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Die Gartenkunst — 30.1917

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Heicke, C.: Die Kriegstätigkeit der Gartenverwaltungen in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Gartenkultur
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eine ständig wachsende Anzahl Personen wurde
bei der Abwickelung der Geschäfte nötig.

Von besonderer Art ist die Betätigung des
Frankfurter Palmengartens, der seine Blumen-
und anderen Kulturen einschränkte und dafür
Anbau-Versuche von Gemüse in großem Maßstab
betrieb. Die verschiedensten Sorten wurden auf
ihre Ertragsfähigkeit geprüft, neue Sorten in
Versuch genommen, fremdländische Gewächse
sowie bisher zur Ernährung wenig benutzte ein-
heimische hinzugenommen, ein Mustergarten ein-
gerichtet und die Ergebnisse aller dieser Bestre-
bungen im Herbst 1916 in einer gutbeschickten
Kriegsgemüseausstellung der breiten Öffentlich-
keit vorgeführt.

So sind die städtischen Gartendirektoren und
Herren in ähnlichen Stellungen Großgemüse-
züchter geworden, und es drängt sich die Frage
auf, ob daraus für die Entwicklung der Garten-
kunst und Gartenkultur in der Zukunft etwas
gewonnen werden kann. Gemüsebau ist keine
künstlerische Tätigkeit, aber Gemüsebau ist
ein Zweck, auf dessen Erfüllung wir uns in Zu-
kunft bei vielen Fragen der Gartengestaltung
einzustellen haben, ganz abgesehen davon, daß
die Ernährungsschwierigkeiten noch eine ge-
wisse Reihe von Jahren nach dem Kriege ähn-
liche Maßnahmen wie jetzt notwendig machen.
Gemüsebau ist ein Zweck, der in vielen Gärten
und Gartenformen in Zukunft wieder erfüllt
werden muß, und dazu ist es förderlich, daß
jetzt viele hervorragende Fachmänner genötigt
sind, sich mit seinen Anforderungen wieder ver-
traut zu machen, ihre Kenntnisse darin aufzu-
frischen und sie in ihrer Anwendung auf ganz
neuer Grundlage zu erproben und zu ergänzen.
Man muß anerkennen, daß die Herren diese
Kriegsbelastung neben der heute schwierigen
Abwickelung der laufenden Dienstgeschäfte nach
guter deutscher Art beherzt und mit freudigem
Eifer übernommen und sich gut mit ihr aus-
einandergesetzt haben.

Nun haben wir bereits bei verschiedenen
Gelegenheiten hervorgehoben, daß die wirt-
schaftliche Kargheit, die unsere ganze Tätigkeit
nach dem Krieg richtunggebend beeinflussen
wird, auch den Garten und die Gartenkultur
nicht unbeeinflußt lassen wird. Gartenbau und
Gartenkultur werden auch nach dem Kriege ge-
fördert und gepflegt werden, vielleicht mehr als
vorher. Aber wir werden uns dabei auf strenge
Sachlichkeit und weitgehende Erfüllung von
Zweckmäßigkeitsfragen einzustellen haben. Wir
haben erkannt, daß wir viel zu sehr aus dem
Vollen gelebt und Mittel und Möglichkeiten zu
eigener Erzeugung aus dem Auge verloren ha-
ben. Unsere Gärten werden daher in Zukunft
weniger reine Zier-, Schmuck- und Kunstanlagen
sein, es wird bei ihnen die Frage vorangestellt
werden müssen, wie können wir sie vor allen

Dingen nutzbringend für unsere Volkswirtschaft
und Volksgesundheit gestalten.

Diese Erwägungen werden namentlich auf
dem Gebiete der Gartensiedlungen, der Krieger-
heimstätten, des Kleingartenbaues, bei allen
Haus- und Wohngärten von Einfluß auf die Ge-
staltung sein.

Sie werden auch dauernd eine Rolle spielen
bei allen Gemeindegartenverwaltungen und
ähnlichen Einrichtungen. Bei ihnen namentlich
deswegen, weil die Förderung der Gartenkul-
tur und des Gartenbaues bei der Erschließung
städtischen Grundbesitzes wieder stark in den
Vordergrund treten wird. Es wird überall darauf
Bedacht genommen werden müssen, daß neben
gesunden Wohnungen der Bevölkerung Gelegen-
heit zum Leben und Schaffen in Gärten in weit
höherem Grade als seither in der Umgebung der
Großstädte, nicht minder bei Mittel- und Klein-
städten, Gartensiedlungen und dergleichen ge-
geben wird.

Dafür ist es von großer Bedeutung, daß un-
sere Gartenbeamten sich wieder mit der Grund-
frage der wirtschaftlichen Ausnutzung der Gärten,
dem Anbau von Gemüse und sonstigen Ertrag
abwerfenden Kulturen vertraut gemacht haben.
Die klare Erkenntnis der Zwecke und ihrer Er-
füllungsmöglichkeiten ist immer Grundbedin-
gung, um auch Klarheit für die Form und Ein-
richtung der Gärten zu gewinnen, in denen sie
betrieben werden sollen. Wer nicht vertraut ist
mit den Anforderungen, die der Anbau von Nutz-
pflanzen stellt, kann nicht imstande sein, Gär-
ten zu schaffen, die diesen Zwecken dienen und
zugleich schön sein sollen.

Das letztere ist sehr wesentlich, wenn die
Siedlungsinsassen und Nutznießer der Gärten
sich dauernd darin wohl fühlen und heimisch
werden sollen. Wir erfüllen eine der Grund-
bedingungen für die künftige Entwicklung unserer
Wohnkultur, wenn wir unser Teil dazu beitragen,
daß alle derzeitigen Siedlungsbestrebungen von
vornherein auf einer Grundlage stehen, die Nütz-
lichkeit und Schönheit in gleicher Weise erfüllt.
Die Beispiele, welche wir in den trostlos nüch-
ternen Arbeitervierteln mancher Fabrikorte vor
Augen haben, reden eine eindrucksvolle Sprache.

Es wird unsere Aufgabe sein, die Überzeu-
gung zu verbreiten, daß Nützlichkeit und Schön-
heit auch bei solchen Gärten nicht Gegensätze
zu sein brauchen, daß die Schönheit der Anlage
ganzer Siedlungen und ihrer Teile sich ohne
Mehrkosten und Beeinträchtigung des Nutz-
zweckes erreichen lasse, wenn man rechtzeitig
darauf Rücksicht nimmt und mit den wirtschaft-
lichen Grundbedingungen vertraut ist. Diese
Vertrautheit hat der Kriegsgemüsebau der Gar-
tenverwaltungen uns in umfangreichem Maße
gebracht. Wir werden in der Lage sein, den
Siedlungen und ihren Gärten Formen zu geben,

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