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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Meder, Joseph: Tintorettos erster Entwurf zum "Paradies" im Dogenpalaste
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0092
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Abb. 3. Tintorcttos Skizzen zu Christus und Maria. Salzburg, Studienbibliothek.

Wachsmännleins, das mittels eines Fadens an dem Deckenbalken der Werkstatt befestigt war und
so dem Zeichner alle denkbaren Überschneidungen und Verkürzungen in praktischer Weise er-
möglichte.1 Bardi und Ridolfi bezeugen für Tintoretto diesen Atelierbrauch, der indes in jener Zeit
auch von anderen ausgeübt wurde. Er, der sich stets die kühnsten Scorci erlaubte, bedurfte
tatsächlich solcher Hilfsmittel trotz seiner unglaublichen Beherrschung menschlicher Formen. Daß
beide Figuren und auch der mit Feder gezeichnete und mit dem Pinsel lavierte Aufschwebende
in der Komposition verwendet worden wären, läßt sich nicht mit Sicherheit erweisen. Sie entbehren
auch der in diesem Falle stets ersichtlichen und zur Übertragung in den Karton notwendigen Xetz-
linien. Es waren eben, entsprechend der rastlosen Schaffensfreude, nur gewonnene Motive, die dem
Auge und der Erinnerung bei ähnlichen Aufgaben zu dienen hatten.

Detlev von Hadeln hat uns in seiner ausgezeichneten Publikation: Zeichnungen des Tintoretto,
Berlin 1922, an der Hand einer großen Anzahl von männlichen und weiblichen Akten in Kreide
und Kohle oder auch in Pinseltechnik einen Typ entwickelt, der für die heutige Kritik vielfach
maßgebend wurde, leider auf Kosten der Federkompositionen. Die virtuos und mit unbeschreiblicher
Sicherheit geführten, einer lebendigen Muskulatur und Artikulation dienenden breiten Konturen auf
knotig-rauhen, grauen Papieren machen es freilich begreiflich, wenn so manche echte Federskizze,
unbestimmt, unklar, der Wucht jener Einzelstudien unterlag und beiseite geschoben wurde. Und
doch mußte Tintoretto auch Federkompositionen und Einzelformen sich geschaffen haben, wenn
es galt, sich rasch von den drängenden Vorstellungen zu befreien, oder wenn der Umfang der
Komposition es nicht als tunlich erscheinen ließ, sich gleich im Atelier, wie Bardi berichtet, ein
Concetto aus selbstverfertigten Wachsfiguren zusammenzustellen. Es würde nicht schwerfallen,
aus den 71 Tafeln bei Hadeln gute Beispiele für den letzteren Fall festzustellen. Die Salz-
burger Zeichnungen bezeugen laut, wie selbstverständlich dem Künstler auch die Federentwürfe
waren — wie sollte es auch anders sein —, welche gewiß bei der großen Anzahl großflächiger
Bilder in Fülle vorhanden waren, indes durch ein uns unbekanntes Schicksal der Vernichtung
anheimfielen. Der ungeheure Gegensatz zwischen seinen mächtigen Kreidekonturen und feinen

1 A. a. O.. II. 15, ferner J. v. Schlosser, Jhrb. d. kh. Slg. des Kaisern., XXXI, p. 111 ff., und J. Meder, Die Handzeichnung, S. 11 7, mit
Abb. 171 und 172. Hadeln. Tintorettos Zeichnungen, S. 32.

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