Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kriegszeitung — 1917

DOI Heft:
Hefte 1-4, Januar 1917
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2829#0032
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
s

Nummer 4

und Gefangenschaft. Die Sonne steigt,
die Landschaft nimmt einen schwermütig
ernsten Cbarakter an. Hinter einem
großen Flusfe. der Oka, die uns zur Seite
bleibt viele Stunden lang, hebt sich ein fast
ganz kahler Höhenzug. Von ihm drän-
gen sich Bäche mit ties ausgewaschenen
Runsen dem Strome zu. Weite Weide-
flächen erblicken wir, auf denen unzäh-
lige Herden von Rindern, Pferden und
Schweinen fich tummeln. Jn langen
Zwischenrüumen treten in dieser unend-
lichen welligen Ebene die bunten
Zwiebeltürme eiuer oder mehrerer grie-
chisch-katholischer Kirchen oder Klöster
hervor. Und nach wiederum einer Weile
entrollt sich hinter einem Hügel das
Bild eines großen russischen Dorses. Fe
roeiter wir fahr-en, desto trostloser sehen
die Häuser dieser Dörfer aus.

Viele Äcker liegen brach, ein uns gänz-
kich ungewohnter Anblick. Zum ersten
Male ahne ich die ungeheure Größe die-
ses Reiches, die schwermütige Ziellosig-
keit der rusfischen Volksseele.

Manchnlal rücken die Höhenzüge so
öicht an unsern Schienenstrang, daß ich
mir einbilden kann, ich sühre auf irgend-
einer heimischen schlesischen Bimmelbahn
am Gebirgsran.de hin. Auch hier ragen
Steinblöcke aus Birkengebüsch und
Nadelgehölz, und eine Ziegenherde zieht
am Hange hin.

Dann tritt der Zug von neuem in
slache Ebene, überschreitet einen Fluß,
^ite waldlosen Höchen bleiben weit, weit
vvn uns zu beiden Seiten. So fahren
Wlr, bis die Nacht alle.Umrisse verwischt.

Und so fahren wir einen zweiten Tag.
Einmal erblicken wir, bei einer Ziegelei
beschäftigt, öfterreichische Kriegsgefan-
gene. Wir empfinden mehr Grauen als !
Bedauern. So schmutzig-elend sieht das '
Dorf aus. Die alten vernmhrlosten
Hütten scheint jeder Schn'eesturm um- !
wehen zu könnenl Wir berühren einen !
Landstrich, in dem Tschuwassen wohnen. j

Auf einem Vahnhof haben wir Muße,
sie zu betrachten. Tschuwassenfrauen
spazieren neugierig an unserm Zuge
vorbei. Breite stumpfe Züge, kleiner
Wuchs, gelbe Gesichtsfarbe. Jn der
Tracht fallen uns die mit Baststreifen
umwickelten Hosen auf. Zuerst wissen
wir überhaupt nicht, ob es Männer oder
Frauen sind. Frauenreize entdecken wir
jedenfalls nicht.

Die Landschaft wird wieder reicher,
üppiger. Wir fahren zwischen frucht-
baren Äckern und Wiesen und Wald.
Es ist aber kein Nadelwald mehr, es ist
der herrlichste Bestand von Linden und
Ulmen und Eichen mit vielem jungen
Unterholz. Alle Blätter leuchten im
ersten frischen Grün. Jch, der Nordost-
deutsche, kenne in meiner Heimat nir-
gends einen Laubwald von solcher ur-
waldartig ungestörter Pracht und Fülle.

Wir halten gegen Abend lange in
einer gröheren Provin§mlstadt, ein
Lausbube benutzt die Gelegenheit, -um
uns einen Stein durch die Fensterscheibe
zu werfen. Dann läuft er davon.

Hier blüht der Flieder, und unsere
freundliche Schwester schenkt mir einen
Busch davon.

Schwestern, Feldschere und Ärzte in
unserm Zuge, sie alle sind sleißig, ge-
schickt und gütig. Verbandsmaterial,
Fnstrumente, Geräte, alles ist hier, wie
man sagt, erster Klasse. Jch kann meiner
Wunde wegen ohne Bangen sein.
Wüßte ich nur schon, wie es in Kasan
gehen wird!

Wie der dritte Morgen anbricht,
nähern wir uns der Wolga. Auf einer
gewaltigen Brücke überqueren wir den
Strom. Mächtig, steil empor, hebt sich
! das Westufer. Unter uns im Wasser
' liegt ein großer Dampfer mit einer
Schiffskirche darauf, andere Schiffe
lagern am Strande. Vorbei. — —

Wald verbirgt uns den Blick auf den
Fluß; Laubwald mit Tischen und BävT-

ken und mit Gasthäusern und Sommer-
hüusern und mit Scharen von Ausflüg-
lern aus der Großstadt. Vorbei.

Ein Exerzierplatz jetzt, auf dem Sol-
daten und Männer in Zivil militärische
Bewegungen machen.

Sie haben alle keine Gewehre.

Vorbei-jetzt die möchtigen golden

leuchtenden Kuppeln des Klosters von
Kasan, der schlanke Turm des Minarets,
Häuserreihen, eine breite Straße, auf der
die Tramwaywagen hin und wieder
rollen.

Der Zug hemmt die Fahrt und gleitet
langsam in die Bahnhofshalle.

Eine halbe Stunde später trägt uns ,
die elektrische Strahenbahn in die Stadt.
Gymnasiasten und Studenten haben un-
sere Bahren in die Wagen gesetzt, fahren
nun mit und erklären uns die Sehens-
würdigkeiten, an denen wir vorüber-
kommen. Da ist zuerst das Tatarenvier-
tel. Es sieht nicht verlockend aus. Wir
alle denken im stillen: Wenn nur hier
nicht schon unser Hospital ist! Die Ta-
taren erkennen wir bnld an ihrer Tracht,
der slachen schwarzen schildlosen Men-
surkappe, dem langen mantelartigen
Rock, dem braunen zerfurchten, breiten,
aber energischen Gesicht mit den klugen
Augen.

Wir kommen an einem Marktplatz
vorbei, aus dem der scharfe Geruch von
Leder und Zwiebeln uns entgegenweht.
Berge von Zwiebeln liegen da, rote
Radieschen und viele andere Gemüse.
Daneben wird in Fahrmarktsbuden
allerhand Küchengerät, meist aus Holz,
oder Schuhzeug oder Putz und Tand
feilgeboten.

Wir überqueren eine breit angelegte
Promenade, sehen hohe Häuserfronten.
Da drüben ist ein Denkmal, dort das
Theater, hier der Hauptbummel von
Kasan, ein Straßenzug, wie ihn jede
größere moderne Stadt in Westeuropa
haben könnte.

Hügelig ist die Stadt, es geht bergab
und bergauf. Jetzt fahren wir durch eine
schöne Parkanlage, und gleich darauf hält
unser Wagen vor einem zweistöckigen
großen Gebäude. Unser Hospital! Vor
dem Kriege war es ein Bankhaus, ob-
wohl das Gerücht geht, daß es damals
einem andern, allerdings auch sozusagen
öffentlichen Zweck gedient habe.

Augenblicklich wohnen nur im Hinter-
hause junge „Damen", die abends viel
Besuch bekommen, auch von Osfizieren.
Nachts ist ein lebhaster Droschkenver-
kehr vor unserer Haustür. So erzäh-
len uns die Kameraden, die wir hier vor-
, finden. Aber was kümmert das uns,
abgesehen davon, daß das Wagenrasseln
und das Kreischen und Lachen uns im
Schlafe stören wird!

Wir frei^n uns, daß wir nicht in Mos-
kau find, in diesem Kerker von Spital.
Breit fliehen Luft und Licht hier in unser
Zimmer. Und wenn ich im Bett mich
aufrichts, sehe ich eine Großstadtstraße
mit lebhaftem Wagenverkehr, sehe die
Kronen der Bäume des großen Parks.
Jm Fenster spiegeln sich die goldenen
Kirchenkuppeln des Kasaner Klosters, in
dem das berühmte Marienbild zu Hause
sein soll, vor dessen Abbildung Millionen
von Russen ihr Morgen- und Abendgebet
verrichten. Auch in unserm Zimmer
hängt das Bild. Und unsere Sanitäts-
soldaten schlagen morgens davor andäch-
tig und lange das griechische Kreuz.

Vom Park herüber, aus einem Garten-
lokal „zum schwarzen See" (wie wir
später erfahren haben, ein „Betriebs-
lokal"), klingen die Weisen einer Musik-
kapelle am Nachmittag und am Abend.
Dann, schon elf Uhr nachts ist es, hören
wir die hohe trillernde Stimme einer
Brettldiva. Rasendes Beifallklatschen.
Noch ein Gesangstück der russischen Nach-
tigall. Neuer Beifall. Stille. Und dann
fahren die Droschken, fahren ohne Auf-

höreN. lFortsetzung folgt.>

> -iskung v. 12.-15. fsb,-. 19,7 ---

I0tt>7 OeIä8ewinnsokneF.brnZIVs. 8

400000

-75000

48000

'fversenäet sucb unter NsckLLbme

L. )lMMi!N

»»» > >l>« <0e§rünäst I8ü4.

MOkGemSÄ

Das Buch für GartenfreunNs

Erleichtertdie Arbeit, erhöhtd.Ertrag
^ Posifrei (qegen 4; Pf.) Katalog übee -
Obsib., Blumenzw., Samen kosienlos

/GrfM isg

,VerlLnxsn L!e Orgti prc> pekt von W

Kpotti.l-guenstöinsVsrs.Lpremdertzl-g

Vor dem
Drahtverhau

Bilder aus dem Grabenkrlege
lm Wesien voa

KarS Rosner

Inhalt: Vorwort — Dte
drohende Faust — Auf den
Cütes Lorrames — Jn Saint
Mihiel — Einsame Helden —
Weihnacht betm Regiment —
Neunzig Kilomeier vor Paris
— Im deutschen Keil von La
Bassse— Armes Frankreich —
Auf der Vimyhöhe — In der
Trichterstellung vor.Neuville —
Esfangene Franzosen von der
Vimyhöhe

Preis 1 Mark

Bezug durch den Buchhandel
VerlagAugustScherlG m.b H.

Zuk.

Iwtr. 5tSU6s6!-!oÖ!yunß dStisIchSki

iKk-S sitSs« ZNSskBNsglSsl (ZUZsiMSN!

6sc>r^

^sgnssks-k^sgSntrsnk

stann sicst zsäer seibst kür ein paar pkenniLS ASZen däLAensebmerrsn, blLAen»
krgmpk, Ltubibescbrvsräsn, rubsreitsn, . clas bersuMN ciis täZIicksll Oanb-
sckrsiben, suek von äsnsn, clle 30 äakrs maZsnleiäsnä cvaren, äis nirgenäs
Isiilks bekommsn konnten, nnä xskollen kat. ^uskunli nur 20 pk. kriskm,
kür 4,usl3LS bsile^sn. äurck ü. V/Ltter, NieäerlblleLsiZ Fbt. üv

U LsMiiMsn

V (Xl»Zt26) vvirkssmes

6 bl. ooppslte portion (2 psrs.)10 iVI.

W« Wlll!

äie „veullche llriegs^eituug",
Ülluitrierte wochenausgabe, bei
iämtlichen lleschäftsitellen von
Buguit Lcherl 6. m. b.v. lowie
in ailen Luchhanälungen ^um
llreise von 10 ?f. wöchentüch
frei ins vaus. 5onlt bei äerllolt
lür 44 ?f. monatüch, 1.Z0 w.
viertesjährüch (ohnebestellgeiä)

wec Angehörigen im seläe
eine freuäe bereiten wi!I,
übcrweise ihnen äurch sein
poltamt äie „veutlchs llriegs-
^eitung, Rlultrierte wochen-
/iusgabe", zum pcells von
54 ?f. monatüch lrei 5tanäort.

Keill vessr versäums,
meills neus preislist»
ru vsrlLNZsn.

I ir eLr-irs ril I

«srknsullirofieii t. »L. 13V.

--- lisliung vom 12.—15. siekr. 1917 ---

Zs!lI-I.iMek!e

400000

75000

r40000

cmi! Stiller, ksnkdsus,

Hllillbui A, IstolräsmM 39.

»-» kitts reoktreitige LestellunZ!

(klut-lnärang, Lolnvinäelankälle, Liemnot, ttsr^besokweräsn.)

srpcQllSN. Sis: prOSp. ULV. dviSi-Otssr I-M
VOrv^Oist vOrv Or. rnscl. Vskss cänSsti

KiiosrNS-ns Lkvmisvk« 6sss>Isvksßt

Löln s. kk. 8 k. klscwsrtkstrLÜs 17.

- Nelmvolen sekollener krlezer

voll llllsn Krisgsscksuplstrsll III äls HElnrs-1 übsrulmmt:
HeststtungsgescllZll,

Pelspkon 220 » LS » 1°elspkon220

LerorgunZ sller pormslitstsn. ttsekm. LsZIsitunA. VIIIiAsts Obsr-
lükrunZ vom vestlicken XrisZisscksupIstr, äs uscksts äeutscks Ltsät.

Druck und Verlag von Aügust Scherl G. m. b. H., Berlin LV, Zimmerstr. 36—11. — Verantwortlich fllr die Redaktion: Ludwig Rhein, Berlin, für den Anzeigenteil: A. Pieniak, BcrUn.
 
Annotationen