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Scherrer, Peter; Trinkl, Elisabeth; Österreichisches Archäologisches Institut [Mitarb.]
Die Tetragonos Agora in Ephesos: Grabungsergebnisse von archaischer bis in byzantinische Zeit - ein Überblick; Befunde und Funde klassischer Zeit — Forschungen in Ephesos, Band 13,2: Wien: Verl. d. Österreich. Akad. d. Wiss., 2006

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https://doi.org/10.11588/diglit.47150#0304
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Peter Scherrer - Elisabeth Trinkl



Abb. 236: Heiligtum des Zeus Mainalos aus dem späten 5. Jh. v.Chr.
a) Gesamtansicht von Norden; b) Detail mit Weihinschrift (1996)

Eine Felsinschrift der Zeit um 400 v.Chr. markiert ein Heiligtum des Zeus Patroos41, eine vielleicht erst um 300 v.Chr. zu datierende Stele nennt Zeus
Patroos gemeinsam mit Apollon Patroos42. Eine von den übrigen auch räumlich deutlich abgesetzte Inschrift des jüngeren, vielleicht erst des ausgehen-
den 5. Jh.s gilt dem Zeus Mainalos43 (Abb. 236a-b).
Während die Dominanz der (allerdings bis in die römische Zeit reichenden) Denkmäler für die phrygische Göttermutter, unter deren Namen das Fels-
heiligtum bisher meist konfigurierte, in Ephesos nicht weiter verwundert, sind aber mit Apollon Patroos, Zeus Patroos und Zeus Mainalos eindeutige
Hinweise auf Einwanderer aus dem griechischen Mutterland gegeben. Wären diese Kulte lediglich traditionell nach der Umsiedlung vom Koressos in
die Kroisos-Stadt beim Artemision weitergeführt worden, so müssten sich auch archaische Inschriften oder Felsreliefs erhalten haben, ja die prominen-
testen Plätze einnehmen. Der Denkmälerbestand deutet aber auf einen Beginn der Anlage in ungefähr der Zeit des Peloponnesischen Krieges. Vielleicht
ist es, so gesehen, kein Zufall, dass Thrasyllos 409 v.Chr. mit seiner Flotte gerade hier landete44. Möglicherweise gab es am Koressischen Hafen eine
starke Athen-freundliche Gruppe, bei der die Expeditionsflotte gut aufgehoben war. Vielleicht hatten die Sparta gewogenen und dem Lysandros ergebe-
nen Kräfte der Stadt es der pro-athenischen Fraktion als ratsam erscheinen lassen, sich in die von ihrem Androklos gegründete „Griechenstadt“ zurück-
zuziehen oder zumindest auf diesem historischen Boden die Pflege der traditionellen Kulte wieder aufzunehmen. Überhaupt gewinnt man aus den
Quellen den Eindruck, als bildeten der Koressoshafen und die zugehörige Siedlung einen literarischen Topos für die den Griechen bzw. Athen gegenüber
freundlich eingestellte Partei in Ephesos. Hier knüpft nicht nur die Verbindung mit Androklos an, sondern schon 498 v.Chr. landete in diesem Hafen die
ionisch-aufständische Flotte45, möglicherweise weil man den perserfreundlichen Bewohnern der Kroisos-Stadt beim Artemision schon damals nicht
traute46 47. Die Verehrung von Zeus Patroos und Zeus Mainalos könnte allerdings auch auf die am Koressos vor Anker gegangenen Soldaten des Thrasyllos
zurückgehen.
An der Spitze der bis in die hellenistische Zeit als Kap in das Meer hinausragenden Tracheia^ (Plan 1, Nr. 103) steht auf dem Felsgrund ein kleiner
Prostylos (,Felsspalttempel‘), für dessen Entstehung von St. Karwiese48 - nach Bleiabschlägen zweier Ephesos-Münzen auf dem Felsgrund, die allerdings
nur einen terminus post quem angeben können - die Zeit um 400 v.Chr., von W. Alzinger49 - auf Grund der Stirnziegel mit Rankenfrau-Darstellung und
der zahlreichen weiblichen Terrakotta-Gewandfiguren - aber die frühhellenistische Zeit vorgeschlagen wurde. Bereits J. Keil hatte Apollon als Inhaber
dieses Tempels reklamiert, Karwiese schlug Apollon und/oder Leto vor, Alzinger schloss Apollon als Inhaber des Tempels jedoch auch. Der Bau erhob
sich über einem den Fels bis in das Grundwasser hinab zerreißenden Felsspalt, der an einer Stelle direkt westlich der Cella künstlich zu einem Brunnen
erweitert wurde. Wenn dieser Felsspalt die Quelle Hypelaios der Gründungssage sein sollte, an der Androklos den auf die Tracheia gelaufenen Eber
tötete, so wäre eine Identifikation des Tempels mit dem bei Kreophylos genannten Athenaheiligtum durchaus wahrscheinlich.
Das stärkste Argument dafür, dass die Stelle der Androklos-Siedlung als Rückbesinnungsort auf attische oder im weiteren Sinn griechische Traditionen
diente, könnte dieser - nach dem Fundmaterial frühestens im 4. Jh. v.Chr., aber jedenfalls vor Gründung der lysimachischen Stadt errichtete -,Felsspalttem-
pel ‘ abgeben, wenn für ihn eine taugliche Verbindung zum ebenfalls in diese Zeit zu datierenden, bei Kreophylos und Strabon überlieferten Athena-
heiligtum50 hergestellt werden könnte. Dieses müsste dann zu einem Zeitpunkt errichtet worden sein, als man sich irgendwann nach dem Frieden des

41 IK 12, 104; Soykal (wie Anm. 39) 42f. Nr. 3 und S. 203f. Kat.-Nr. 86.
42 Efes Müzesi Selguk; Fundort unbekannt, nach allgemeiner Überzeugung aus dem
Felsheiligtum; IK 12, 102; Soykal (wie Anm. 39) 42 Nr. 2 und S. 202 Kat.-Nr. 82.
43 Unpubliziert; vgl. vorläufig Scherrer, Siedlungsgeschichte, 384; Ein Überblick
zur Zeusverehrung in Ephesos allgemein bei: E. Trinkl, Zeus in der Stadt der
Artemis, in: F. Blakolmer - H.D. Szemethy (Hrsg.), Akten des 8. Österreichischen
Archäologentages am Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien vom
23. bis 25. April 1999, WForsch 4 (2001) 113-119 (zu Zeus Mainalos bes. 114). -
Der Text lautet: ZHNOX MAINAAO HPOMANAP1ADNIEPON. Möglicherweise
waren diese Heromandriden thrakische Söldner (H. Taeuber bei: Trinkl a.a.O.,
114 Anm. 21).
44 Vgl. oben Anm. 28.
45 Hdt. 5.100.
46 Dass jedoch der Stadthafen der Flotte nicht genügend Platz geboten habe, wie
Bürchner, RE, 2789, meinte, klingt wenig überzeugend. Zur propersischen Ein-
stellung der Ephesier, Bürchner, RE, 2789.
47 Scherrer, Siedlungsgeschichte, 382f.

48 St. Karwiese, Koressos - Ein fast vergessener Stadtteil von Ephesos, in: Pro Arte
Antiqua, Festschrift für H. Kenner, II (1985) 214-225, 215 u. 219; Karwiese,
Artemis,54 u. 177adAbb. 15; idem., in: Ephesos-Führer, 190 (= Ephesus-Guide, 188). —
Karwiese interpretierte den Tempel als Siegeszeichen nach dem Gefecht gegen
Thrassylos. - F. Soykal-Alanyali, Überlegungen zu dem Kult von Demeter und Kore,
in Synergia. Festschrift für Friedrich Künzinger, hrsg. v. B. Brandt - V. Gassner -
S. Ladstätter, I (2005) 319-326, weist den Tempel diesen Gottheiten zu.
49 RE Suppl. XII (1970) 1646, s.v. Ephesos B: Archäologischer Teil (W. Alzinger);
eine ähnliche Datierung bereits bei Keil, Bericht 1927, 48-50; vgl. zu den Funden
auch: Vetters, Bericht 1977, 271f. Taf. 9f.; Vetters, Bericht 1978, 130 Abb. 13
Taf. 12f.; vgl. oben Anm. 37.
50 Strab. 14.1.4. - Zur Verehrung der Athena in Ephesos vgl. M. Aurenhammer, Athena
Medici in Ephesos, in: Lebendige Altertumswissenschaften. Festgabe zur Vollen-
dung des 70. Lebensjahres von Hermann Vetters, dargebracht von Freunden, Schü-
lern und Kollegen (1985) 212-215.

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