eine - ideale - Scheidewand gegen den Betrachter
hin aufgestellt. Die Vordergrundsfläche behält
nicht nur kompositionell für die Verteilung der
regelmäßig auf sie projizierten Raumwerte ihre
Gültigkeit, sondern besteht darüber hinaus auch
als Trennungswand.
Um dies augenfällig zu machen, bedient sich die
Darstellung ganz verschiedener Mittel. Auch hier
(135) gibt es eine einfachere Art, die sich nur auf
die Anordnung der Figuren im Raum beschränkt,
und eine betontere, die die Trennung durch ein-
geschobene Gegenstände verdeutlicht. Beide lau-
fen über ein Jahrhundert nebeneinander her, doch
ist die letztere im allgemeinen die frühere und
bleibt im großen und ganzen begriff lieber Vor-
stellung verknüpft.
Unter den bildlich dargestellten Trennungsmo-
tiven sind die architektonischen Rahmungen am
häufigsten. Sie haben eine sehr alte Tradition,
waren schon in der Spätantike gebräuchlich. In
Frankreich tauchen sie immer wieder auf und fin-
den seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in der
Form von säulengestützten Dreipässen (136) häu-
fige Anwendung. Mit der Vertiefung des Raumes
erhalten sie neben der flächenrahmenden und sze-
nengliedernden auch eine raumabschließende Be-
deutung. Sie bilden das Eingangstor zur Bühne,
allerdings trennend, und nicht einführend, aufzu-
fassen, da der Bildvorgang hinter ihnen zur Dar-
stellung gelangt. Ganz klar kommt dies in einer
Verkündigungsminiatur des Jean Pucelle im Ge-
betbuch der Jeanne von Evreux zur Geltung (137).
Das kleine Haus, in das die Szene verlegt ist, wird
durch eine dünne Säule in einen niedrigen Vor-
raum und in einen größeren Hauptraum geschie-
den, in dem Maria sitzt. Der zu ihr tretende Engel
ist hinter die Säule gestellt, die damit die trennende
Funktion nach vorne aufnimmt und die ausge-
brochene, aber doch noch als vorhanden empfun-
dene Hauswand an einer Stelle bezeichnet. Dem
vollständig, samt Dach und Lukenfenstern, darge-
(135) Ganz ähnlich wie bei der formal-darstellerischen Be-
tonung wichtiger Inhalte. (Vgl. III. Abschnitt, 1. Teil, S. 43.)
(136) Sehr schön ausgeprägt finden sich diese im Psalter
Ludwigs des Heiligen (Paris, Nat. Bibi., Ms. lat. 10525.
Abbildung bei Couderc: «Les enluminures des Mss. du
Moyen äge de la Bibi. Nat.». Paris 1926).
(137) Paris, Baron Moritz von Rothschild. Abbildung bei
Bella Martens, a. a. O.
stellten Flaus haftet noch die Vorstellung eines
Begriffes an, doch ist bereits die zukünftige Raum-
auffassung deutlich ausgeprägt. Die Säule hat hier
nicht die Aufgabe, den Inhalt, der ja unmittelbar zu-
sammengehörig ist, anschaulich zu gliedern (138);
sie sondert den einheitlichen Inhalt in einer ein-
heitlich-abgeschlossenen Raumzelle vom wirk-
lichen Freiraum ab. Der dargestellte Raum ist ein
Bildraum, der inhaltlich-begrifflich mit anschau-
lichen Mitteln abgeschlossen ist.
Die architektonische Rahmung hält sich bis ins
16. Jahrhundert (Abb. 13), wird zuweilen auch
in späteren Jahrhunderten in zwangloserer Form
noch öfters verwandt. Wie lieben es die Land-
schaftsmaler des 18. Jahrhunderts, allen voran
Hubert Robert, Ausblicke durch eine im Vorder-
grund aufgestellte Architektur wahrnehmen zu
lassen (139). - Mit dem Gesamtinhalt wird auch
die trennende Architektur im Verlauf des 14. Jahr-
hunderts stärker räumlich. Auf einem von Jean de
Bondol gemalten Widmungsblatt des Jean de Vau-
delaer an Karl V. (140) sind die zierlichen, dünnen
Säulchen, die den reich gegliederten Bogen tragen,
bereits plastisch. Gegen die Jahrhundertwende
verfestigen sich die Abschlüsse noch mehr: breite
Rundbogen oder Korbbogen lagern auf festen
Pfeilern oder Säulen. Es gibt verschiedene Lösun-
gen; neben der einfachen Arkade, die fast unbe-
züglich vor die Szene gestellt ist (141), finden sich
(138) Dies ist an der Tatsache abzulesen, daß sich der Engel
hinter ihr befindet, also von ihr (in klarer Weise) überschnitten
wird, und nicht links von ihr im kleineren Vorraum steht.
(139) Hubert Robert: Le pont (Besitz 1914: Ch.Brunner);
L’escalier de pierre (Comte de Franqueville).
(140) Haag, Museum Meermann-Westrheenen. Abbildung
bei Michel: «Histoire de l’art», III, 2. - Ähnliche Arkaturen
sind in Jacquemard de Hesdins Miniaturen im Großen Stun-
denbuch des Herzogs von Berry (Paris, Nat. Bibi., Ms.
lat. 919) angebracht, z. B. auf der Hochzeit von Kanaa. Ab-
bildung bei Durrieu: «La peinture ä l’Exposition des pri-
mitifs franjais,» S. 53.
(141) Der Tyrann von Syrakus im Boccaccio Johanns
ohne Furcht (Paris, Arsenalbibl. Ms. 5193 fo. 143 vo.). Ab-
bildung bei Bella Martens, a. a. O., Abb. 4. - Die Trennung
ist in dieser Miniatur dadurch besonders stark betont, daß
der Rundbogen, der den vorderen Abschluß des Raumes
versinnbildlicht, auf der linken Bildseite wie im Scharnier
von der idealen Vordergrundsebene abgewinkelt ist. Der
dargestellte Raum endigt nicht in der Vordergrundsebene,
sondern schon hinter derselben.
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hin aufgestellt. Die Vordergrundsfläche behält
nicht nur kompositionell für die Verteilung der
regelmäßig auf sie projizierten Raumwerte ihre
Gültigkeit, sondern besteht darüber hinaus auch
als Trennungswand.
Um dies augenfällig zu machen, bedient sich die
Darstellung ganz verschiedener Mittel. Auch hier
(135) gibt es eine einfachere Art, die sich nur auf
die Anordnung der Figuren im Raum beschränkt,
und eine betontere, die die Trennung durch ein-
geschobene Gegenstände verdeutlicht. Beide lau-
fen über ein Jahrhundert nebeneinander her, doch
ist die letztere im allgemeinen die frühere und
bleibt im großen und ganzen begriff lieber Vor-
stellung verknüpft.
Unter den bildlich dargestellten Trennungsmo-
tiven sind die architektonischen Rahmungen am
häufigsten. Sie haben eine sehr alte Tradition,
waren schon in der Spätantike gebräuchlich. In
Frankreich tauchen sie immer wieder auf und fin-
den seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in der
Form von säulengestützten Dreipässen (136) häu-
fige Anwendung. Mit der Vertiefung des Raumes
erhalten sie neben der flächenrahmenden und sze-
nengliedernden auch eine raumabschließende Be-
deutung. Sie bilden das Eingangstor zur Bühne,
allerdings trennend, und nicht einführend, aufzu-
fassen, da der Bildvorgang hinter ihnen zur Dar-
stellung gelangt. Ganz klar kommt dies in einer
Verkündigungsminiatur des Jean Pucelle im Ge-
betbuch der Jeanne von Evreux zur Geltung (137).
Das kleine Haus, in das die Szene verlegt ist, wird
durch eine dünne Säule in einen niedrigen Vor-
raum und in einen größeren Hauptraum geschie-
den, in dem Maria sitzt. Der zu ihr tretende Engel
ist hinter die Säule gestellt, die damit die trennende
Funktion nach vorne aufnimmt und die ausge-
brochene, aber doch noch als vorhanden empfun-
dene Hauswand an einer Stelle bezeichnet. Dem
vollständig, samt Dach und Lukenfenstern, darge-
(135) Ganz ähnlich wie bei der formal-darstellerischen Be-
tonung wichtiger Inhalte. (Vgl. III. Abschnitt, 1. Teil, S. 43.)
(136) Sehr schön ausgeprägt finden sich diese im Psalter
Ludwigs des Heiligen (Paris, Nat. Bibi., Ms. lat. 10525.
Abbildung bei Couderc: «Les enluminures des Mss. du
Moyen äge de la Bibi. Nat.». Paris 1926).
(137) Paris, Baron Moritz von Rothschild. Abbildung bei
Bella Martens, a. a. O.
stellten Flaus haftet noch die Vorstellung eines
Begriffes an, doch ist bereits die zukünftige Raum-
auffassung deutlich ausgeprägt. Die Säule hat hier
nicht die Aufgabe, den Inhalt, der ja unmittelbar zu-
sammengehörig ist, anschaulich zu gliedern (138);
sie sondert den einheitlichen Inhalt in einer ein-
heitlich-abgeschlossenen Raumzelle vom wirk-
lichen Freiraum ab. Der dargestellte Raum ist ein
Bildraum, der inhaltlich-begrifflich mit anschau-
lichen Mitteln abgeschlossen ist.
Die architektonische Rahmung hält sich bis ins
16. Jahrhundert (Abb. 13), wird zuweilen auch
in späteren Jahrhunderten in zwangloserer Form
noch öfters verwandt. Wie lieben es die Land-
schaftsmaler des 18. Jahrhunderts, allen voran
Hubert Robert, Ausblicke durch eine im Vorder-
grund aufgestellte Architektur wahrnehmen zu
lassen (139). - Mit dem Gesamtinhalt wird auch
die trennende Architektur im Verlauf des 14. Jahr-
hunderts stärker räumlich. Auf einem von Jean de
Bondol gemalten Widmungsblatt des Jean de Vau-
delaer an Karl V. (140) sind die zierlichen, dünnen
Säulchen, die den reich gegliederten Bogen tragen,
bereits plastisch. Gegen die Jahrhundertwende
verfestigen sich die Abschlüsse noch mehr: breite
Rundbogen oder Korbbogen lagern auf festen
Pfeilern oder Säulen. Es gibt verschiedene Lösun-
gen; neben der einfachen Arkade, die fast unbe-
züglich vor die Szene gestellt ist (141), finden sich
(138) Dies ist an der Tatsache abzulesen, daß sich der Engel
hinter ihr befindet, also von ihr (in klarer Weise) überschnitten
wird, und nicht links von ihr im kleineren Vorraum steht.
(139) Hubert Robert: Le pont (Besitz 1914: Ch.Brunner);
L’escalier de pierre (Comte de Franqueville).
(140) Haag, Museum Meermann-Westrheenen. Abbildung
bei Michel: «Histoire de l’art», III, 2. - Ähnliche Arkaturen
sind in Jacquemard de Hesdins Miniaturen im Großen Stun-
denbuch des Herzogs von Berry (Paris, Nat. Bibi., Ms.
lat. 919) angebracht, z. B. auf der Hochzeit von Kanaa. Ab-
bildung bei Durrieu: «La peinture ä l’Exposition des pri-
mitifs franjais,» S. 53.
(141) Der Tyrann von Syrakus im Boccaccio Johanns
ohne Furcht (Paris, Arsenalbibl. Ms. 5193 fo. 143 vo.). Ab-
bildung bei Bella Martens, a. a. O., Abb. 4. - Die Trennung
ist in dieser Miniatur dadurch besonders stark betont, daß
der Rundbogen, der den vorderen Abschluß des Raumes
versinnbildlicht, auf der linken Bildseite wie im Scharnier
von der idealen Vordergrundsebene abgewinkelt ist. Der
dargestellte Raum endigt nicht in der Vordergrundsebene,
sondern schon hinter derselben.
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