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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 29.1906

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Glück, Gustav: Zu Rembrandts dreihundertstem Geburtstage: Rembrandts Selbstbildnis in der kaiserlichen Galerie in Wien. Radierung von William Unger
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https://doi.org/10.11588/diglit.4255#0092
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zu seiner gewaltigen, tiefen Empfindung in keinem anderen Verhältnis als in dem des Mittels zum
Zweck, sie ist hei ihm etwas Selbstverständliches, wenn auch etwas Notwendiges. Es kommt uns
vor, als könnte es nicht anders sein, als daß Rembrandt, sobald er die Zeit einer keineswegs nach
der Weise eines Wunderkindes übereilten, sondern stetig fortschreitenden Jugendentwicklung
hinter sich hat, völlig Herr aller Mittel ist, die er für seine Zwecke braucht. Es heißt diese Mittel
ungebührlich in den Vordergrund der Betrachtung rücken, wenn man versucht hat, den Maler
Rembrandt einseitig und fast ausschließlich als Koloristen zu schildern, als gehörte er zur Gilde
jener fortgeschrittenen Modernen, denen das »Malenkönnen« über alles geht. Man kann sogar im
Gegenteil sagen, daß ihn Probleme der Farbe nur wenig und nur nebenbei beschäftigen; er sucht
sie nicht auf, geht ihnen aber auch, wenn er ihre Lösung für seine Zwecke braucht, nicht aus dem
Wege.

Anders steht Rembrandt einem Problem gegenüber, das man als das des ganzen Barockzeit-
alters bezeichnen kann und das in der gesamten Kunst des XVII, Jahrhunderts, in der Malerei, in
der Architektur, ja selbst in der Plastik die Hauptrolle spielt: es ist das Problem der Lichtführung,
des Helldunkels. Dieses verfolgt Rembrandt, wie bekannt, sein ganzes Leben lang und bleibt
darin in gewissem Sinne das Kind seiner Zeit, wenn sich auch seine Auffassung des Problems
gänzlich von der seiner Zeitgenossen unterscheidet. In Rembrandts Augen bleibt auch ein solches
Problem kein rein technisches mehr, er müht sich nicht ab, wie etwa die niederländischen
Nachahmer des genialen Caravaggio es tun, die Wirkung der Beleuchtung mit Fackel, Kerze oder
Herdfeuer darzustellen; was er gesucht und gefunden hat, ist etwas ganz anderes, etwas, das von
solchen naturalistischen Kunststücken weit entfernt ist: der poetische Zauber, der in dem stets
wechselnden Gegensatze von Licht und Dunkel liegt. So faßt er die ganze Sehnsucht nach dem
Helldunkel, die seine Zeit beherrscht, zum tiefsten Ausdruck innerlichster Empfindung zusammen,
und schafft aus einem technischen Problem ein im höchsten Sinne geistiges.

Von Rembrandts Geist, von seiner Bildung kann man nicht leicht groß genug denken. Er
stammt nicht aus niedrigem Stande, sondern aus einer wohlhabenden bürgerlichen Familie. Seine
Eltern haben ihm offenbar eine sehr sorgfältige Erziehung gegeben und ihn sogar, was zu dieser
Zeit in niedrigen Ständen gewiß nicht der Fall gewesen wäre, in die Lateinschule geschickt. Seine
hohe Bildung, wie sie aus seinen Werken spricht, wird er freilich weniger der Schule als seinem
eigenen Wissensdrange und dem Verkehr mit geistig hochstehenden Menschen zu danken haben.
Gewiß kamen ihm dabei seine in der Lateinschule erworbenen Kenntnisse zu gute; er hat sicher-
lich eifrig gelesen und man kann sagen, daß es kaum je einen Maler gegeben hat, der die Bibel so
gut gekannt und so tief erfaßt hat wie er. Auch die Kunst seiner Vorgänger und Zeitgenossen war
ihm keineswegs fremd. In der gewaltigen Sammlung von Kunstwerken, die er im Laufe der Jahre
zusammengebracht hatte, fehlte weder die Antike, noch die italienische Renaissance. Sicherlich
stand er diesen großen Mächten ebensowenig feindlich gegenüber wie seinem Zeitgenossen Rubens,
den man so gern als seinen künstlerischen Antipoden bezeichnet. Man hat in der letzten Zeit
nachgewiesen, daß Rembrandt aus anderen Kunstwerken einzelne Gestalten entlehnt hat, offenbar
aus keinem anderen Grunde, als weil er sie gerade an der Stelle, wo er sie verwendete, gut brauchen
konnte und weil er, wie alle seine Zeitgenossen, in seinem Schaffen zu naiv war, um den modernen
Begriff des Plagiats verstehen zu können. Auch Shakespeare hätte über den Originalitätsdünkel
unserer Zeit den Kopf geschüttelt. Wichtiger als der Nachweis solcher Entlehnungen ist die Tat-
sache, daß Rembrandt fast die gesamte Kunst, die seinem Wirken vorausgegangen war, kannte,
wie kaum ein anderer seiner Zeitgenossen, und daß er doch in seiner Kunst so ganz er selbst





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