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einer Kredenz zu inventarisieren oder den Küchenzettel eines bürger-
lichen Gastmahles zu registrieren gälte. Die objektive Dokumentation
sAeint sich sogar bis auf die porträtistische Erfassung der Familien-
mitglieder und Gäste zu erstrecken: lauter Gravamina und Corpora
delicti, die das Bild, je näher man ihm auf den Leib rückt, desto
rätselhafter maAen.
Jedem Geheimnis wohnt die MögliAkeit, ja die Versuchung des
Verrates inne, die hier als Ansporn zu gewagter Selbstbehauptung
oder Selbstbefreiung, dort mit der selbstzerstörenden Faszination des
Abgrunds, als Sprungbrett in das Bodenlose lockt. Bruegel hat diese
Situation in seinen beiden Bilderrätseln, der Thesis und Antithesis des
»Kugelspieles«, sAarf herausgestellt. Wie konnte es zu dem Mysterien-
verrat der »Kana-HoAzeit« kommen? Die Lösung dieses spannenden
Problems kann nur aus der historisAen Situation des Helden ab-
geleitet werden, der in den Bildkonzepten der vier Medaillons wie
auA der »Kana-HoAzeit« seine eigene GesAiAte schreibt.
DurA seinen Eintritt in das jüdische Haus, dessen besessene ToAter
er gesundgebetet und zur Braut gewonnen hatte, kam er mit einem
Kreis semitisAer Ketzer in Berührung, die sich zu einem aus Ägypten
oder Syrien importierten Kult vereinigt hatten. Wie die Idole des
Altars bezeugen, ging es dabei um eine Einweihung, den »Kreislauf
der Geburten« auf den drei Stufen: Körper — Seele — Geist durA
»Wiedereinswerdung« im ZeiAen uranfänglicher Androgynie zu
überwinden. ßrMCgeJs »Hermogenes« ergänzt das Bild naA der fana-
tisch exzessiven Seite, indem er zeigt, daß diese Ideologie in praxi zu
den Folgerungen kultischer Promiskuität und Kastration (zum min-
desten der Priester) führte. — Wenn auA der Gästekreis der »Kana-
Hochzeit« in erster Linie als Familienverband, in zweiter erst als Teil
eines Korporationsverbands erscheint, darf doA aus seiner Tischordnung
gefolgert werden, daß jene KultgenossensAaff sich nicht auf jüdische
Mitglieder besAränkte. AuA Christen waren zugelassen, sogar Kloster-
leute. Letztere zählten, wie der Karmelitenfrater Wi/(f772 vaw HiMer-
TWjeH, den wir als zweiten Ordensmeister der Brüsseler Adamiten
kennenlernten*, oder die gesAorenen Nonnen, die sich ungescheut im
Liebesparadies des »Tausendjährigen ReiAs« ergehen", zu dem ab-
trünnigen Klostervolk, mit dem siA die Inquisitionsgerichte oft genug
befaßten.
Nur ein konfessionell vollauf indifferenter Synkretismus ermöglichte
das bodenlose SAwanken und Ineinanderübergehen der Bekenntnis-
formen, worin die Eheschließung des HoAmeisters siA vollzieht: Als

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