194
Die lachen
Er hat daran auch kein besonderes Interesse, denn außer
dem unheimlichen Gefühl, das Nachts und in der Dämmerung
Vorübergehende empfinden, bringt das allgemein verbreitete
Märchen seinem Geschäfte keinen weiteren Nachtheil. Die
Fremden besuchen den Gnsthof, denn er ist wegen seiner
Billigkeit renommirt, und die Einheimischen finden sich gleich-
falls gerne in den behaglichen Zechzimmern ein, denn das
Bier ist immer vortrefflich, und Speisen und Bedienung lassen
nichts zu wünschen übrig. Nur das große Zimmer Nr. 1 iin
ersten Stock, das ist jahrein, jahraus verschlossen und wird
nur ganz weit herkommenden Fremden und da nur auf be-
sonderes Verlangen, oder wenn Alles überfüllt ist, cingeräumt.
Es ist ein breites, behagliches Zimmer mit drei Fenstern auf
die Straße. Die Wände sind mit alten Ledcrtapeten bedeckt,
auf welchen in braunen Rahmen die Bildnisse von drei männ-
lichen und drei weiblichen Vorfahren, den Groß-, Urgroß- und
Ururgroß-Eltern des jetzigen Besitzers, hängen. Es sind ganz
respectable Gemälde, von den besten Künstlern Landsteins im
Laufe von drei Menschenaltern geschaffen, lebhaft in der Auf-
fassung, wie es scheint sprechend ähnlich und mit einem Flciße
ausgeführt, welcher ersehen läßt, daß die Vorbesitzer den Künstler
nicht schlecht zu bezahlen pflegten. Die Reihenfolge der Eltern-
paare läßt sich nicht nur an der Kleidung, sondern auch an
dem tieferen und minderen Nachdunkeln deutlich erkennen. Es
sind brave, behäbige deutsche Bürgersleute, welche hier in
Stellungen, die sie im Leben nie zu machen pflegten, durch
Pinsel und Farbe verewigt, an den Wänden hängen und ans
die Enkel ernst herabblicken. —
Vor vielen Jahren war's, da kamen einst zwei frohe
Gesellen auf ihrer Fahrt nach Landstein. Es waren zwei
Maler, die Studien machen wollten und darum mit ihren Mal-
kästen und Feldstühlen planlos in der Gegend umherstreiftcn.
Die Ungunst des Weiters zwang sie, ein festes Obdach zu
suchen, und ivo hätten sie das besser finden können, als ans
der Post in Landstein. Der freundliche Wirth wies, den
beiden jungen Männern Nr. 1 als Zimmer an, denn er war
ein Freund der Kunst und hielt darum auch die Künstler hoch
in Ehren. Ueberdies schienen die jungen Leute über volle
Börsen zu verfügen, was sonst bei ihresgleichen nicht gerade
üblich war, denn sie verlangten gleich ein gutes Zimmer mit
guten Betten und frngen nicht lange nach dem Preis.
In Landstein ist's nun, wenn's regnet, noch langweiliger,
als irgendwo sonst, und es goß den lieben, langen Tag in
Strömen, so daß die beiden Künstler in ihrem düsteren, großen
Zimmer wie Gefangene am Fenster standen und kaum wußten,
wie sie die Zeit herumbringen sollten.
„Herr Gott! ist das ein Wetter! fast so langweilig, wie
die alten Herren und Frauen, die da an der Wand hängen!"
sagte der Eine der Maler, ein lustiger, kleiner Mann, dem
die Langweile das Unerträglichste war.
„Können wir's ändern!" entgegnete der Andere, ein
langer, hagerer, junger Mann, Aber dessen ernste Züge selten
ein Lächeln zu gehen schien. „Es regnet sicher noch den ganzen
Tag, und wir dürfen froh sein, wenn's über Nacht aufhört."
„Wie wär's, wenn wir zum Zeitvertreib den alten Ahnen
den Ahnen.
da andere Gesichter malten," begann nach einer Weile der
lustige, kleine Maler, „die ernsten Köpfe machen uns den
Aufenthalt in diesem düsteren Zimmer noch langweiliger. Sie
sollen lachen, Freund! Sie sollen lachen!"
„Es sind wohl die Ahnen des Herrn Posthalters," be-
merkte der lange Hagere trocken, „sie find nicht übel gemalt."
„Uebel oder nicht," fiel der Kleine rasch ein, „sie sollen
lachen", und damit sprang er ans den Malkasten zu und setzte
einige Farben auf die Palette.
„Ich glaube, Du willst wirklich?" fragte der Hagere, als
er dieses sah.
„Freilich will ich wirklich, und Du mußt mich auf Deinen
Rücken nehmen, damit ich hinauf reiche," entgegnete der Kleine
rasch, und ehe sich's der Hagere versah, saß er mit Pinsel und
Palette ans dessen Schultern und rasch, wie sein Gedanke ge-
kommen war, verzog er mit Nerra cki Siena die Mundwinkel
der alten Herren und Damen zu einem grinsenden Lachen.
Noch einige Striche an den Augen, und die sämmtlichen Ahnen
lachten; der alte Urgroßvater, der weder lesen noch schreiben
konnte, ans dem Bilde aber in einem offenen Briefe liest, die
Urgroßmutter, welche eine sehr tüchtige Wirthin, aber nichts
weniger als fromm war, ans dem Bilde aber ein großes Gebet-
Die lachen
Er hat daran auch kein besonderes Interesse, denn außer
dem unheimlichen Gefühl, das Nachts und in der Dämmerung
Vorübergehende empfinden, bringt das allgemein verbreitete
Märchen seinem Geschäfte keinen weiteren Nachtheil. Die
Fremden besuchen den Gnsthof, denn er ist wegen seiner
Billigkeit renommirt, und die Einheimischen finden sich gleich-
falls gerne in den behaglichen Zechzimmern ein, denn das
Bier ist immer vortrefflich, und Speisen und Bedienung lassen
nichts zu wünschen übrig. Nur das große Zimmer Nr. 1 iin
ersten Stock, das ist jahrein, jahraus verschlossen und wird
nur ganz weit herkommenden Fremden und da nur auf be-
sonderes Verlangen, oder wenn Alles überfüllt ist, cingeräumt.
Es ist ein breites, behagliches Zimmer mit drei Fenstern auf
die Straße. Die Wände sind mit alten Ledcrtapeten bedeckt,
auf welchen in braunen Rahmen die Bildnisse von drei männ-
lichen und drei weiblichen Vorfahren, den Groß-, Urgroß- und
Ururgroß-Eltern des jetzigen Besitzers, hängen. Es sind ganz
respectable Gemälde, von den besten Künstlern Landsteins im
Laufe von drei Menschenaltern geschaffen, lebhaft in der Auf-
fassung, wie es scheint sprechend ähnlich und mit einem Flciße
ausgeführt, welcher ersehen läßt, daß die Vorbesitzer den Künstler
nicht schlecht zu bezahlen pflegten. Die Reihenfolge der Eltern-
paare läßt sich nicht nur an der Kleidung, sondern auch an
dem tieferen und minderen Nachdunkeln deutlich erkennen. Es
sind brave, behäbige deutsche Bürgersleute, welche hier in
Stellungen, die sie im Leben nie zu machen pflegten, durch
Pinsel und Farbe verewigt, an den Wänden hängen und ans
die Enkel ernst herabblicken. —
Vor vielen Jahren war's, da kamen einst zwei frohe
Gesellen auf ihrer Fahrt nach Landstein. Es waren zwei
Maler, die Studien machen wollten und darum mit ihren Mal-
kästen und Feldstühlen planlos in der Gegend umherstreiftcn.
Die Ungunst des Weiters zwang sie, ein festes Obdach zu
suchen, und ivo hätten sie das besser finden können, als ans
der Post in Landstein. Der freundliche Wirth wies, den
beiden jungen Männern Nr. 1 als Zimmer an, denn er war
ein Freund der Kunst und hielt darum auch die Künstler hoch
in Ehren. Ueberdies schienen die jungen Leute über volle
Börsen zu verfügen, was sonst bei ihresgleichen nicht gerade
üblich war, denn sie verlangten gleich ein gutes Zimmer mit
guten Betten und frngen nicht lange nach dem Preis.
In Landstein ist's nun, wenn's regnet, noch langweiliger,
als irgendwo sonst, und es goß den lieben, langen Tag in
Strömen, so daß die beiden Künstler in ihrem düsteren, großen
Zimmer wie Gefangene am Fenster standen und kaum wußten,
wie sie die Zeit herumbringen sollten.
„Herr Gott! ist das ein Wetter! fast so langweilig, wie
die alten Herren und Frauen, die da an der Wand hängen!"
sagte der Eine der Maler, ein lustiger, kleiner Mann, dem
die Langweile das Unerträglichste war.
„Können wir's ändern!" entgegnete der Andere, ein
langer, hagerer, junger Mann, Aber dessen ernste Züge selten
ein Lächeln zu gehen schien. „Es regnet sicher noch den ganzen
Tag, und wir dürfen froh sein, wenn's über Nacht aufhört."
„Wie wär's, wenn wir zum Zeitvertreib den alten Ahnen
den Ahnen.
da andere Gesichter malten," begann nach einer Weile der
lustige, kleine Maler, „die ernsten Köpfe machen uns den
Aufenthalt in diesem düsteren Zimmer noch langweiliger. Sie
sollen lachen, Freund! Sie sollen lachen!"
„Es sind wohl die Ahnen des Herrn Posthalters," be-
merkte der lange Hagere trocken, „sie find nicht übel gemalt."
„Uebel oder nicht," fiel der Kleine rasch ein, „sie sollen
lachen", und damit sprang er ans den Malkasten zu und setzte
einige Farben auf die Palette.
„Ich glaube, Du willst wirklich?" fragte der Hagere, als
er dieses sah.
„Freilich will ich wirklich, und Du mußt mich auf Deinen
Rücken nehmen, damit ich hinauf reiche," entgegnete der Kleine
rasch, und ehe sich's der Hagere versah, saß er mit Pinsel und
Palette ans dessen Schultern und rasch, wie sein Gedanke ge-
kommen war, verzog er mit Nerra cki Siena die Mundwinkel
der alten Herren und Damen zu einem grinsenden Lachen.
Noch einige Striche an den Augen, und die sämmtlichen Ahnen
lachten; der alte Urgroßvater, der weder lesen noch schreiben
konnte, ans dem Bilde aber in einem offenen Briefe liest, die
Urgroßmutter, welche eine sehr tüchtige Wirthin, aber nichts
weniger als fromm war, ans dem Bilde aber ein großes Gebet-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die lachenden Ahnen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 68.1878, Nr. 1717, S. 194
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg