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die turmbeseiteten und zinnenbekrönten Auf-
schnitte von Innenräumen (142). Wie früher schon
(143), so ist auch hier wieder die Beständigkeit ein-
zelner Motive auffallend. Das Widmungsblatt der
«Vie et miracles de St. Denis» (144) und das Titel-
blatt eines Exemplars der «Lamentation de Sal-
mon» (145) zeigen bei aller Verschiedenheit im
einzelnen doch ähnliche Raumanlage und Ab-
schlußmanier. Die Bogenabschlüsse sind beson-
ders in den ersten vier Jahrzehnten des 15. Jahr-
hunderts weit verbreitet. Eine besondere Farbe,
die stark vom übrigen Bildinhalt absticht und sich
darin oft nicht mehr wiederholt, kann den Ein-
druck der scharfen Scheidung noch vermehren.
Neben den Trennungsbogen, die die ganze Bild-
fläche rahmen, kommen in der französischen Kunst
zahlreiche andere räumliche Abschlußmotive vor.
Manchmal ergeben sie sich aus der Darstellung,
selbst, wie etwa auf gewissen Miniaturen der«Mer-
veilles du monde», wo Hügel oder Bäume des Vor-
dergrundes sich von beiden Bildrändern her wie
Kulissen vor den Hauptinhalt schieben, diesen oft
etwas überdeckend; manchmal werden sie einfach
hinzugefügt. Auf einer Darstellung des Schmer-
zensmannes im Gebetbuch Karls VI. in Wien (146)
wird der blumenbesäte Rasen, auf dem sich die
nächsten Anverwandten um den Sarkophag scha-
ren, nach vorne durch eine niedrige, dreitürmige
Zinnenmauer abgeschlossen; auf einer Miniatur
aus den«Tres belles heures de Notre Dame du
duc de Berry» (147) steht der von zwei Engeln ge-
stützte, kraftlos nach vorn überfallende Leichnam
Christi hinter einem beidseitig im unteren Viertel
einer architektonischen Randleiste befestigten
Tuch, das nach der Mitte zu durch sein eigenes
(142) Sostrata und Laches im Terence des Ducs. Paris,
Arsenalbibl., Ms. 669. Abbildung bei Bella Martens, a. a. O.,
Abb. 5.
(143) Vgl- S. 41-
(144) Paris, Nat. Bibi., Ms. fr. 2090. Der Mönch Yves
übergibt Philipp dem Langen sein Werk. Um 1317. Ab-
bildung bei Couderc: «Les enluminures des Mss. du Moyen
äge de la Bibi. Nat.,» T. X.
(145) Mit der Widmung an Karl VI., um 1420. Paris,
Nat. Bibi., Ms. fr. 23279. Abbildung bei Michel, a. a. O.,
Bd. III, 1, S. 159.
(146) Wien, Nat. Bibi., Ms. 1855 fo. 21 vo. Abbildung
bei Bella Martens, a. a. O., Bd. I, Abb. 63.
(147) Paris, Sammlung Moritz von Rothschild. Abbildung
bei Bella Martens, a. a. O., Bd. I, Abb. 94.

Gewicht in leichtem Bogen herunterhängt. So-
wohl Rahmung als auch Tuch wirken dem vor-
gebeugten Christuskörper entgegen. - Andere
Räume werden durch einzelne Stufen (148) oder
durch seitlich eingezogene Eckvorhänge (149)
nach vorn begrenzt. Selbst auf Bildnissen, die doch
zwecks Beschränkung auf das Wesentliche (150)
meist gar nicht in eigentliche, ausführlich beschrie-
bene Räume gestellt sind, wird gern die Büste
hinter vorgeschobenen Schranken dargestellt, die
dann mit der Funktion des Abschlusses auch die
der Raumbildung schlechthin verbinden (151).
Der vordere Raumabschluß kann jedoch auch
ohne ganze oder teilweise Trennungswände mittel-
bar zum Eindruck gebracht werden. Personen
oder Gegenstände werden räumlich in einem be-
stimmten Abstand vom Bildrand aufgestellt: ein
Hinausgreifen oder Hinausragen über die vordere
Bildfläche kommt sowieso nicht in Frage; doch
auch eine allzu nahe oder eine allzu ferne Aufstel-
lung von derselben wird vermieden. Denn beide
können suggestiv eine gewisse räumliche Saug-
wirkung ausüben. Der Abstand der Figuren von
der Vordergrundsfläche wird deshalb verhältnis-
mäßig zu anderen Raumangaben festgelegt; es ist
weniger die absolute Entfernung jedes Gegenstan-
des von der Vordergrundsfläche, als das gegensei-
tige Verhältnis der Entfernung aller Gegenstände,
das festlegend wirkt. Die Gesamthandlung ent-
wickelt sich gleichlaufend oder doch bezüglich zur
Bildfläche.
Beim Fehlen von Trennungsschranken ist ein
(148) Der Erzengel Michael erscheint Karl VIII. Institu-
tionsde l’ordre de St.Michel. Paris, Nat. Bibi.,Ms. fr. 14363.
- Meister von Moulins: Verkündigung Mariä auf den Außen-
seiten der Altarflügel. - Wo in der deutschen Kunst des
15. Jahrh. der Boden mit Absätzen oder Stufen beginnt,
ist immer ein französischer Einfluß im Spiel (Konrad Witz:
Die hl. Katharina und Barbara. Straßburg, Museum).
(149) Foucquet: Bildnis Karls VII. Paris, Louvre. -
Francois Clouet: Bildnis Karls IX. Paris, Louvre.
(150) Vgl. S. 66.
(151) Foucquet stellt den Jüngling der Liechtenstein-
Galerie in Wien hinter eine simsbekrönte Brüstung, auf die er
ihn die Linke aufliegen läßt. - Die gleiche Anlage zeigt auch
das (in rechter Dreiviertelansicht gegebene) Bildnis Philipps
des Kühnen von Burgund im Louvre. Das Motiv findet
über Corneille de Lyon und die Clouets hinaus noch bei
Lagneau, in der Schule der Dumoustiers und in vielen Bildnis-
stichen des 17. und 18. Jahrh. Verwendung.

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