, liebe Leute, habe ich im
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein Sänger" "Die Abschiedspredigt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 60.1874, Nr. 1510, S. 206
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