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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 4.1939

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Preime, Eberhard: Das Kasseler Kupferstichkabinett (Übersicht über seine Bestände)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6339#0147
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EBERHARD PREIME / DAS KASSELER KUPFERSTICHKABINETT,
(ÜBERSICHT ÜBER SEINE BESTÄNDE)

Unter den öffentlichen graphischen Kabinetten in Deutschland wird das Kasseler das jüngste
sein. Sein Taufschein trägt das Datum vom 4. Oktober 1931. Aber dies junge Datum ist insofern
irreführend, als die Bestände des Kabinettes nun schon seit über 150 Jahren ihre eigene Ge-
schichte haben.1 Das neue Institut steht in einer schönen, lange im Kasseler Kunstleben innig
verwurzelten Tradition und seine Einrichtung und Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit
war ganz bewußt Fortsetzung eines kulturellen Willens, der die hessischen Fürsten, vor anderen
Deutschlands, merkwürdig früh erfüllt hatte. 1930 begingen das Landesmuseum und die Landes-
bibliothek zu Kassel gemeinsam die Feier ihres 350jährigen Bestehens als Sammlungen (seit
1580); 1929 hatte sich zum 150. Male der denkwürdige Tag der Eröffnung des Museums wieder-
holt. Das Kasseler Museum ist ja bekanntlich das älteste öffentliche auf dem Kontinent; die
vielberufene Eröffnung des Louvre folgte der seinen erst im Abstand von zwölf Jahren nach.

Daß es in den schweren Jahren 1930/31 gelang, die neue graphische Sammlung einzurichten,
wurde neben der Einsicht und Förderung der staatlichen Behörden wesentlich dem tatkräftig
mithelfenden Bürgersinn verdankt. In dem alten schönen Torbau am Eingang zur Wilhelms-
höher Allee, mitten in der Stadt und nahe den anderen Sammlungen gelegen, fand das Institut
eine vorzüglich geeignete Unterkunft. Der klassizistische Bau mit der wuchtigen Säulenfront
bietet im Innern jetzt, nachdem sich einige Zwischenwände entfernen ließen, einen schönen,
rings belichteten Baum, dessen einfach schlichte Einrichtung ohne Inanspruchnahme öffent-
licher Mittel bewerkstelligt werden konnte. Die tiefen rundbogigen Fenster mit dem einfachen
Schnitt ihrer Laibungen, die Maßverhältnisse des zweigegliederten Baumes, die schlichte Ein-
richtung und Ausstattung: alles zusammen ergibt jene feine, für Kassel eigentümliche Stimmung
eines bürgerlichen Klassizismus, dessen Kühle doch auch etwas Helles und Klares und sehr
Sympathisches hat. Viele Besucher haben dies empfunden und beglückt ausgesprochen.

Wie die Kasseler Gemäldegalerie noch heute — in ihrer Neuaufstellung abermals stärker be-
tont — jene dem Besucher so wohltuende Einheit bewahrt, die der Charakter ihres Geworden-
seins und ihres Umhegtseins von der persönlichen Kunstliebe eines stets für geistige Dinge
tatkräftig begeisterten Fürstenhauses ist, so hat auch die graphische Sammlung eine ähnliche
Geschlossenheit und eine ähnliche persönliche Note, die zu bewahren ihre Leiter als eine Ver-
pflichtung empfinden. Freilich kann sie sich mit den großen, über das endlose Vollständigkeits-
streben solchen Charakter verlierenden Sammlungen etwa Berlins, Dresdens, Wiens oder Mün-
chens nicht messen. Trotzdem verdiente sie wohl auch in der wissenschaftlichen Welt mehr
Beachtung, als ihre Unbekanntheit ihr vorerst einbringt, denn außer etlichen bedeutenden Ein-
zelstücken, von denen wir hier einige zum ersten Male veröffentlichen, sind bestimmte Bereiche
der deutschen Kunstgeschichte nirgends so gut und so gründlich zu studieren als in ihr. Kein
Tischbeinforscher kann die Kasseler Sammlung unbeachtet lassen, die eine große Zahl köst-
licher Handzeichnungen der verschiedenen Meister dieser so unglaublich weit verzweigten
Künstlerfamilie aufbewahrt, der der Kulturforscher des 18. Jahrhunderts in ganz Deutschland
auf Schritt und Tritt begegnet (Abb. 1 und 2).2 Ferner ist Johann August Nahl d. J., der
Weimarer Preiskonkurrent, mit einer außerordentlich beträchtlichen Zahl von sorgfältigen
Studienzeichnungen, Kompositionen und Landschaften vertreten, die bisher noch gar nicht

1 Vgl. die kleine Schrift von K. Luthmei und R. Hallo, „Das Kupferstichkabinett und die Bücherei der Staat-
lichen Kunstsammlungen zu Kassel", 2. Aufl., Kassel 1933.

2 Die frühen unter den Kasseler Zeichnungen von Fr. Aug. Tischbein sind in der Leipziger Diss. von H. Din-
geldey: „Die Lehr- und Wanderjahre des Malers Friedrich Tischbein" (Darmstadt 1931) behandelt worden.

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