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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 29.1906

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Dodgson, Campbell: Muirhead Bone
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https://doi.org/10.11588/diglit.4255#0069
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MUIRHEAD BONE.

Im Frühling des Jahres 1902 war es mir vergönnt, in einem
seither eingegangenen Londoner Wochenblatt ein paar Worte voll
warmen Lobes über das Werk eines mir damals noch ganz un-
bekannten neuen schottischen Radierers und Zeichners zu veröffent-
lichen. Ich hatte schon bei einem raschen Abendbesuch in einer
Ausstellung von schottischer Malerei, die vergangenen Winter in
der Whitechapel Art Gallery stattfand, ein paar düstere Kaltnadel-
arbeiten gesehen, die an einer dunkeln Stelle im Stiegenhause auf-
gehängt waren, meine Neugierde erregten, aber mich auf den ersten
Blick eher abstießen als anzogen. Ich erinnere mich lebhaft an den
sehr verschiedenen Eindruck, den eine größere Sammlung von Drucken
und Zeichnungen dieses Künstlers auf mich machte, die die April-
Ausstellung in der Carfax Gallery bildete. Daist, sagte ich, ein Radierer
geboren, und zwar der selten begabte Interpret des Geistes einer Stadt.
Seine Vaterstadt Glasgow wird von nun an die Phantasie des Süd-
länders verfolgen, der niemals die Ufer des Clyde besucht hat, als
eine finstere Stadt des strengen Nordens, schmutzig und ohne
Sonnenschein, bevölkert mit Arbeitern, die ihre mühevollen Tage in
einem rauhen Klima, geplagt von Wind und Regen, verbringen.
Lumpensammelndes Gesindel, mit Säcken beladen, enttaucht dem Zwielicht seiner Höhlen und
kriecht in Winkel an Planken und baufälligen Mauern nach Brocken, um seine Bürde zu ver-
größern, und diejenigen, deren Tagesarbeit vorüber ist, suchen sich ein armseliges Vergnügen
bei den Gasflammen einer Krambude oder Branntweinschenke. Dies ist das eine Aussehen Glas-
gows, und die Traurigkeit dieser düsteren Bilder lichtet sich nur, wenn es Samstag Abend ist und
die Schulkinder frei haben und auf der Straße umherlaufen und spielen.

Aber Glasgow kann auch ein anderes freundlicheres Gesicht zeigen, dessen man sich zur
Erholung erinnern muß. Wenn man die engen Plätze der Stadt mit den Ufern des Flusses vertauscht,
der durch sie fließt, so wird die Luft frischer und der Horizont weiter; man wird die Höhe von
Wohnhäusern gewahr, von denen man bis dahin nur das unterste Stockwerk gesehen hat; Kirch-
türme rücken ins Gesichtsfeld und öffentliche Gebäude mit würdiger Architektur und Brücken aus
Stein oder Eisen. Und der Fluß selbst, voll von Schiffen und begrenzt von Kaien, und besetzt mit
riesigen Schornsteinen, spricht beredt von Glasgows kaufmännischem Unternehmungsgeist und
Erfolg. Wir wandern das Wasser entlang nach Westen in die Gegend der belebten Schiffsbauer-
plätze und sind mehr denn je davon überzeugt, daß vor allem der Clyde die Größe Glasgows

MuirheadBone, »Sieben kleine Figuren
Photogravüre nach der Original-
radierung.

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