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GUSTAVE LEHEUTRE.

Es ist wohl immer ziemlich schwierig, das bezeichnende Wort für das Werk eines Künstlers
zu linden. Bei Leheutre jedoch scheint die Schwierigkeit weniger groß zu sein.

Wenn man das nicht sehr umfangreiche Werk des Künstlers, zur Stunde etwa einhundert-
zwanzig Blätter, durchgeht, so ist der unmittelbare Eindruck, den der Beschauer dabei empfängt,
der einer vornehmen Zartheit.

Leheutre verführt nicht durch die Wahl wirkungsvoller Gegenstände der Darstellung, durch
dramatische Kompositionen, durch den scharf gewürzten Reiz der Gegensätze von Licht und
Schatten, auch nicht etwa durch die überirdische Schwärmerei eines Gustave Moreau. Aber die
Arbeiten seiner Radiernadel und seines Trockenstiftes sind ein sprechendes Beispiel für das, was
man unter vornehmer Zartheit versteht: Sicherheit der Zeichnung, Reinheit des Lichtes, künst-
lerische Empfindung und Gewähltheit.

Indem sich Leheutres Kunst ausschließlich auf die genannten Eigenschaften beschränkt, läuft
sie Gefahr, nie von der großen Menge verstanden zu werden, für die die starken Mittel die not-
wendige Begleitung einer starken Teilnahme sind. Und wenn D'Alembert sagen konnte: »Wehe
den Kunstwerken, die nur für die Künstler schön sind«, so muß Leheutre sein Haupt unter diesen
Fluch beugen. Wer Auge und Geschmack nicht verfeinert hat, wer nie bei dem Anblick eines
guten Abdrucks sozusagen vor Erregung gezittert, wer seine künstlerische Erziehung nur den
illustrierten Zeitungen verdankt, wer schließlich nur mit körperlicher oder sittlicher Häßlichkeit zu
verkehren gewöhnt ist: für den ist es verlorene Zeit und Mühe, die hingehauchte Anmut dieser
leichten Blättchen zu betrachten.

Sowie unser Künstler einer niedrigen Seele nichts zu bieten vermag, so hat er selbst sich nur
bei den allervornehmsten Meistern in die Schule gegeben: bei Degas, Whistler und Carriere, von
den Zeitgenossen, bei Rembrandt und Goya, von den Alten. Man sieht sofort, was er diesen Lehrern
verdankt. Von Rembrandt vor allem hat er zwei Hauptsachen gelernt: die Kunst der Vereinfachung
und die Kunst, auch das scheinbar gleichgültigste Xaturschauspiel anziehend zu machen. Hören
wir darüber seine eigenen Wrorte! »Die Radierung ist eine Art Kurzschrift, man muß vereinfachen,
und Weiß, Schwarz und Grau anwenden, Alles damit erreichen, die Natur nur so sehen. Bei der
Radierung kann man mit geringer Übertreibung fast behaupten, daß die Halbtöne nicht mitzählen«.
Daher die Sicherheit seiner Technik und seine Sparsamkeit der Mittel. Der Gegenstand der Dar-
stellung ist ihm meist gleichgültig. Freilich gibt es in seinem Werk auch zahlreiche Blätter, wo ihn
doch die Wahl des Gegenstandes beschäftigt hat, besonders seine Ansichten von Städten (Troyes
und Paris), von Flüssen oder Häfen (Les bords de la Bresle, L'Ecluse du Treport und andere), denn
sein aufgeweckter Geist versagt sich keinen Gegenstand und hat natürlich zuerst solche aufgesucht,
die Bildwirkung haben. Aber die Art, wie er Wesen und Aufgabe der Radierung auffaßt, läßt ihn
vor allem seine Erfolge da suchen, wo er den einfachsten Gegenstand mit der einfachsten Technik

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