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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 4.1939

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Bodmer, Heinrich: Die Entwicklung der Stechkunst des Agostino Carracci, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6339#0125
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HEINRICH BODMER / DIE ENTWICKLUNG DER STECHKUNST DES

AGOSTINO CARRACCI

Trotz der zahlreichen biographischen und stilgeschichtlichen Nachrichten, welche Malvasia
von den drei Carracci überliefert, sind wir über die Anfänge des Agostino als Stecher nur
ungenügend unterrichtet. Fast alle Frühwerke, welche der bolognesische Historiograph dem
Künstler zuweist, den er zu einer Art Wunderkind zu machen versucht, stellen sich bei kriti-
scher Betrachtung als später entstandene oder nicht authentische Arbeiten heraus, so daß
man von dieser Seite kein Licht über den Ursprung des Stiles Agostinos gewinnen kann.
Zunächst läßt Malvasia den jungen Mann eine Lehre bei einem Goldschmied durchmachen.
Da er aber weder den Namen des Künstlers anzugeben, noch über die Beziehungen von Schüler
und Lehrer etwas Bestimmtes zu berichten weiß, werden wir uns dieser Aussage gegenüber
skeptisch verhalten müssen. Als Agostino, so berichtet Malvasia weiter, noch bei diesem
Lehrer ist, überredet ihn der Vetter Lodovico, den Künstlerberuf zu ergreifen, und bringt
ihn, da er seine Erziehung nicht übernehmen kann, zu Prospero Fontana, dem er selbst seine
erste Ausbildung verdankt. Er hat freilich mit diesem Schritt kein Glück, denn nach kurzer
Zeit verläßt Agostino Fontana wieder. Über den Grund des vorzeitigen Abbrechens der Lehre
macht Malvasia einige interessante Bemerkungen. Der junge Mann habe sich nur darum gekürr-
mert, jede Laune zu befriedigen, und sich mit allen anderen Dingen beschäftigt außer den-
jenigen, die seinen Beruf angingen.1 Bei dieser Einstellung ist es nicht verwunderlich, daß
auch ein zweiter Versuch, Agostino eine Lehre bei Bartolomeo Passarotti absolvieren zu
lassen, fehlschlägt. Nun folgt für den jungen Künstler eine Zeit äußerer Freiheit und Un-
gebundenheit, die Agostino auf eine gefährliche Bahn bringt. Er verbringt seine Tage, meist
diskutierend und sich über wissenschaftliche Fragen unterhaltend, mit einigen geistreichen
Müßiggängern. Die Familie muß intervenieren und diese isl es denn auch gewesen, welche
den Künstler bestimmt, mit Domenico Tibaldi, einem Architekten und Kupferstecher, ein
festes Arbeitsverhältnis einzugehen. Obwohl Agostino in der Stechkunst schon einige
Kenntnisse besaß, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Tibaldi sein erster Lehrer im
Kupferstich war. Auch der Umstand, daß er im Laufe der Jahre seinen Meister überflügelt
und daß Domenico allmählich reichen Gewinn aus der Zusammenarbeit mit dem befähigten
jungen Künstler zog, spricht nicht dagegen.

Die Tätigkeit bei Tibaldi muß Agostino zugesagt haben, denn er blieb, wie der gutinfor-
mierte Bellori zu berichten weiß, eine Beihe von Jahren in dessen Atelier. Die Freiheit, die
ihm der Meister einräumt, und die Möglichkeit, selbständig zu arbeiten, ließen ihn die äußere
Abhängigkeit nicht als drückend empfinden. Auch schied er von Tibaldi im besten Einver-
nehmen. Die Trennung mag gegen 1578 oder 1579 erfolgt sein, um die Zeit, als er das große
vollsignierte Blatt der Anbetung der Könige herausgab, und nicht erst 1582, wie Malvasia
annimmt. Seit 1579 mehren sich die signierten Stiche, was kaum möglich gewesen wäre, wenn
Agostino damals noch bei Domenico gearbeitet hätte.

Domenico Tibaldi, der Bruder des Pellegrino, war als Stecher keine sehr bedeutende Per-
sönlichkeit. Er steht wie alle seine bolognesischen Zeitgenossen noch unter dem Einfluß der
Stechkunst des Giulio Bonasone, dem er seine Technik zum Teil verdankt. Aber auch von
den Mantuanern mit Giorgio Ghisi an der Spitze und von den venezianischen Stechern, wie
Giovanni Battista und Giacomo Franco, hat er manches gelernt. Endlich müssen die Tizian-
stecher Boldrini und Martino Bota aus Sebenico, der fähigste der früheren Generation, genannt

1 Malvasia, Felsina Pittrice, Ed. 1841, Bd. I, p. 266.

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