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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Fleischmann, Benno: Zur Graphikausstellung im Wiener "Hagenbund" (Dezember 1930)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0112
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Forderung nach einem doppelten Sehvorgang erkennen zu dürfen: nach dem Auflösen der einzeln
erfaßbaren Körperpartien muß der Zusammenschluß zum Ganzen erneut gesucht werden. Die
Fläche wird durch aufgesetzte Farbflecke in Teile gegliedert. Hier helfen die farbigen Höhungen
den Gesamteindruck des dreidimensional Plastischen unmittelbar erreichen.

Einen ähnlichen Eindruck gewinnen wir aus Arbeiten von Franz Ferch, drei thematisch ver-
wandten Darstellungen, vom Künstler als »Liegende« bezeichnet, zweimal in Kohle, einmal in
Bleistift, und dem »Mädchen mit Kopftuch«. Wieder herrscht, wie bei Lang, in der Anlage das
Zeichnerische, und wieder ist als optisches Resultat das Körperliche erreicht. Linien, meist als
Begrenzung, leichte Schraffierungen unterstützen im Angestrebten. Die drei Darstellungen der
»Liegenden« sind Paraphrasen. Die kleinste Veränderung im Bewegungsmotiv hat den Künstler
gereizt, er zeigt neuen Ausdruck im alten Motiv durch geringe Verschiebung. Das »Mädchen mit
Kopftuch« (Abb. 2) ist eine ferne Verwandte der Langschen Porträte. Die kühle Art, die zergliedernde
Betrachtung, anderseits die zwischengliedlose Nähe, die Offenheit, kurz das ganze Temperament
steht dem nahe, was man einen in die heutige Zeit transponierten Holbeinstil nennen könnte. Unter-
suchung der persönlichen Eigenschaften, angewandte Charakterologie beinahe, liegt in der Art, wie
sich der Künstler dem zu Malenden gegenüberstellt. Denn auch in diesem Mädchenbildnis handelt
es sich um ein Porträt. Nicht daß damit nur gesagt sein will, der Künstler habe ein Modell ver-
wendet. In einem weiteren Sinne — und eben in diesem ist es hier gültig — sagt uns der Ausdruck
Porträt, daß der Künstler das Ergebnis einer Untersuchung aller Welten eines Menschen im Bilde
wiedergibt.

Lerch stellt auch eine größere Anzahl seiner Landschaften aus. Das Streben nach der Fläche
wurde bereits einige Male hervorgehoben. Diesem Streben kommt das Aquarell — Ferchs Land-
schaften sind Aquarelle — in weitestem Ausmaß entgegen. Hier stehen wir auf einem völlig
anderen Boden. Die Sprache des Aquarells ist der des Ölbildes ziemlich verwandt, demgemäß
auch seine Wirkung anders als die der reinen Schwarz-Weiß-Graphik. Zwei Stücke seien besonders
hervorgehoben: »Haus in Steiermark« und »Simmeringer Heide«. Flächen werden im Bilde zueinander
in Beziehung gesetzt, eigenartige Fernwirkungen und atmosphärische Erscheinungen bilden das
Vorwiegende im Eindruck. Auf die Stimmung arbeitet alles hin. Diese wird nicht durch bestimmte
beschreibende Einzelheiten, durch ein Rufzeichen, das den Beschauer in den Gedankengang zwingt,
hervorgerufen, vielmehr ist sie in jedem kleinsten Bestandteil des Bildes enthalten; ähnlich wie im
Porträt wird der »Charakter« gefaßt und als Leitmotiv aufgenommen, in Richtungen verteilt und
erweitert. Dem entspricht ein Stil, der wenig »graphisch« ist; Fläche und das Formgewinnende
treten in den Vordergrund.

Bleiben wir bei der Landschaft und wenden wir uns denen von Felix Albrecht Harta zu,
die im gleichen Raum wie die Lerchschen untergebracht sind: »Blühender Baum«, »Frühlingsland-
schaft«, »Landschaft Semmering«, »Landschaft Neumarktin Steiermark«, »Landschaft St. Georgen«.
Räumlichkeit, Unendlichkeit sind das erreichte Ziel der auf Fernwirkung eingestellten Arbeiten.
Wieder, wie bei Lerch, wird das »Gesicht« jedes Ausschnittes festgehalten und in prägnanten, klaren
Sätzen beschrieben. Aber es wäre verfehlt, von einer allein beschreibenden Absicht zu reden, wo
es sich um atmosphärische Augenblicksbilder handelt, um Schilderung von zeitlich beschränkten,
subtilen Stimmungsausschnitten. Durch die Verwendung aller Möglichkeiten, die das Aquarell bietet,
unterstützt der Künstler den Eindruck; er läßt auch die leere Papierfläche als Glied der Komposition
mitwirken, so, daß sich die Wirkung der Farbe gegen den Bildrand zu stufenweise auflöst, der
Bildausschnitt also nicht in die rechteckige Rahmenform, vielmehr in verfließende, unbestimmte

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