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Deutsche Kriegszeitung — 1917

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Hefte 48-52, Dezember 1917
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s

Nummer 52

aussetzen" übte, welche natürlich nur
ausgeschwungen, nicht aber zu Wasser
gesiert wurden. Jch sah mir nrit Stau-
nen diese neueste englische Marine-
reklame an und dachte innerlich, wie
dieses Interesse am Leben der neutralen
Besatzung wohl im Grunde nur den
Zweck hatte, die Neutralen aus die bösen
deutschen U-Boote scharfzumachen und
allgemein gegen Deutschland zu ver-
hetzen. Jnzwischen war bei der Kon-
trolle die Reche an mich gekommen.
Schon manche solche Prüsung hatte ich
hinter mir und kannte auch die oer-
schiedenen Tricks, die man dabei an-
wandte. Mein Aussehen glich dem
eines Urwaldmenschen: die Haare, die
ich mir selten schneiden ließ, lang ge-
nug, um mir bald einen Zops flechten
zu können, das Gesicht mit Kesselruß
beschmiert, so war meinem Äußeren
nach meine Nationalität nicht leicht fest-
zustellen. Die französischen Osfiziere
lachten gewöhnlich über mein Aussehen.
Mochten sie nur lachen, ich lachte immer
zuletzt, wenn alles vorüber war. Wie
man dann lacht, weiß ja jeder. Nach
der Untersuchung bekamen alle von der
Besatzung einen Passierschein, nur ich
nicht, trotzdem man mich nicht für ver-
dächtig hielt. Also spielte ich den Ent-
rüfteten, um die französischen Kavaliere
in dem Glauben zu erhalten, dah ich
wirklich Spanier sei. Nun ließen mich
die Offiziere durch den Kapitän beruhigen
und rieten mir, ich solle mir Papiere
besorgen, dann könne ich das nächstemal
auch an Land gehen. Dann war ich
entlassen.

Später erklärte mir der Kapitän, daß
die Osfiziere es gar nicht so schlimm ge-
meint hätten, ich könne ruhig von Bord
gehen, nur ofsiziell dürfe man mir das
nicht gestatten.

In Rouen sah es bunt aus: unzählige
Schiffe lagen am Kai, um gelöscht zu
werden. Russen, Dänen, Schweden,
Spanier usw., alle Flaggen waren ver-
treten. Unser Schiff lag schon drei Tage,
ehe man daran ging, die Ladung zu
löschen, es fehlte sichtlich an Arbeits-
kräften. Trotzdem der größte Teil der
Arbeiter aus Ausländern bestand, es
mangelte immer noch an solchen. Eng-
lische Soldaten in Unmengen, englische
Autos, englische Lastwagen, kurzum,alles
englisch; bald sah es /.us, als ob man sich
in England befinde. Zwei große eng-
lische Dampfer mit zmei Schornsteinen
und den Abzeichen des Roten Kreuzes
mußten eben eingelaufen sein, einer der
Dampser ooll von Berwundeten. Auf
dem Kai standen die Sanitätsautos in
endlosen Reihen und nahmen die Ver-
wundeten auf; ein Spanier machte hier-
bei noch zu mir die Bemerkung: deine
Landsleute mögen wohl die Franzosen
wieder mal schwer verhauen haben.
Der andere Dampfer hatte bewaffnete
Soldaten an Bord und löschte Ladung.
Zu schade, daß ich keinen Photoapparat
m'r batte. bier konnte man ja per-

sönlich sehen, wie das Rote-Kreuz-Ab-
zeichen mißbraucht wurde. Derselbe
Dampfer verließ am nächsten Tage nach-
mittags, wiederum dichtbesetzt mit Trup-
pen, den Hafen unter dem Genfer Ab-
zeichen. Jch machte noch alle Spanier,
die an Deck waren, darauf aufmerksam
und zeigte ihnen, wozu man hier das
Rote Kreuz benutzte. Eigentlich ein
etwas zweckloses Unternehmen, die Neu-
tralen von der gemeinen Art der Krieg-
führung der Alliierten zu überzeugen,
sie wissen es ja besser als unsere Lands-
leute daheim, mit welchen Mitteln die
Entente arbeitet, sie wollen es nur nicht
eingestehen.

Doch ein Wort über die Stimmung in
Rouen. Eines Abends kam ich an einem
Lichtspieltheater vorüber, in dem Kriegs-
bilder zur Vorführung gelangten. Jch
konnte nicht widerstehen und nahm mir
ein Villett. Wir schrieben damals un-
gefähr Mitte August 1916, befanden
uns demnach bereits über zwei Jahre im
Kriege. Zu Beginn der Vorstellung
intonierte die Hauskapelle die Mar-
seillaise, und unter ihren Klängen er-
schien als erster auf der Leinwand:
Poincars. Ein wahrer Sturm der Be-
geisterung brach los: „Vlvs ln Vrunae!"
„Vive 1n r^pudlicjue!" „Vlve
l'nrmde!", so schrie alles durcheinander.
Dann folgten der König von Belgien,
der von England und die russische Zaren-
familie. Als letzter kam S. M. unser
Kaiser in Kürassieruniform. Beim Er-
scheineu dieses Bildes begann ein
Schreien, Johleu und Pfeifen, dah ich
tatsächlich glaubte, unter eine Herde
Verrückter geraten zu sein. Jn jenem
Moment fühlte ich zum ersten Male
deutlich, wie hoch das deutsche Volk über
diesem Gesindel steht, das sich „Kultur-
volk" nennt, und wie dumm, ungeschlif-
feu uud uaiv die Franzosen sein können.
Selbst in Argentinien in Barracas, bei
den chalbwilden drauhen, ging es im ge-
wöhnlichsteu Kientopp nicht so zu wie
hier in einem vornehmen Lichtspielhaus
emer nordfranzösischen Grohstadt, das
sich zu alledem noch Royal Palace
nannte. Wüßte das französische Volk,
welch kläglichen Eindruck derartige
Szeneu auf den halbwegs gebildeteu
Ausläuder machen, ich glaube, es würde
sich doch etwas schämen. Nicht einen
einzigen Augenblick ärgerte ich mich,
dah inan gerade bei dem Bilde unseres
Kaisers zu johlen und zu pfeifeu begann;
im Gegenteil, ich freute mich sehr dar-
über, daß mau mir hier persönlich be-
stätigte, was ich eininal in einem Artikel
über wahre Kultur und Bilduug des
französischeu Volkes iu einer deutscheu
Zeitschrift gelesen hatte. Das wareu
hier keiue gebildeteu Men'chen mehr,
sanderu Jndiauer.

Dann folgten Bilder ans srauzüsischeu,
belgischen uud deutschen Mnnövern; bei
uusern Trupprn wurde selbstvrrstäudlich
immer gepsisfeu und gejohlt, während
man bei den andern „Vivn" rief. Mir

i wurde es bei diesen Kriegsbildern aus'
Friedenszeiten langsam uninteressant,
und ich ging an Bord, komischerweise
völlig uubelästigt. Ungestört hatte ich
der Vorstellung beiwohnen können und
freute mich, einmal diese Kulturstudien
in Feindeslaud gemacht zu haben.

Nach inehreren Liegetagen uud
Löschen der Ladung gingen wir in Bal-
last nach Swansea, Bristolkanal, um
dort wiederum Kohlen für Rouen zu
laden. Das wurde mir nun allmählich
doch zu dumm, und ich versuchte, in
Swansea angekommen, einen sür meiue
Zwecke geeigneteren Dampfer zu findeu.
i Alles Fragen und Laufen war vergeb-
^ lich, ich hatte kein Glück und muhte auf
! „Alesund" bleiben, so schlecht meine i
Stimmung auch war. chier sprach man
wenig oder gar nicht vom Krieg, die
Bevölkerung war im Gegensatz zu der an
der Ostküste Englands sehr friedlich. Die
einzige Kriegserscheinung war, daß
Lebensmittel und Getränte, besonders
aber Kleidungstücke von Tag zu Tag
teurer wurden. Ich schob es auf die
wachsende Tätigkeit der U-Boote. Außer-
ordentlich plagten mich, wohl wegen der
Langweile an Bord während der Liege-
zeit, Gedanken an die Heimat, und um
etwas Zerstreuung zu finden, ging ich
eines Tages an Land, um Noten für
meine Mandoline zu kaufen. Jn einem
Geschäft in der Windstreet wollte ich mir
einige Stücke aussuchen, fand jedoch
nichts recht Passendes. Viel deutsche
und österreichische Musikliteratur war
vorhanden, so daß einem unwillkürlich
der Gedanke kam, die Musik möge man
wohl leiden, nur das Land, das die
- Komponisten hervorgebracht hatte, hasse
man. Der Verkäuferin, oder war es die
Fnhaberin des Geschäfts, mußte es auf-
gefallen iein, daß ich gerade deutsche
Musik bevorzugte, denn sie meinte, ich
möge wohl solche Musik gern leiden.
i Zunächst etwas erstaunt über diese
Frage, entgegnete ich ihr, nicht so viei
von Musik zu verstehen, um beurteilen
zu können, welche Musik wohl die beste
sei. Die Dame war so auffallend zuvor-
kommend und freundlich zu mir, sie
sprach das Englisch so merkwürdig aus,
daß ich unmillkürlich annehmen mußte,
eine Landsmänmn vor mir zu haben.
Sie stellte mir noch einige belanglose
Fragen, wahrscheinlich nur, um mit mir
sprechen zu können, denn Interesse
konnte sie unmöglich an der Beantwor-
tung finden. Dabei sah sie mich so eigen-
tümlich an, und lange dachte ich noch an
dietraurigenAugen und denschmerzvollen
Zug um ihren Mund. Vielleicht war sie
eine deutsche Frau und mit einem Eng-
länder verheiratet, dann muhte Swansea
sür sie die Hölle auf Erden sein.

Bald hatten wir wieder „voll Last"
und gingen mit Volldamps aus dem
5)afen. Vor dem Kanal passierten wir
in uninittelbarer Nühe einen Dampser,
der die schwedische Flagge am check und
an bciden Seiten der Bordwand führte. j

Unier Kapirän ineinre, dah es wahr-
icheinlich ein verkappter englischer Hilfs-
kreuzer sei, da er einen Namen und Hei-
mathasen weder am 5)eck noch an den
Seiten trug, außerdem auffällige Manö-
ver machte und seinen Kurs öfters
änderte. Es sollte mich gar nicht wun-
dern, wenn dieses Schisf die „Baralong"
war, die gerade in jenen Tagen zur trau-
rigen Verühmtheit gelangte. Wir kamen
unbelästigt an dem Dampfer vorbei.

Als wir uns Le chavre näherten, lief
ein französrsches Torpedoboot aus, nahm
Kurs auf uns, signalisierte und setzte sich
dann vor unser Schiff, wir muhten im
Kielwasser folgen. Vielleicht hatte man
eine Minensperre verlegt, oder es waren
deutsche U-Boote in der Nähe. Erst
kurz vor der Einfahrt in die Seine kam
der Lotse an Vord, der uns nach Rouen
bringen sollte. Jch hatte keine Wache
und konnte mir dieses Mal die Gegend,
die wir passierten, ansehen, und wäre
mir nicht das cherz so schwer gewesen, ich
hätte mich über die wundervollen Land-
schaftsbilder, die sich dem Auge boten,
freuen köimen. Wie ein Wandelpano-
rama zogen Städte, Wälder und hohe
Fehen vorbei, weite Wiesenflächen wech-
selten mit fruchtbarem Ackerland, hie
und da lugte ein Schlößchen oder eine
Villa init rotem Dach durch das Grün,
ab und an passierten wir Schleppzüge
und entgegenkommende Dampfer. So
nüherten wir uns auf dieser Fahrt die
Seine aufwärts, welche die Garonne an
Naturschönheit entschieden hinter sich
läßt, unserem Ziel, mir war sie verleidet,
denn ich schwelgte schon wieder im Vor-
gefühl der kommenden Ereignisse.

Das Polizeiboot kam längsseit, und
wir verminderten die Fahrt, bis die
Herren der Ornncko Vntion über-
gestiegen waren. Und heute ging's
hoch her. Ieder einzelne der Besatzung
wurde selten scharf untersucht und ins
Verhör genommen, bis auch ich wieder
vor meinen Richtern stand. Es sah übel
für mich aus, und fast schien es, als ob
die Verhandlung ein schlechtes Ende
nehmen sollte. Die Franzosen konnten
gar nicht begreifen, wie ich wagen
könne, mit einem Schiff nach Frankreich
zn kommen, ohne irgendwelche Papiere
zu besitzen, und vielleicht nur mit Rück-
sicht daraus, daß ich schon einmal in
Rouen war, ohne verhaftet zu sein, ließ
man mich diesmal noch auf sreiem Fuße.
Ein Offizier erklärte jedoch dem Kapitän,
daß ich in keinem Falle wieder nach
Frankreich kommcn dürse, und daß es
mir strengstens verboten sei, einen
Schritt an Land zu tun. Mit stechenden
Augen beobachtete der Offizier meine
Gesichtszüge, während der Kapitün mir
alles wiedsrholte, dann konnte ich ab-
treten und an Bord bleiben. Jch war
solgsam, da der Kapitän mir sagte, daß
unser Schiff bewacht und ich sofort ver-
haftet würde, sobald ich einen Fuß an
Land zu setzen wage.

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> "ot. Nerrbssctiveräen). Nierüder koLten
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ciie „lleutlche llriegsreitung",
Rlustiierte lllocheiiausgäbe, bei
cleu 6ro!1-8er.iuer filicilen von
Ruguit Lcheil 6. m. b. I). lowie
in ollen kuchhcmchungen rmm
llreiie von 15 pf. wöchentlich
srei ins baus. 5oult bei cler llolt
lür (,b pf. moimtlich. 1.Y5 M.
vierteljähtlich(ohuellestellgelci)


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Vub. N0.65

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Srosch 1 Biarl, geb. 2 Mart

Geb. 2 Mark Drojch. 2 Mark

Teuerunuszuschlug: 25 ps. cnis 1- imd 2-Mcirk-. 50 pf. auf Z-Mcirk-Bücher

Drosch 2 Mark, geb. 1 5'iark

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