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428 Mythologische Darstellungen.

ebenso leidenschaftlich in der Freude, sie jauchzt und jubelt
in den bewegtesten Rhythmen ohne auf die beschwichtigenden
Worte des ruhigeren Bruders zu hören, ohne die Gefahr zu
achten, in welcher sie selber und der Plan der Rache schwe-
ben. Und wie wäre es anders möglich, nachdem wir erfahren,
wie gross und wie lange der Druck war, unter dem Elektra
lebte. Der Künstler aber hat keinen Zug der Leidenschaft
in seine Darstellung aufgenommen, sondern nur die Empfin-
dung ruhiger und inniger Freude dargestellt, die sich beson-
ders schön in der Haltung der Köpfe an beiden Figuren
ausspricht. Er mochte vielleicht diese Auffassung den Bedin-
gungen der plastischen Kunst angemessener finden, doch lässt
sich wohl nicht bestreiten, dass wenn nicht andre Zeichen uns
andeuteten, was für ein Wiedersehn gemeint sei, aus der
Handlung selbst der Gegenstand schwerlich erkannt werden
würde. '

Diese andeutenden Zeichen sind zunächst die Grösse der
Elektra im Vergleich zum Orest. Nach der sophokleischen
Dichtung ist Elektra die eigentliche Urheberin der Rache an
der Mutter, und Orest, den sie selber aufgezogen, erscheint
wie ihr Werkzeug. Dieses Verhältniss konnte der Künstler
nur dadurch ausdrücken, dass er den Orest fast wie einen
Knaben, als welchen ihn auch seine Schwester bei Sophokles
bezeichnet, der heroischen Jungfrau gegenüberstellte. Ausser-
dem bezeichnen die kurzgeschorenen Haare der letzteren die
Trauer um den Vater Agamemnon und endlich, worauf der
Künstler gewiss rechnete und rechnen durfte, war das Wie-
dersehn von Orest und Elektra vor allen andern ähnlichen
Scenen berühmt.

Die Inschrift nennt als Verfertiger den Menelaos, des
Stephanos Schüler, einen Künstler des ersten christlichen Jahr-
hunderts. Wir zweifeln nicht dass die Gruppe ein Original-
werk dieses Künstlers ist, denn die Vermuthung, dass er ein
Original der rhodischen Schule copirt habe, ist bei dem pa-
thetischen Charakter den die Werke jener Schule gehabt zu
haben scheinen, dieses Werk aber gerade nicht hat, unwahr-
scheinlich. Zudem glauben wir in der schweren und den Un-
terkörper mehr als bei den Griechen üblich, verhüllenden Ge-
wandung der Elektra einen specifisch römischen Zug zu er-
kennen, und in ihrem Gesicht fällt das grosse Kinn und die
kurze Oberlippe auf, eine Eigenthümlichkeit der altgriechischen
Kunst, die sich auch in der oben (n. 92) beschriebenen Fi-
 
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