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138

Fräulein Dirndl.

Bon Dr. Mär;roth.
(Fortsetzung.)

„Die Geschichte ist noch nicht aus!" sagte dabei ein
kleines Flachsköpfchen mit hellklingender Stimme. „Hanne, liebe
Hanne, Du mußt weiter erzählen."

„Ja, erzählen! ... Es war so schön, so lustig! . . .
Hanne, setz' Dich wieder auf den Stein!" riefen die andern
Kinder schmeichelnd, und sich anschmiegend.

„ . . . 'zählen!" plapperte noch zuletzt das jüngste Kind,
ein dreijähriges Mädel, wobei es mit seinen klugen schwarzen
Augen so lieblich bittend zu Hanne cmporsah, daß diese das
Kind rasch auf den Arm nahm und es küßte.

„Sie ist rein vernarrt in die Kinder!" erklärte Rosel
dem Gaste, der mit sichtlichem Interesse der kleinen Scene vor
ihm zusah.

„Kommt, Kinder!" sagte Hanne. „Jetzt erzähle ich
weiter . . ."

Ein Jubelschrei der Kleinen begrüßte diese Mittheilung.
Rosel aber mengte sich abwehrend drein. „Heute ist's zu
Ende!" sagte sie. „Geht beten Kinder und dann ist Schlafens-
zeit! Morgen ist wieder ein Tag."

.Traurig sahen die Kleinen zu Hanne auf; diese jedoch
blickte fragend auf Rosel.

„Der Herr hier ist ein alter Bekannter von uns," er-
klärte Rosel nach einiger Ueberlegung, „ein Bekannter von
mir und Deiner . . . seligen Mutter."

Nun überflog Hannens Auge den Gast mit plötzlich er-
höhtem Interesse.

„Willst Du ... . wollen Sic nicht in unsere Stube
treten?" sagte Rosel zu Schesfelberg.

Dieser folgte sogleich der Einladung.

Während nun Rosel und der Gast in das Zimmer getreten
waren, stand Hanne — sie wußte selbst nicht warum — eine Weile
in Sinnen, dann aber setzte sie sich wieder mit den Kindern
auf den Stein. Sie suchte die unterbrochene Geschichte fortzu-
setzen, aber sie fand den heitern Ton nicht mehr, welcher die
Kinder so sehr belustigt hatte. Die Wirkung blieb nicht aus,
den» bald waren ein paar von den kleinen Hörern und Höre-
rinnen eingeschlafen. Hanne nahm hieraus die Schlummernden
auf ihre Arme und trug sie zu ihren Müttern zurück. Die
wach gebliebenen Kinder rieben sich ebenfalls die Augen, und
nach und nach verlor sich eines nach dem andern.

Hanne saß allein im Hofe und sah in den dunkel werden-
den Himmel hinauf. Sie hörte aus der Stube, in welche
Rosel mit dem Fremden getreten war, ein undeutliches Gespräch.
„Was die Rosel nur mit dem feinen Herrn zu reden haben
mag? — Wer kann denn der Fremde sein, den auch meine
Mutter gekannt haben soll?!" Diese Fragen kreuzten sich wirr
in dem Kopse des Mädchens. . . .

Kalt begann es durch den Hof zu wehen; Hanne erhob
sich und ging langsam ihrer Stube zu. Sie hörte drinnen die
wechselnden Stimmen der Sprechenden. Als sie aber die Thüre
öffnete und in's kleine niedere Gemach trat, da schwiegen die
Redenden plötzlich. Hanne sah forschend die Beiden an. Es
kam ihr vor, als seien Rosels Augen feucht; aber auch auf der

Wange des Gastes glaubte sie etwas wie eine Thräne zu
bemerken.

Eine unerklärliche Unruhe bemcisterte sich durch diese Be-
obachtungen des blonden Mädchens.

Da erhob sich der Fremde. „Es wird Nacht", sagte er.
„Ich bin von der Reise ermüdet. Morgen bin ich so früh
als möglich wieder da. Gute Nacht, liebe Rosel!" Nun
näherte er sich dem Mädchen. Er ergriff die Hand desselben
und drückte einen Kuß aus die Stirne der Erröthcnden. „Gute
Nacht, mein Kind!" sagte er.

„Gute Nacht, Herr!" erwiderte Hanne verlegen.

Als Scheffelberg die Stube verlassen hatte, sah Hanne
noch nach der Stelle, aus welcher der sonderbare Gast gestanden
hatte. Dann blickte sie auf Rosel hin; diese aber wich dem
Blicke aus, und machte sich bereit, schweigend zu Bette zimgehen.

Bald hatten Beide das Lager gefunden; aber Hanne konnte
die ganze Nacht nicht schlafen. Es war ihr, als hätte mit
dem Erscheinen des Fremden Plötzlich etwas Unerklärliches in
ihr stilles Leben gegriffen.

Am folgenden Morgen graute der Tag kaum, als Hanne
schon wach im Bette aufsaß. Sic konnte dem Drange nicht
mehr widerstehen, zu erfahren, wer der Fremde von gestern
sei. Endlich regte sich auch Rosel. Hanne, welche cs bemerkte,
sprang aus dem Bette und setzte sich an das Lager ihrer Ver-
wandten. „Rosel", sagte sie, „ich weiß nicht, was es ist, aber
seit der fremde Herr bei uns erschienen, läßt es mir keine
Ruhe. Ich bitte Dich, sage mir, wer er ist! . ."

Rosel drückte das Mädchen liebevoll an sich. „Du sollst
es erfahren", sagte sie hierauf, „denn wer sollte es mehr zu
wissen nöthig haben, wie Du?"

Hanne blickte sie in gespannter Erwartung an.

Nun erzählte Rosel in. ihrer schlichten Weise Alles, was
sie von dem Verhältnisse des Fremden zu Hannens Mutter,
und von Schesfelberg, seinen Verhältnissen, und von dessen Ab-
sicht wußte, Hanne als sein Kind anzuerkennen.

Lange war Rosel mit ihrer Mittheilung zu Ende, und
Hanne saß noch immer schweigend und innerlich tief bewegt da.
Rosel mußte sie endlich ermuntern, denn es war so, als wenn
Hanne wachend träumte. „Ziehe Dich an, Hanne," sagte Rosel,
„und nimm Dein schönstes Kleid, und hänge das silberne Kreuz
um, das Deine Mutter immer getragen hat. Es wird nicht
lange dauern, so wird Dein Vater hier sein."

Hanne hatte die Sprecherin wohl verstanden, aber sic
sagte kein Wort. Stumm kleidete sie sich an, kämmte ihre
schönen dichten Haare, setzte das Kopftuch auf, und hing das
silberne Kreuz um den schneeweißen Hals, — Alles ohne sich des
kleinen Spiegels zu bedienen, der unter einem geschnitzten Crucifix
an der Wand hing.

Mehrere Stunden vergingen — über Hanne's Lippen kam
keine Silbe.

Rosel, welche an die sprudelnde Heiterkeit des Mädchens
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