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146

Fräulein Dirndl.

Von Dr. Märzroth.
(Fortsetzung.)

II.

Seit die Wolke, welche sich zwischen sie und ihren so un-
erwartet gefundenen Vater in ihr Gemiith drängen wollte, ver-
schwunden war, brach die alte naive Heiterkeit in Hanne wieder
durch, und nur um so farbenglänzender, als eine nie geahnte
Freudigkeit in ihr Herz eingezogen war. Sie sang mit ihrer
lieben Stimme all' die lustigen Lieder der Heimath, sie hatte
tausend drollige Einfälle, und aus Allem, was sie that und
sprach, trat eine unverdorbene, aber ungewöhnlich begabte
Natur hervor.

Scheffelberg war von dem Mädchen, je näher er es kennen
lernte, immer mehr entzückt. Was ihn aber, den Städter, mit
besonderer Befriedigung erfüllte, das war ein gewisser Hauch
feiner Art, eine gewisse Noblesse, welche Gestalt, Bewegung und
Gesinnung des in Armuth und ländlicher Sitte ausgewachsenen
Mädchens umgab.

Rosei, welche Scheffelberg oft vergnügt lächelnd darauf auf-
merksam machte, war nicht minder stolz daraus und hatte dann
nur immer dieselbe Bemerkung, nämlich, daß sie sich von jeher
gedacht habe, „das Dirndl sei zum Fräulein geboren!"

Es war nichts natürlicher, als daß Scheffelberg mit seiner
Tochter gar hohe Zukunftspläne im Sinne hatte. Sie sollte
mit ihm in die Stadt ziehen, den nöthigen Unterricht genießen,
um einer Stellung in der guten Gesellschaft zugeführt zu werden,
wie es die natürlichen Anlagen des Mädchens und die Ver-
hältnisse der Vaters gestatteten und in Aussicht stellten. Die
Sache war indeß nicht so leicht durchzuführen. Hanne konnte
sich durchaus nicht mit dem Gedanken vertraut machen, ihr
liebes Minnersdorf zu verlassen und sich von ihrer gewohnten
Lebensweise loszureißen.

„Du wirst sehen, Vater," sagte sie wiederholt, „daß ich
in die Stadt nicht hineinpasse, daß ich dazu viel dümmer bin,
als Du Dir vorstellst."

Aber Scheffelberg ließ von seinen Plänen nicht ab, und
als sich endlich Rosel entschloß, mit ihnen in die Stadt zu
ziehen, da war die letzte Einwendung benommen, welche Hanne
noch zu machen vermocht hätte.

So wurde denn schließlich die Uebersiedlung vorgenommen.

Als nun die Familie Scheffelberg in einem zweispännigen
Wagen gar stattlich nach dem Bahnhofe fuhr, konnte Hanne
nicht genug Abschiedsgrüße nach rechts und links hinaussenden,
denn Alle, Männer, Frauen, Mädchen und Kinder, wollten noch
zum letzten Male die von Allen geliebte Hanne sehen, wozu
sie an Fenstern, Hausthoren und auf der Straße standen.

Noch am Eingänge in dem Bahnhofe sollte eine Abschieds-
scene statt finden. Ein junger, hübscher Bursche von etwa
22 Jahren wartete hier schon seit einiger Zeit auf die Ab-
reisendcn. Als der Wagen anlangte, sprang er hinzu und
hob Hanne über den Wagentritt hinab. Dabei sagte er ihr
leise in's Ohr: „Hanne! wirst Du uns Alle vergessen?"

„Nein, Mathias!" erwiderte Hanne. „Ich werde immer
an Euch denken."

„Auch an mich?" fragte fast mürrisch der Bursche.

„Auch an Dich!" erwiderte ehrlich und offen das Mädchen
und reichte ihm die Hand.

Da wurde das Zeichen zur Abfahrt gegeben. Die Reisenden
enteilten. Der Bursche kletterte über die Einzäumung in den Bahn-
hof hinauf. Der Zug führ vorüber. Hanne sah den Mathias
stehen und traurig zu ihr hinaufblicken. Sie winkte ihm lachend
mit dem Tuche und sah ihm lange nach. Dann setzte sie sich
stille geworden in eine Ecke des Waggons und Scheffclberg
glaubte Thränen in ihren Augen zu bemerken.

„Wer war der junge Mensch?" fragte Scheffelberg leise,
indem er sich zu Rosel neigte. *

„Sie sind als Kinder mit einander ausgewachsen!" lautete
die Antwort. „Er ist der einzige Sohn des Steinmiillers, ein
braver, lieber Bursche."

Scheffelberg suchte in dem Gesichte seiner Tochter zu lesen,
aber da waren bald alle Spuren des Abschiedsleids von dem
Interesse verwischt, tvelches die wechselnden Bilder der Bahn-
fahrt in dem Mädchen erweckte.

III.

Scheffelbcrg wohnte in einem der schönsten Häuser der
Stadt. Es lag mitten in einem ziemlich großen und sorg-
fältig gepflegten Garten. Eine Reihe von 4 bis 5 Zimmern,
welche Scheffelberg in dem Hause inne hatte, war mit Geschmack
und fast reich möblirt.

Als Hanne in diese ihr so neue Welt eingeführt ward,
konnte sie vor Bewunderung aller dieser ihr bisher fremden
Dinge kaum zu sich kommen. Die Zwecke vieler Gegenstände
des Luxus, welche ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen, mußten
ihr erst umständlich erklärt werden, ehe sie einen Begriff davon
bekam. Nun aber mußte sie auch ihre ländliche Kleidung ab-
legen. Schneider, Modistin und Coiffeur, deren Händen sie
sich anvertrauen mußte, hatten ihre Noth mit dem schlichten
Kinde, dem so Manches, was mit so viel Ernst behandelt
wurde, nur ein herzliches Lachen entlockte. Hanne hätte sich
schließlich, wenn's nach ihrem Köpfchen gegangen wäre, kurz-
weg ihren „dummen" Peinigern entzogen, und die ganze
Modernisirnngs-Sippschnft über alle Treppen expedirt, aber das
Mädchen sah nur zu deutlich, wie sehr ihrem Vater daran
gelegen war, daß sie den Bedingungen des städtischen Lebens
gerecht werde. So erschien sie denn endlich vorschriftsmäßig
gekleidet vor ihrem Vater, der wahrhaft entzückt war von der
reizenden Erscheinung seines Kindes.

An seinem Arm ging sie nun durch die Stadt. Ein
über das anderemal flüsterte sie ihrem Vater zu: „Halte mich
fest, Vater, sonst stolpere ich mit meinen Stelzschuhen."

Aber die erste Promenade lief glücklich ab. Freilich riß
Hanne, als sie nach Hause kam, alle die beengenden Kleidungs-
stücke mit wahrer Befreiungslust von sich, aber Scheffclberg war
beruhigt darüber, daß es keine große Schwierigkeit haben werde,
Hanne in die gute Gesellschaft einzuführen. Er machte fortan
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