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zu übertreffen bestimmt waren, ist überflüssig geworden. Die höchste künstlerische Kraft wird
wieder aus dem Blumengebilde selbst gesogen, die Umgebung dient nur dazu, seine Farben zu
stärkerem Leuchten zu bringen.

Da nun weiter der moderne Geschmack die Natur in reicher Fülle, in ungebrochener Kraft
dargestellt sehen will, so ist es begreiflich, daß er sich unter den Blumen die groß und einfach
geformten, die intensiv gefärbten aussuchte. So finden wir bei Frau Fikentscher großen roten Mohn,
Löwenzahn, Feuerlilien, Geranien und andere, andererseits als Beispiele einfacher linearer
Gestaltung — der modernen Kunst ist ja die Betonung der Grundlinien, der Horizontalen und
Vertikalen eigentümlich — etwa die Schwertlilien, den Schirling, die Mohnkolben, die Tulpen mit
ihren geraden Stielen.

Noch eine dritte Gruppe fällt aber unter den von Frau Fikentscher bevorzugten Pflanzen auf.
Man kann sie als die schlichten, bescheidenen unter den Feld- und Gartenpflanzen bezeichnen,
bei denen die Blüte vor Blättern und Stielen fast verschwindet. Dazu gehören Disteln, Weberkarden,
Pheris-Wedel, Feuerbohnen, Wiesenschäumchen, Weidenröschen, Schirling und andere. Wollte
man auch die Wahl solcher Blumen mit Empfindungen, die unserer Zeit charakteristisch sind, in
Zusammenhang bringen, so könnte man sagen, daß unsere Zeit sozialer Ideen den Zug, das
Verstoßene in ein verklärendes Gewand von Linie und Farbe zu hüllen und ans Tageslicht zu
ziehen, liebt.

Wilhelm R. Valentiner.
 
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