138
Liebesschwur eines modernen Naturforschers.
Wenn die Vögel auf den Blättern
In den Phonographen schmettern
Ihr gefühlvoll' Frühlingslied,
Daß es der Stanniol bewahre,
Bis den Stift im nächsten Jahre
Wieder man darüberzieht —
Dann rc.
Wenn Indianer beim Scalpiren
Virchow's Abhandlung studieren
lieber Kopfhaut-Nervatur,
Und, um ihren Leib zu zieren,
Auf die Haut sich tättowiren
Die Pythagoras-Figur —
Dann rc.
Wenn man Liebe fühlt magnetisch,
Wenn man wärmetheoretisch
Sich umarmt und küßt auf Erd'n;
Wenn die Komma- Mikrokokken,
Die im Zuchtstall Häckel's hocken,
Semikolonförmig werd'n —
Dann rc.
Wenn den Eskimos als Speise
Aus des Nordpols starrem Eise
Braunschweig's schöner Spargel schießt;
Wenn im Kamerun den Affen,
Papageien und Giraffen
Cumberland Gedanken liest —
Dann rc.
Wenn Grah'm Bell mit Photophonen
Denen, die den Mars bewohnen,
Brockhaus' Lexikon diktirt,
Stephan dann nach ein'gcn Jahren
Einen interplanetaren
Weltpostdienst organisirt —
Dann rc.
Wenn im Krieg die schwersten Wunden
Schnell und ohne Arzt gesunden,
Weil der Feind voll Zartgefühl,
Nach den Genfer Konventionen,
Seine Dynamit-Patronen
Tränkt mit Bor und Salicyl —
Dann rc.
Bcdauernswerth.
Herr: „Das ist aber ein schöner Pacht, der heuer von den
Miethern der Buden auf der Festwiese bezahlt wird! Da flieht
dem Gemeindesäckel wieder eine schöne Summe zu!"
Arbeiter: „Ja natürlich! Wer darf aber durch Essen und
Trinken dem Wirth wieder seine Auslagen decken?! Der arme
Bürger und Arbeiter!"
Gedankensplitter.
Die Welt ist ein großes Wirthshaus, in welchem inan auch dann
eine bedeutende Zeche berichtigen muß, wenn man gar nichts be-
kommen hat.
Es gibt Leute, die uns in's Gesicht spucken, um einen Flecken
darin abzuwischen. _
Compromiß.
Assessor: „Herr Praktikant, nehmen Sie zu Protokoll:
Es erscheint der Gendarme zu Pferd ..." — Praktikant: „Herr
Assessor, das schreib' ich nicht!" — Assessor: „Warum nicht ?" —
Praktikant: „Der Mann reitet ja nicht!" — Assessor: „Also
schreiben Sie: Es erscheint der Gendarme zu Fuß ..." — Prak-
tikant: „Das schreib' ich auch nicht!" — Assessor: „Warum?"
— Praktikant: „Der Mann gehört zur berittenen Gendarmerie!"
— Assessor (nach langem Nachdenken): „Herr Praktikant, einigen
wir uns — schreiben Sie halt: Es erscheint der Gendarme zu
Pferd — zu Fuß!" _______
Ein Mann — ein Wort!
Von Gugcil Machow.
onne, Mond und Sterne werden
vergeh'«, aber meines Hauptmanns
Befehle bleiben stehen!" so schrie
der alte Invalide Constantin Klink-
müller sein krankes Weib an.
„Kerrels!" so hat unser Haupt-
mann bei der Entlassung von der
Batterie zu uns gesagt, „Kerrels,
Ihr habt's Alle verdient, daß es
Euch 'mal gut geht! Wenn's Euch aber 'mal schlecht gehen sollte,
dann wendet Ihr Euch an's Invaliden-Departement und bittet
um Unterstützung. Alten, gut gedienten Leuten, wie Euch, wird
man 'ne solche nicht abschlagen!"
„Hast Du gehört, Caroline?" — „Ach, Constantin!" stöhnte sie.
„Kreuzhagelwetter", fuhr er fort, „ich gehe morgen in die
herzogliche Residenz und werde den General, der das Jnvaliden-
wesen unter sich hat, um 'ne Unterstützung bitten." — „Wenn er Dir
man was geben wird", stöhnte sie.
„Was?! — Nichts geben?! — Kreuzmillionen Hagelwetter,
das wollen wir 'mal sehen!"
Der invalide Artilleriesergeant Constantin Klinkmüller war
ganz suchswild über das Malheur, das ihm passirt. War doch
sein Weib, seine Caroline, nun schon volle vier Wochen bettlägerig
krank. Solange er Invalide war, hatte er seine vier Thaler monat-
liche Pension — Deutschland war damals noch nicht einig und
höhere Jnvalidenpensionen wurden im Herzogthum £ . . . nicht
gezahlt — stets für seine Person verbraucht, das Geld in's Wirths-
haus getragen und sich von seinem braven Weibe, das als Koch-
und Waschfrau in der kleinen Stadt thätig war, ernähren lassen.
Nun, wo Caroline krank war, hatte er die ganzen vier Thaler
zur Unterhaltung der Wirthschaft und zur Pflege seines kranken
Weibes hingeben müssen. Nichts blieb ihm, nicht so viel, daß er sich
Tabak für die Pfeife, nicht so viel, daß er sich eine Prise Schnupf-
tabak kaufen konnte. „Kreuzmillionen Hagelwetter!"
Wie würde er erst geschimpft haben, wenn er gewußt hätte,
daß Caroline mehrere hundert Thaler Erspartes besaß?!
„Mag er nur gehen, der Schlemmer", so dachte die brave
Frau auf ihrem Schmerzenslager, „sie werden ihm doch nichts
geben; sie werden 's ihm schon au der rothen Nase ansehen, was
er für ein Mensch ist. Mag er nur gehen!"
Und der Klinkmüller machte sich auf den Weg und wanderte
in die herzogliche Residenz. Er mußte volle vier Stunden mar-
schiren und kam erst gegen Abend dort an. Geld hatte er nicht,
um in's Wirthshaus zu gehen, einen alten Freund, bei dem er
auf ein unentgeltliches Nachtlager rechnete, hatte er nicht angetroffen,
und so wanderte Klinkmüller, um sich die Zeit zu vertreiben, in
den herzoglichen Schloßpark.
Vor einer Bank im Park blieb er stehen und begann seine
Rede zu memoriren, die er morgen dem General von Bärbeißer,
dem Chef des Jnvalidenwesens, halten wollte, und die er sich
auf dem Wege in die Residenz bereits einstudirt hatte. Während
er laut vor sich hinspricht, fuchtelt er mit seinem Stock in der
Liebesschwur eines modernen Naturforschers.
Wenn die Vögel auf den Blättern
In den Phonographen schmettern
Ihr gefühlvoll' Frühlingslied,
Daß es der Stanniol bewahre,
Bis den Stift im nächsten Jahre
Wieder man darüberzieht —
Dann rc.
Wenn Indianer beim Scalpiren
Virchow's Abhandlung studieren
lieber Kopfhaut-Nervatur,
Und, um ihren Leib zu zieren,
Auf die Haut sich tättowiren
Die Pythagoras-Figur —
Dann rc.
Wenn man Liebe fühlt magnetisch,
Wenn man wärmetheoretisch
Sich umarmt und küßt auf Erd'n;
Wenn die Komma- Mikrokokken,
Die im Zuchtstall Häckel's hocken,
Semikolonförmig werd'n —
Dann rc.
Wenn den Eskimos als Speise
Aus des Nordpols starrem Eise
Braunschweig's schöner Spargel schießt;
Wenn im Kamerun den Affen,
Papageien und Giraffen
Cumberland Gedanken liest —
Dann rc.
Wenn Grah'm Bell mit Photophonen
Denen, die den Mars bewohnen,
Brockhaus' Lexikon diktirt,
Stephan dann nach ein'gcn Jahren
Einen interplanetaren
Weltpostdienst organisirt —
Dann rc.
Wenn im Krieg die schwersten Wunden
Schnell und ohne Arzt gesunden,
Weil der Feind voll Zartgefühl,
Nach den Genfer Konventionen,
Seine Dynamit-Patronen
Tränkt mit Bor und Salicyl —
Dann rc.
Bcdauernswerth.
Herr: „Das ist aber ein schöner Pacht, der heuer von den
Miethern der Buden auf der Festwiese bezahlt wird! Da flieht
dem Gemeindesäckel wieder eine schöne Summe zu!"
Arbeiter: „Ja natürlich! Wer darf aber durch Essen und
Trinken dem Wirth wieder seine Auslagen decken?! Der arme
Bürger und Arbeiter!"
Gedankensplitter.
Die Welt ist ein großes Wirthshaus, in welchem inan auch dann
eine bedeutende Zeche berichtigen muß, wenn man gar nichts be-
kommen hat.
Es gibt Leute, die uns in's Gesicht spucken, um einen Flecken
darin abzuwischen. _
Compromiß.
Assessor: „Herr Praktikant, nehmen Sie zu Protokoll:
Es erscheint der Gendarme zu Pferd ..." — Praktikant: „Herr
Assessor, das schreib' ich nicht!" — Assessor: „Warum nicht ?" —
Praktikant: „Der Mann reitet ja nicht!" — Assessor: „Also
schreiben Sie: Es erscheint der Gendarme zu Fuß ..." — Prak-
tikant: „Das schreib' ich auch nicht!" — Assessor: „Warum?"
— Praktikant: „Der Mann gehört zur berittenen Gendarmerie!"
— Assessor (nach langem Nachdenken): „Herr Praktikant, einigen
wir uns — schreiben Sie halt: Es erscheint der Gendarme zu
Pferd — zu Fuß!" _______
Ein Mann — ein Wort!
Von Gugcil Machow.
onne, Mond und Sterne werden
vergeh'«, aber meines Hauptmanns
Befehle bleiben stehen!" so schrie
der alte Invalide Constantin Klink-
müller sein krankes Weib an.
„Kerrels!" so hat unser Haupt-
mann bei der Entlassung von der
Batterie zu uns gesagt, „Kerrels,
Ihr habt's Alle verdient, daß es
Euch 'mal gut geht! Wenn's Euch aber 'mal schlecht gehen sollte,
dann wendet Ihr Euch an's Invaliden-Departement und bittet
um Unterstützung. Alten, gut gedienten Leuten, wie Euch, wird
man 'ne solche nicht abschlagen!"
„Hast Du gehört, Caroline?" — „Ach, Constantin!" stöhnte sie.
„Kreuzhagelwetter", fuhr er fort, „ich gehe morgen in die
herzogliche Residenz und werde den General, der das Jnvaliden-
wesen unter sich hat, um 'ne Unterstützung bitten." — „Wenn er Dir
man was geben wird", stöhnte sie.
„Was?! — Nichts geben?! — Kreuzmillionen Hagelwetter,
das wollen wir 'mal sehen!"
Der invalide Artilleriesergeant Constantin Klinkmüller war
ganz suchswild über das Malheur, das ihm passirt. War doch
sein Weib, seine Caroline, nun schon volle vier Wochen bettlägerig
krank. Solange er Invalide war, hatte er seine vier Thaler monat-
liche Pension — Deutschland war damals noch nicht einig und
höhere Jnvalidenpensionen wurden im Herzogthum £ . . . nicht
gezahlt — stets für seine Person verbraucht, das Geld in's Wirths-
haus getragen und sich von seinem braven Weibe, das als Koch-
und Waschfrau in der kleinen Stadt thätig war, ernähren lassen.
Nun, wo Caroline krank war, hatte er die ganzen vier Thaler
zur Unterhaltung der Wirthschaft und zur Pflege seines kranken
Weibes hingeben müssen. Nichts blieb ihm, nicht so viel, daß er sich
Tabak für die Pfeife, nicht so viel, daß er sich eine Prise Schnupf-
tabak kaufen konnte. „Kreuzmillionen Hagelwetter!"
Wie würde er erst geschimpft haben, wenn er gewußt hätte,
daß Caroline mehrere hundert Thaler Erspartes besaß?!
„Mag er nur gehen, der Schlemmer", so dachte die brave
Frau auf ihrem Schmerzenslager, „sie werden ihm doch nichts
geben; sie werden 's ihm schon au der rothen Nase ansehen, was
er für ein Mensch ist. Mag er nur gehen!"
Und der Klinkmüller machte sich auf den Weg und wanderte
in die herzogliche Residenz. Er mußte volle vier Stunden mar-
schiren und kam erst gegen Abend dort an. Geld hatte er nicht,
um in's Wirthshaus zu gehen, einen alten Freund, bei dem er
auf ein unentgeltliches Nachtlager rechnete, hatte er nicht angetroffen,
und so wanderte Klinkmüller, um sich die Zeit zu vertreiben, in
den herzoglichen Schloßpark.
Vor einer Bank im Park blieb er stehen und begann seine
Rede zu memoriren, die er morgen dem General von Bärbeißer,
dem Chef des Jnvalidenwesens, halten wollte, und die er sich
auf dem Wege in die Residenz bereits einstudirt hatte. Während
er laut vor sich hinspricht, fuchtelt er mit seinem Stock in der
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein Mann - ein Wort!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1886
Entstehungsdatum (normiert)
1881 - 1891
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 85.1886, Nr. 2153, S. 138
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg