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zu erzielen, die er in kühnem Traume sseh erhofft, ja erwartet hat. Wenigen, wohl nur Denen, die
einen weiten Weg mannigfacher Lebenserfahrung zurückgelegt haben, dürste es gelingen, selbsi in
der Erregung jene Gelassenheit zu bewahren, welche Ruhe und Sicherheit mittheilt in dem Augen-
blicke, da durch den Inhalt der vermittelten Botschaft Alles in Bewegung und Schwanken versetzt
werden müsste. Als im vergangenen Jahre zum ersten Male eine umfassende Ausstellung von Werken
eines kaum gekannten und genannten deutsehen Malers in München stattfand, erhielt die Welt eine
solche Neues und Grosses verkündende Botschaft, und fast mit einem Schlage erlangte der Name
dieses Künstlers, Hans Thoma, eine ungeahnte Bedeutung. Zwar die Stimmen, welche (ich für ihn
erhoben, waren vereinzelte und mehr der Ausdruck einer fragenden und Erklärung suchenden Ver-
wunderung, als einer klaren, sseheren Erkenntniss, immerhin dienen sie aber als ein untrügliches
Zeugniss von der nachhaltig starken Erregung, in welche die künstlerischen Kreise Münchens durch
diese Ausstellung versetzt worden waren. Die sehr kleine Gemeinde leidensehaftlicher Verehrer, die
bis dahin treu, aber nur in engem Kreise wirksam, das stille, stetige Schafsen des Meisters in seinem
Atelier zu Frankfurt am Main mit nicht nachlasscnder Spannung verfolgt hatte, sah mit ungläubigem,
aber freudigsiem Staunen die überraschend plötzliche Beziehung, welche die Ösfentlichkeit zu dieser
Kunst gewann. Dicselben Bilder, die bisher, vereinzelt hier und da ausgestellt, kaum Gegenstand
auch nur der tlüchtigsten Betrachtung und schnell absprechender Kritik gewesen waren, fanden mit
einem Schlage nicht nur Bewunderer, sondern Käufer, und die königliche Akademie zu München
gab der ösfentlichen Meinung Ausdruck, indem sie Hans Thoma zum Ehrenmitgliede ernannte. Der
Bann ist gebrochen: in seinem einundfünfzigsten Jahre, nach dreissig Jahren fast vollständiger Ver-
einsamung und bitterster Erfahrungen, beginnt einer der grössten Künstler Deutschlands den Dank
und die Anerkennung zu ernten, die zur Entschädigung für so lange schier unbegreifliche Vernach-
lässigung die Welt ihm schuldet. Noch immer freilich nur in einem beschränkten Kreise, doch sleht
es mit Sicherheit zu erwarten, dass bald dem von München gegebenen Vorbilde die kunstliebenden
Kreise der anderen grossen Städte Deutschlands folgen werden, die gegenwärtig noch scheu und
theilnahmlos sseh verhalten!
Dreissig Jahre ununterbrochenen, raftlosen Schasfens! Eine wahrhaft unübersehbare Fülle der
bedeutendsten Schöpfungen! Man könnte (ich wohl mit Verwunderung fragen, wie solches Wirken
so lange im Verborgenen bleiben konnte, ergäbe sich die Antwort nicht leicht aus der Wahrnehmung
so vieler analoger Fälle in der Geschichte künstlerischer Thaten. Ein nie erlebtes Neues, das im
Widerspruche zu der Tradition und der Mode ficht und sich in keine Regel fügen will, erscheint
fast immer der vom Gewohnten beherrschten Allgemeinheit zunächst als ein A6t rein individueller
Willkür, welchem Widerstand im Interesse des Allgemeinen entgegengesetzt werden muss, sei nun
derselbe ein mehr latenter oder ein offen in absprechendem Urtheile sich äussernder. Solch' ein
wahrhaft Neues aber, das nicht mit dem viel häufiger eintretenden, auf rein äusserliche Wirkung
ausgehenden, absichtlich erfirebten Absonderlichen verwechselt werden darf, ist nichts Anderes, als
eine in genialem Vermögen wurzelnde und auf individuelle Weise ihren Ausdruck suchende directe,
naive Anschauung der Natur. Mit so grosser Befiimmtheit dies von allen Künsten zu behaupten ist,
so sicher auch ist es, dass kaum eine andere Kunst es gleich ersichtlich machen dürfte, wie die
Malerei. In viel höherem Grade, als der Einzelne sich desfen bewusst ist, steht er in seiner Fähigkeit,
die Natur zu sehen, unter dem fast allmächtigen Einflusse einer allgemeinen Tradition, einer Tradition,
die ihrerseits auf das Innigste zusammenhängt mit bestimmenden, aus Kunstwerken gewonnenen
Eindrücken. Sind auch die Stimmungseindrücke, die wir von der Natur empfangen, ganz unmittelbare,
so gestalten lieh die Bilder, die wir ihr ansehauend entnehmen, doch gleichsam nach der Vorschrift,
 
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