bereits „vom neu erwachten Interesse an der umgebenden Sinnenwelt“ gekennzeich-
net ist und das Geschehen als „lebensvollen Ausschnitt der Wirklichkeit wie durch ein
rundes Fernrohr gesehen“ wiedergibt204). Obwohl auch hier allgemeine gestalterische
Gemeinsamkeiten zu Fedderwarden nicht zu verkennen sind - beiden Szenen ist der
Höllenrachen gemein, dem der kettengefesselte Zug der Verdammten von einer Teu-
felsgestalt zugeführt wird, von hinten treibt ein anderer Teufel zur Eile an -, zeigen
sich gravierende Unterschiede. So ist zum Beispiel auf dem Gewölbefeld in Toiten-
winkel der Zug der Verdammten, voran ein Bischof, gefolgt von einem Mönch, einem
König sowie vier unbekleideten Gestalten im Büßergestus, locker hintereinanderge-
reiht, während in Fedderwarden die Verurteilten zu einer Menschengruppe verdichtet
sind. Eine figurenreiche Darstellung aus dem dritten Viertel des 13. Jahrhunderts trägt
das kuppelartige Chorgewölbe der Pfarrkirche in Brechten (Dortmund), die nach den
Untersuchungen D. Kluges eine weitgehende ikonographische Übereinstimmung mit
der entsprechenden Szene in Mark (Unna) aufweist205): Hier wird das Urteil von ei-
nem flammenspeienden Tierrachen vollzogen, dem die seilumspannten Verdammten
von einem nackten Teufel und einem geflügelten Schwertengel zugeführt werden -
Bildelemente, die im westfälischen Kunstkreis an den Gewölbemalereien des Vie-
rungsquadrats der Stiftskirche zu Cappenberg (Unna) noch im ersten Viertel des
15. Jahrhunderts in Erscheinung treten. Im Gegensatz zum Gewölbebild in Fedder-
warden, das durch die szenische Reduktion auf wenige Handlungsträger sowie eine
überaus knappe Formulierung des dramatischen Vorgangs besticht, wird das Gesche-
hen in Brechten (Dortmund) allerdings breit geschildert und durch grotesk-phantasti-
sche Einzelheiten belebt, die Henze treffend beschreibt: „In der Darstellung des Höl-
lenrachens lebt die gotische Welt derTympanonfelder. Vor dem phantastischen Hun-
dekopf des Höllenrachens steht eine Gruppe nackter Verdammter: König und Köni-
gin mit Kind im Arm, Bischof, Geizhals und Halbwüchsiger in packenden Gebärden
des Schreckens, der Ratlosigkeit und Wut, bewacht von gehörnten Teufeln, die hinten
ein Gesicht tragen, dessen Nase zum Schwanz wird. Die Welt der gotischen Groteske
vereinigt sich mit alten Einzelerfindungen der nordischen Phantasie.“206)
Auch das Gegenbild zur Verdammungsszene, der Einzug der Seligen ins Paradies, läßt
die Kenntnis zeitgenössischer Darstellungen in liturgischen Handschriften und auf den
Tympanonfeldern der französischen Kathedralen erkennen. Besonders nachhaltig
scheinen sich indes auch hier die Werke der westfälischen Monumentalmalerei ausge-
wirkt zu haben. Dort hatte sich offenbar eine feste Bildtradition für den kompositori-
schen Aufbau dieser Szene herausgebildet, wie der Vergleich mit den Gewölbemale-
reien in Wormbach (Hochsauerlandkreis), Mark (Unna) und Brechten (Dortmund)
ergibt. Von ihnen dürfte sich die qualitätvolle Darstellung in Brechten dem diesmal
überraschend ausführlich berichtenden und nahezu vollständig erhalten gebliebenen
Gewölbebild in der Fedderwarder St. Stephanskirche am stärksten nähern. In beiden
wird das himmlische Jerusalem durch eine prächtige Kirche angedeutet, deren Tor von
einem geflügelten Engel geöffnet wird, um die gemessen schreitende Schar einzulas-
sen. Dabei wurde die Szene in Fedderwarden besonders liebevoll ausgestaltet und mit
eigenen Zugaben bereichert. So wird zum Beispiel ein Kind an der Spitze des Zuges
von einem Engel ins Paradies geleitet, und ein fahnentragender Engel bildet den Schluß
der figurenreichen Gruppe.
Insgesamt ist anzunehmen, daß in der Fedderwarder St. Stephanskirche die Disposi-
tion des Stoffes nach dem Vorbild von Weltgerichtsdarstellungen an den Tympana
französischer Kathedralen entstand, wobei deren vertikales Einteilungsschema den
Gegebenheiten des kuppeiigen Kreuzrippengewölbes angepaßt und in eine konzentri-
sche Bewegungsrichtung übertragen wurde. In der gleichzeitigen Monumentalmalerei
lassen sich dergestalt aufgebaute Gerichtsdarstellungen bislang nur an den Gewölben
westfälischer Kirchen (Brechten, Mark, später Cappenberg) nachweisen; sicherlich ist
es kein Zufall, daß diese auch in den Einzelszenen in Gesamtanlage und Ikonographie
mehrfach wesensverwandte Züge mit der Ausmalung am Ostgewölbe der Fedderwar-
der St. Stephanskirche erkennen ließen.
137,146
153
141,154
62,63
153
153,154
45
net ist und das Geschehen als „lebensvollen Ausschnitt der Wirklichkeit wie durch ein
rundes Fernrohr gesehen“ wiedergibt204). Obwohl auch hier allgemeine gestalterische
Gemeinsamkeiten zu Fedderwarden nicht zu verkennen sind - beiden Szenen ist der
Höllenrachen gemein, dem der kettengefesselte Zug der Verdammten von einer Teu-
felsgestalt zugeführt wird, von hinten treibt ein anderer Teufel zur Eile an -, zeigen
sich gravierende Unterschiede. So ist zum Beispiel auf dem Gewölbefeld in Toiten-
winkel der Zug der Verdammten, voran ein Bischof, gefolgt von einem Mönch, einem
König sowie vier unbekleideten Gestalten im Büßergestus, locker hintereinanderge-
reiht, während in Fedderwarden die Verurteilten zu einer Menschengruppe verdichtet
sind. Eine figurenreiche Darstellung aus dem dritten Viertel des 13. Jahrhunderts trägt
das kuppelartige Chorgewölbe der Pfarrkirche in Brechten (Dortmund), die nach den
Untersuchungen D. Kluges eine weitgehende ikonographische Übereinstimmung mit
der entsprechenden Szene in Mark (Unna) aufweist205): Hier wird das Urteil von ei-
nem flammenspeienden Tierrachen vollzogen, dem die seilumspannten Verdammten
von einem nackten Teufel und einem geflügelten Schwertengel zugeführt werden -
Bildelemente, die im westfälischen Kunstkreis an den Gewölbemalereien des Vie-
rungsquadrats der Stiftskirche zu Cappenberg (Unna) noch im ersten Viertel des
15. Jahrhunderts in Erscheinung treten. Im Gegensatz zum Gewölbebild in Fedder-
warden, das durch die szenische Reduktion auf wenige Handlungsträger sowie eine
überaus knappe Formulierung des dramatischen Vorgangs besticht, wird das Gesche-
hen in Brechten (Dortmund) allerdings breit geschildert und durch grotesk-phantasti-
sche Einzelheiten belebt, die Henze treffend beschreibt: „In der Darstellung des Höl-
lenrachens lebt die gotische Welt derTympanonfelder. Vor dem phantastischen Hun-
dekopf des Höllenrachens steht eine Gruppe nackter Verdammter: König und Köni-
gin mit Kind im Arm, Bischof, Geizhals und Halbwüchsiger in packenden Gebärden
des Schreckens, der Ratlosigkeit und Wut, bewacht von gehörnten Teufeln, die hinten
ein Gesicht tragen, dessen Nase zum Schwanz wird. Die Welt der gotischen Groteske
vereinigt sich mit alten Einzelerfindungen der nordischen Phantasie.“206)
Auch das Gegenbild zur Verdammungsszene, der Einzug der Seligen ins Paradies, läßt
die Kenntnis zeitgenössischer Darstellungen in liturgischen Handschriften und auf den
Tympanonfeldern der französischen Kathedralen erkennen. Besonders nachhaltig
scheinen sich indes auch hier die Werke der westfälischen Monumentalmalerei ausge-
wirkt zu haben. Dort hatte sich offenbar eine feste Bildtradition für den kompositori-
schen Aufbau dieser Szene herausgebildet, wie der Vergleich mit den Gewölbemale-
reien in Wormbach (Hochsauerlandkreis), Mark (Unna) und Brechten (Dortmund)
ergibt. Von ihnen dürfte sich die qualitätvolle Darstellung in Brechten dem diesmal
überraschend ausführlich berichtenden und nahezu vollständig erhalten gebliebenen
Gewölbebild in der Fedderwarder St. Stephanskirche am stärksten nähern. In beiden
wird das himmlische Jerusalem durch eine prächtige Kirche angedeutet, deren Tor von
einem geflügelten Engel geöffnet wird, um die gemessen schreitende Schar einzulas-
sen. Dabei wurde die Szene in Fedderwarden besonders liebevoll ausgestaltet und mit
eigenen Zugaben bereichert. So wird zum Beispiel ein Kind an der Spitze des Zuges
von einem Engel ins Paradies geleitet, und ein fahnentragender Engel bildet den Schluß
der figurenreichen Gruppe.
Insgesamt ist anzunehmen, daß in der Fedderwarder St. Stephanskirche die Disposi-
tion des Stoffes nach dem Vorbild von Weltgerichtsdarstellungen an den Tympana
französischer Kathedralen entstand, wobei deren vertikales Einteilungsschema den
Gegebenheiten des kuppeiigen Kreuzrippengewölbes angepaßt und in eine konzentri-
sche Bewegungsrichtung übertragen wurde. In der gleichzeitigen Monumentalmalerei
lassen sich dergestalt aufgebaute Gerichtsdarstellungen bislang nur an den Gewölben
westfälischer Kirchen (Brechten, Mark, später Cappenberg) nachweisen; sicherlich ist
es kein Zufall, daß diese auch in den Einzelszenen in Gesamtanlage und Ikonographie
mehrfach wesensverwandte Züge mit der Ausmalung am Ostgewölbe der Fedderwar-
der St. Stephanskirche erkennen ließen.
137,146
153
141,154
62,63
153
153,154
45