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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 4.1939

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Preime, Eberhard: Unbekannte Tierzeichnungen von Johann Christian Reinhart im Kasseler Kupferstichkabinett
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https://doi.org/10.11588/diglit.6339#0026
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nur leider nicht lange währte, da sich Nahl bereits Mitte 1791 auf den Heimweg machen mußte.
Es finden sich in der reichen Sammlung Nahlscher Blätter in Kassel eine Reihe von Tier-
studien, meist bepackte Maulesel, die aus jenen römischen Jahren der Freundschaft mit Rein-
hart stammen müssen und sehr nah den Reinhartschen Blättern mit ganz gleichen Motiven
verwandt sind, sie aber freilich in der künstlerischen Qualität nicht entfernt erreichen. Nahl
bewies sich später auch in der Ferne als tatkräftiger Freund. Als Reinhart seine „Römischen
Ansichten" bei Frauenholz in Nürnberg herausbringen wollte, übernahm der Kasseler Freund
die eine der Subskriptionslisten, die er zwar nicht in Kassel, aber in Basel, wo er mancherlei
Beziehungen hatte, für den Freund füllen konnte. Der berühmte Kupferstecher Chretien
Mechel zeichnete sich zu Reinharts Freude als erster mit sechs Exemplaren ein. Als die Blätter
dann erschienen, sprach Nahl seine herzliche Freude über das schöne künstlerische Gelingen
der Arbeiten aus.

Unsere Zeichnungen, die Wilhelm Nahl später z. T. mit Beischriften und Daten versah,
Maren dem Vater gewiß stets eine liebe Erinnerung an seine letzten und des Freundes erste
römische Tage. Er muß sich die Blätter damals von Reinhart haben schenken lassen, oder
sie haben ihre Studien nach den gleichen Gegenständen ausgetauscht. Wir wissen, daß Rein-
hart stets sehr großzügig war im Verschenken seiner Handzeichnungen. An der Datierung
dieser Gruppe von acht Blättern in die Jahre 1790 und 1791 ist kein Zweifel. Wo sich eine
Beischrift findet, trägt sie auch ein römisches Datum.

Unter der großen Menge der übrigen Skizzenblätter von Nahls Hand fanden wir drei kleine
Federzeichnungen, Bildnisse Reinharts als Jäger, die zwar keine tiefschürfenden Porträte
darstellen — das Bildnis, das später Glinzer in Rom für den Kasseler Künstlerverein fertigte,
haben wir hier leider nicht mehr auffinden können —, aber doch in unserem Zusammen-
hang, wo von Reinhart dem Jäger und Tierfreund die Rede sein soll, eine hübsche Rlustration
bieten. Irgendwo während einer Ruhepause eines Jagdstreifzuges durch die Campagna hat
Nahl den Freund mit der Flinte im Arm und neben ihm sitzend den Kupferstecher Hubert
rasch in Umrissen mit Blei skizziert, um zu Hause mit der Tuschfeder das Blättchen fertig-
zustellen (Abb. 2). Reinhart erscheint noch ein Jüngling, fast kindlich, obwohl er damals ein
Dreißigjähriger war. Aber dies Jünglingshafte der großen einfachen und rein-schönen Züge
ist wohl mehr als bloß das Auslassende der Skizze, mehr als die klassizistische Stilformel,
es muß Reinharts Charakter gewesen sein, der zeitlebens dies schöne Kindhaft-Offene und
Arglos-Freie bewahrte. Der vortreffliche Porträtstich von C. Küchler aus dem Jahre 1836
(Abb. 1), den wir unseren Zeilen voranstellen, zeigt den 75jährigen Greis noch immer mit
diesem großen, aufwärtsgerichteten Blick, der aus einem männlich-schönen Antlitz hervor-
geht, dessen hohe und offene Stirn und streng geschlossener Mund dem Manne den Charakter-
ausdruck besten deutschen Menschentums der hohen Epoche des deutschen Geistes um 1800
aufprägen. Wahrhaft ein Mensch unserer Liebe wert! Das andere römische Blättchen, das
wir hier wiedergeben (Abb. 3), hat Wilhelm Nahl bezeichnet: „Le peintre en paysage. Mr.
Reinhardt ä la chasse aux canards. A. Nahl f."; ebenfalls mit der Tuschfeder vollendete
Bleistiftskizze nach der Natur (Abb. 2).

II

Einen Klassizisten von Ruf, wie Reinhart, als Tierzeichner kennen zu lernen, verlohnt
schon der Mühe. Wer vor dem Begriff des Klassizismus als vor einem gipsernen Gespenst
zurückschreckt, betrügt sich selber nicht nur um viele wundervolle Dinge und Kunstwerke,
sondern auch um eine Wahrheit. Nämlich um die, die P. F. Schmidt in seinem klugen Auf-
satz über den „Pseudoklassizismus des 18. Jahrhunderts" (Monatshefte f. Kunstwiss. 1915)

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