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Die „Nadowes fische Todtenklagc".
Culturhistorische Studie.
Der Zufall hat ein Document von höchster Wichtigkeit
an das Tageslicht gelangen lassen. Professor Spürnas hat das
Glück gehabt, eine alte, ungegerbte Ochsenhaut auszufinden, deren
Innenseite mit einfachen Linearzeichnungen bedeckt ist. Dem
Scharfsinn dieses großen Gelehrten ist es auch gelungen, die
Bedeutung dieser Zeichnung unumstößlich festzustellen. Es
handelt sich hier um eine Entdeckung von unendlicher Tragweite,
da der neue Fund nicht nur tiefe Einblicke in die culturelle
Entwickelung der rothhäutigen Bewohner Nordamerikas gestattet,
sondern weil derselbe auch ganz unerwarteter Weise in unleug-
barem Zusammenhänge mit dem Gedichte Schillers stehen muß,
das dieselbe Ueberschrift trägt, wie diese interessante Abhand-
lung. Der Beweis für die letzte Behauptung ist leicht durch
eine vergleichende Zusammenstellung der einzelnen Verse des
Schiller'schen Gedichtes mit den Hautzeichnungen zu liefern.
Im Uebrigen ist nur auf die Kindlichkeit und Ursprünglich-
keit der Auffassung hinzuweisen, welche diese einfache, künstlerische
Leistung vortheilhaft auszeichnet und die wir an unfern neueren
Leistungen so oft gänzlich vermissen. Die kunstlose Einfachheit
der Darstellung, die Sinnigkeit der Auffassung, die oft über-
raschend zarte Andeutung der zu Grunde liegenden Ideen
zeigen, daß die manuelle Fertigkeit zwar weit hinter dem
Wollen des Künstlers zurückbleibt, lassen aber die hohe Begabung
des Schöpfers dieser einfachen Urkunde deutlich erkennen.
Dieser stumme und doch so sprechende Ucberrest, der so
eigen anmuthet, hat etwas überaus Rührendes, wenn man
bedenkt, daß er von einem untergegangenen Volksstamme zu
uns redet.
Doch lassen wir die Urkunde in Verbindung mit den
Schiller'schen Versen selbst folgen, wobei ein kurzer Commentnr,
wo nöthig, auf die Feinheiten aufmerksam macheu soll:
Seht, da sitzt er auf der Matte,
Aufrecht sitzt er da,
Mit dem Anstand, den er hatte,
Als er 's Licht noch sah.
angedeutet, und wie finnig hat das verlöschte (!) Licht an der
Rückenseite seinen Platz gefunden, so daß der tobte Krieger das-
selbe selbst dann nicht mehr sehen würde, wenn er überhaupt
noch sehen könnte.
Doch wo ist die Kraft der Fäuste,
Wo des Athems Hauch,
Der noch jüngst zum großen Geiste
Blies der Pfeife Rauch?
Wir sehen hier den mächtigen Krieger: in stolzer Stellung,
aufrecht, die linke, kräftige Faust ruhig erhoben, die Rechte
hoheitsvoll das Sinnbild des Friedens haltend, mit mächtigem
Hauche den Rauch der Pfeife nach Sonnenaufgang zu blasend.
Daß uns der Nadowessier die Reversseite zeigt, soll wohl an-
deuten, daß er seine ganze Aufmerksamkeit dem großen Geiste
zugewendet hat.
Wo die Augen, falkenhcllc,
Die des Reunthicrs Spur
Zählten auf des Grases Welle,
Auf dem Thau der Flur.
Interessant ist das Profil des Nadowessicrs, das uns
hier zum ersten Male entgegentritt und das einen Zusammen-
hang der Nadowessier mit den altmejikanischen Azteken (oder
Tolteken?) vermuthen läßt. Der Wildreichthum ist sinnig durch
den Umstand angedeutet, daß der auf des Grases Welle Zählende
ein Notizbuch benöthigt. Wohl mit Rücksicht onf den Thau
der Flur trägt der Krieger hier eine (lederne?) Fußbekleidung.
Diese Schenkel, die behender
Flohen durch den Schnee,
Als der Hirsch, der Zwanzigender,
Als des Berges Reh.
* Man achte auf die stille Befriedigung, die sich i» dem
Gesichte des den Zwanzigender Ueberholthabenden nusdrückt.
Die „Nadowes fische Todtenklagc".
Culturhistorische Studie.
Der Zufall hat ein Document von höchster Wichtigkeit
an das Tageslicht gelangen lassen. Professor Spürnas hat das
Glück gehabt, eine alte, ungegerbte Ochsenhaut auszufinden, deren
Innenseite mit einfachen Linearzeichnungen bedeckt ist. Dem
Scharfsinn dieses großen Gelehrten ist es auch gelungen, die
Bedeutung dieser Zeichnung unumstößlich festzustellen. Es
handelt sich hier um eine Entdeckung von unendlicher Tragweite,
da der neue Fund nicht nur tiefe Einblicke in die culturelle
Entwickelung der rothhäutigen Bewohner Nordamerikas gestattet,
sondern weil derselbe auch ganz unerwarteter Weise in unleug-
barem Zusammenhänge mit dem Gedichte Schillers stehen muß,
das dieselbe Ueberschrift trägt, wie diese interessante Abhand-
lung. Der Beweis für die letzte Behauptung ist leicht durch
eine vergleichende Zusammenstellung der einzelnen Verse des
Schiller'schen Gedichtes mit den Hautzeichnungen zu liefern.
Im Uebrigen ist nur auf die Kindlichkeit und Ursprünglich-
keit der Auffassung hinzuweisen, welche diese einfache, künstlerische
Leistung vortheilhaft auszeichnet und die wir an unfern neueren
Leistungen so oft gänzlich vermissen. Die kunstlose Einfachheit
der Darstellung, die Sinnigkeit der Auffassung, die oft über-
raschend zarte Andeutung der zu Grunde liegenden Ideen
zeigen, daß die manuelle Fertigkeit zwar weit hinter dem
Wollen des Künstlers zurückbleibt, lassen aber die hohe Begabung
des Schöpfers dieser einfachen Urkunde deutlich erkennen.
Dieser stumme und doch so sprechende Ucberrest, der so
eigen anmuthet, hat etwas überaus Rührendes, wenn man
bedenkt, daß er von einem untergegangenen Volksstamme zu
uns redet.
Doch lassen wir die Urkunde in Verbindung mit den
Schiller'schen Versen selbst folgen, wobei ein kurzer Commentnr,
wo nöthig, auf die Feinheiten aufmerksam macheu soll:
Seht, da sitzt er auf der Matte,
Aufrecht sitzt er da,
Mit dem Anstand, den er hatte,
Als er 's Licht noch sah.
angedeutet, und wie finnig hat das verlöschte (!) Licht an der
Rückenseite seinen Platz gefunden, so daß der tobte Krieger das-
selbe selbst dann nicht mehr sehen würde, wenn er überhaupt
noch sehen könnte.
Doch wo ist die Kraft der Fäuste,
Wo des Athems Hauch,
Der noch jüngst zum großen Geiste
Blies der Pfeife Rauch?
Wir sehen hier den mächtigen Krieger: in stolzer Stellung,
aufrecht, die linke, kräftige Faust ruhig erhoben, die Rechte
hoheitsvoll das Sinnbild des Friedens haltend, mit mächtigem
Hauche den Rauch der Pfeife nach Sonnenaufgang zu blasend.
Daß uns der Nadowessier die Reversseite zeigt, soll wohl an-
deuten, daß er seine ganze Aufmerksamkeit dem großen Geiste
zugewendet hat.
Wo die Augen, falkenhcllc,
Die des Reunthicrs Spur
Zählten auf des Grases Welle,
Auf dem Thau der Flur.
Interessant ist das Profil des Nadowessicrs, das uns
hier zum ersten Male entgegentritt und das einen Zusammen-
hang der Nadowessier mit den altmejikanischen Azteken (oder
Tolteken?) vermuthen läßt. Der Wildreichthum ist sinnig durch
den Umstand angedeutet, daß der auf des Grases Welle Zählende
ein Notizbuch benöthigt. Wohl mit Rücksicht onf den Thau
der Flur trägt der Krieger hier eine (lederne?) Fußbekleidung.
Diese Schenkel, die behender
Flohen durch den Schnee,
Als der Hirsch, der Zwanzigender,
Als des Berges Reh.
* Man achte auf die stille Befriedigung, die sich i» dem
Gesichte des den Zwanzigender Ueberholthabenden nusdrückt.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die "Nadowessische Todtenklage""
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Faust <Motiv>