Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gotteshäuser errichtet wurden, so daß am Ende des 13. Jahrhunderts vermutlich na-
hezu alle Dörfer in Ostfriesland Kirchen besaßen. Bei vordergründiger Betrachtung
scheinen rein pragmatische Erwägungen ihre Errichtung initiiert zu haben: der be-
schwerliche Weg durch Seebalgen und Priele zum Gotteshaus der Nachbargemeinde
oder der Kirchenzehnt, den ein Dorf ohne eigene Kirche der benachbarten Pfarre lei-
sten mußte; doch darf man wohl unterstellen, daß vielfach das echte Bedürfnis, der
christlichen Botschaft teilhaftig zu werden, eine Kirchengründung als wünschenswert
erscheinen ließ, zumal Kirchenbau und Gottesdienst in den alten ostfriesischen
Rechtssatzungen gefordert wurden18).
Dabei war der ostfriesische Raum keineswegs ein Gebiet räumlicher Abgeschlossen-
heit, sondern trotz trennender Moorgebiete und Binnenseen sowie unzureichender
Wege aufgrund seiner günstigen Lage zum Meer und des ausgedehnten Flußnetzes in
die nordeuropäischen Kultur- und Wirtschaftsverflechtungen eingebunden. Außer-
dem gelangten zahlreiche Eingesessene auf Pilger- und Wallfahrten, die in ihren kul-
turgeschichtlichen Auswirkungen heute freilich schwer abzuschätzen sind, nachweis-
lich nach Münster, Köln und Aachen sowie nach Santiago di Compostella und Rom;
ferner wird von der Beteiligung an Kreuzzügen berichtet19).
Sicherlich führten derartige Außenkontakte trotz der kulturräumlichen Sonderungs-
haltung, die mit einem ausgeprägten Freiheits- und Selbstbewußtsein verbunden
war20), mit einem nicht zu verkennenden Zeitverschub zur Assimilierung oder eigen-
schöpferischen Umgestaltung jeweils herrschender nordeuropäischer Kunstrichtun-
gen: Während die typische friesische Grundform der Kirchen bewahrt wurde, steht
der dekorative Formenschatz häufig unter dem Einfluß der südwestfranzösischen,
anglo-normannischen und westfälischen Architektur sowie der Backsteinkunst de'S
Nord- und Ostseeraumes und wurde zu einem Reduktionsstil umgeschmolzen21).
Starke Außeneinflüsse wurden vor allem bei der Einwölbung der Kirchenräume wirk-
sam, die etwa ab 1250 die einfachen bohlenverschalten Balkendecken, denen vermut-
lich offene Dachstühle vorangingen, in zunehmendem Maße verdrängte und den
Raumeindruck grundlegend veränderte: Waren bis dahin ruhig lagernde und unge-
gliederte Einräume charakteristisch, so teilten jetzt plastisch in den Raum vorsprin-
gende Mauervorlagen die Längswände in Abschnitte, die durch Domikalgewölbe in
eine Abfolge von Raumkompartimenten zusammengeschlossen wurden.
Auf welchen Wegen das Domikalgewölbe nach Friesland gelangte, ist noch nicht
hinreichend geklärt. Vermutlich war die Ausgangsform dieser kuppeiigen Gewölbeart
um 1100 in den großen einschiffigen Kuppelkirchen des Loiregebiets verbreitet, wo sie
sich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit dem aus Nordwestfrankreich ein-
dringenden Kreuzgewölbe zum hoch aufsteigenden und stark gebusten Domikal-
gewölbe verband. Etwa um 1200 für Westfalen belegt, gelangte diese Art der Einwöl-
bung-wie aufgrund der starken kulturellen und wirtschaftlichen Verflechtungen an-
genommen wird - um 1250 von dort nach Friesland, wo sie bis zur Spätgotik nahezu
ausschließliche Verbreitung erlangte22).
Über die älteste Baugeschichte - vor allem der Dorfkirchen - ist außerordentlich wenig
überliefert, desgleichen werden ihre Baumeister, wohl durch Vermittlung der Geist-
lichkeit von den Gemeinden ins Land gerufene Wanderhandwerker, nirgends nament-
lich erwähnt. Auch über ihre Stifter ist für das frühe Mittelalter nichts bekannt. Die
Finanzierung und Organisation des Kirchenbaus war aufgrund der damaligen politi-
schen und sozialen Struktur wohl weitgehend der Eigeninitiative der Gemeindemit-
glieder überlassen - wobei durch Sozialstatus und Wirtschaftskraft bevorrechtigte
Familien und Privatpersonen sicherlich eine Schlüsselposition besaßen. Die Stiftertä-
tigkeit einer Einzelperson wird durch ein um 1200 entstandenes Tympanon der Kirche
in Emden-Larrelt eindrucksvoll belegt, ein einzigartiges Bilddokument, auf dem
gleich drei maßgeblich am Bau beteiligte Männer namentlich erwähnt und abgebildet
sind: Ludbrod (der aus dem Norden kommende Baumeister), Ippo (der geistliche
Bauherr, vermutlich ein Ostfriese) und Menulfus (der Steinmetz)23).

16
 
Annotationen