Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Handzeichnungen Cranach's von den Wiener Jahren
bis zum Beginn der Wittenberger Tätigkeit 1500-1505

Mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts setzt in den Donaulän-
dern eine starke und überraschende künstlerische Bewegung ein, die
zu den tiefsten Offenbarungen des deutschen Wesens führen sollte.
Aus noch nicht einwandfrei erkannten Ursachen entsproß dem
naturgesegneten Boden eine Künstlergeneration, die trotz erstaun-
lichster Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungswelt durch bodenstän-
dige und nationale Elemente eng miteinander verbunden war. Die
donauländische Kunst der Jahre nach 1500 bietet ein Bild seltener
volkstümlicher Geschlossenheit. Grenzen, die der künstlerischen Ge-
staltung Jahrhunderte lang gesetzt schienen, wurden mit einem Male
durchbrochen. Ein elementares Naturerlebnis bildete die Grundlage
zu solch erstaunlichem Aufbruch gestaltender Kräfte. Cranach war
einer der frühesten, die auf diesem für große Ereignisse reifen
Schauplatz erschienen. Ihm, dem Franken, gelang es, den gegebenen
Vorbedingungen eines neuen künstlerischen Sehens und Empfindens
zu vollem Durchbruch zu verhelfen. Dabei ist Cranach seiner Um-
welt eng verpflichtet, obwohl es schwer fällt, auf direkte künst-
lerische Vorbilder hinzuweisen.

Das starke Naturgefühl, das alle seine Werke dieser Jahre von
1500—1504 erfüllt, dankt er größtenteils dem Boden, auf dem er
zum ersten Male für uns — als etwa 30jähriger — in Erscheinung
tritt. Schon seine frühst bekannten Arbeiten gewähren einen guten
Ueberblick über den Umfang seiner künstlerischen Welt. Am An-
fang stehen starke, leidenschaftlich empfundene Holzschnitte, es fol-
gen die gemalten religiösen Darstellungen in Wien und die Porträts,
die sich heute in Winterthur, Nürnberg und Berlin befinden. Die
Wirkung, die von Cranachs Linien- und Farbensprache ausging, ist
beträchtlich gewesen. Der Zeichner Cranach tritt in dieser Wiener
Zeit dem Maler fast gleichberechtigt gegenüber. Neben den ersten
Holzschnitten sind die beiden Berliner Blätter mit den an's Kreuz
gefesselten Schächern (Kat. 1 u. 2) dafür ein schlagender Beweis.
Die beiden Zeichnungen fallen durch ihren unerhörten Realismus auf.
In den qualvollsten und absonderlichsten Verrenkungen winden sich
die zu Tode gemarterten Verbrecher an den Kreuzen. Mit wenigen
unruhigen, von der Leidenschaft mitgerissenen Kreidestrichen weiß

7
 
Annotationen