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Die Gartenkunst — 30.1917

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Engelhardt, Walter von: Zukunftsgedanken in Erinnerung an die Werkbund-Tagung 1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.21302#0123

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gische Gärten, die Umgebung von Vereinshäusern
und Heimstätten schlichter Leute werden gerade
von kunstbegabten Fachleuten immer noch ein-
seitig nach der künstlerischen Seite hin ausge-
staltet. Mögen sie nach dieser Richtung noch so
reizvoll wirken, der Vorwurf ganz unzulänglicher
Lösung der Aufgabe wird dem Schöpfer solcher
Anlagen nicht erspart werden können.

In der Baukunst sind ähnliche Fehlgriffe nicht
selten, wo der „Nurkünstler" seiner Phantasie
die Zügel schießen läßt und bei seiner Anord-
nung der Räume in Wohnhäusern und auch
öffentlichen Gebäuden und ihrer Ausstattung, bei
der Eingliederung der Türen und Fenster, bei der
Formgebung und Stellung der Möbel ausschließ-
lich den Maßstab der Schönheit anlegt. Wie viele
Landhäuser z. B. müssen auf eine geräumige
gedeckte Veranda verzichten, weil sie dem Archi-
tekten „nicht in den Stil paßt", wie oft liegen
die Fenster eines Zimmers ungünstig, weil die
symmetrische Hausfront es so verlangt. Daß
der am Tisch Schreibende das Licht von der linken
Seite haben muß, daß ein Waschtisch nicht mit
feinem Schnitzwerk verziert sein darf, und ähn-
liche selbstverständliche Bedingungen mehr, wie
sie ein umsichtiger Hausbesitzer stellen muß,
bleiben nicht selten unter mitleidigem Lächeln
unerfüllt, und die gerügten Mängel, die der Be-
sitzer täglich fühlt, werden als geringfügige
Nachteile bezeichnet, die durch den erhebenden
Gedanken aufgewogen würden, ein Werk aus
Künstlerhand zu besitzen.

Auch aus dem Schaffensgebiet des Kunstge-
werbes ließen sich zahllose Beispiele anführen,
die diese verhängnisvolle Arbeitsrichtung in
grelles Licht stellen. Es ist erstaunlich, wie oft
sich ganz gebildete Leute vom Künstler über
diese inneren Widersprüche hinwegtäuschen
lassen, und ihre etwaigen Bedenken schüchtern
verschweigen aus Furcht, man könnte ihnen
Mangel an Kunstsinn vorwerfen. Sie lassen sich
verblüffen durch das majestätische Pathos, mit
dem manche Priester der Kunst uns glauben
machen wollen, daß die in der freibildenden
Kunst zu Recht bestehende Ungebundenheit be-
dingungslos hineingetragen werden dürfte —
oder gar müßte — in unser durch zwingende
Notwendigkeiten gebundenes Leben.

Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich be-
haupte, daß viele junge Talente der letzten
Jahre dieser hierarchischen Anmaßung führender
Künstler zum Opfer gefallen sind und das Wert-
urteil über Werke angewandter Kunst auch in
den oberen Gesellschaftsschichten schädlich beein-
flußt worden ist. Der Sinn für künstlerische Form
mag durch diese fanatische Einseitigkeit bei
vielen verfeinert worden sein; und das ist ge-

wiß mit Freuden zu begrüßen. Aber anderer-
seits hat man sich von diesem Standpunkt aus
gewöhnt, die persönliche Schöpfung des Künstlers
blindlings hochzuschätzen und demgegenüber den
Typus der Fabrikware ohne weitere Unterschei-
dung gering zu achten. Das ist daraus zu erklären,
daß Fabrikerzeugnisse fast ausschließlich vom
Gesichtspunkte einträglicher Absatzfähigkeit dem
verbildeten Geschmack der Menge angepaßt
werden und der Künstler aus genannten Gründen
sich der Durchbildung des Typus in der Massen-
fabrikation längst nicht genug widmet.

Die Folge davon ist der höchst bedauerliche
Mangel an schlichtem, brauchbarem und — ge-
schmackvollem Hausrat aller Art wie auch an
behaglich praktischen Wohnungen und Gärten für
die mittelbegüterten und ärmeren Schichten un-
seres Volkes. Die dankenswerten, aber immer
noch zu spärlichen Versuche, in dieser Hinsicht
Wandel zu schaffen, stehen in unerfreulichem
Verhältnis zu der heutigen Fülle der elegantesten,
künstlerisch hochdifferenzierten Erzeugnisse der
— Nutzkunst (wenn dieses Wort hier noch am
Platze ist) und zu der übergroßen Menge kauf-
männischer Massenerzeugung geschmackloser
Marktware.

Hier tut es not, daß der Künstler helfend
eingreift, indem er vom hohen Kothurn des Al-
leinherrschers dienend und formveredelnd her-
absteigt in die Welt des Volks-Alltags mit sei-
nen unerbittlichen Zweckforderungen und zwin-
genden Notwendigkeiten. Die hier mühevoll
ertrotzte Ordnung, an der praktische Erfahrung,
technische Erfindungen und Fabrikarbeit größtes
Verdienst haben, muß — unbeeinträchtigt von
individualistisch-egoistischen Künstlerlaunen —
erhalten und durch Künstlerdienst formal und
kulturell und damit auch volkswirtschaftlich ge-
hoben werden.

Im Interesse dieses „Dienstes" hat Muthesius
in dankenswerter Weise seinen Appell an den
Werkbund gerichtet. Muthesius war weit entfernt
davon, durch Kanon und Regeln die freie Kunst
fesseln zu wollen; auch ist er nicht dafür ein-
getreten, den Typus sofort festzulegen, sondern
ihn als selbstverständliches Ergebnis sozialer
Denkungsart und helfender Willensrichtung in
der Arbeit des Künstlers sich entwickeln und
werden zu lassen. Diese wünschenswerte Er-
gänzung wild auch auf dem Arbeitsfelde der
Gartenkunst bei denkommenden neuen Aufgaben
an geeigneter Stelle angestrebt werden müssen.
Möge ein jeder von uns sich nach Kräften bereit
finden, gehorsam der Wirklichkeit des Lebens und
der eindringlichen Mahnung der Gegenwart, mit-
zuhelfen am Ausbau unseres neuerstehenden
Vaterlandes.

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