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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Editor]
Die Graphischen Künste — N.F. 4.1939

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Holter, Kurt: Beispiele von Graphik in Handschriften
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https://doi.org/10.11588/diglit.6339#0046
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Linken ein Spielzeug oder einen Lutschbeutel haltend. Der Grasgrund und einzelne Rahmen-
teile links oben und rechts seitwärts gehören zum Holzschnitt, der erstere, wie auch der Nimbus,
der Vogel und das Spielzeug sind leicht bemalt. Der zweite Holzschnitt, rechts oben, im Format
5-8X3-7 cm, zeigt den ebenfalls nimbierten, nur mit einem Umhang bekleideten Knaben,
nach rechts schreitend, der die Rechte segnend erhoben hält und in der Linken die Weltkugel
trägt. Der Boden ist mit großformigen Grasbüscheln besetzt, die Darstellung ist nicht gerahmt,
mit Ausnahme des nackten Körpers sind die umgrenzten Flächen leicht bemalt. Die Darstellung
kann als für Neujahrswünsche recht kennzeichnend gelten,4 wenngleich diese Ausführung
bisher nicht bekannt sein dürfte. Der dritte Holzschnitt (Abb. 2 in Originalgröße) zeigt den
nimbierten Knaben nach rechts gewendet beim Spiel mit Steckenpferd und Peitsche. Nur der
Rahmen des Bodens gehört dem Holzschnitt an, im übrigen ist er mit der Hand gezogen. Die
Maße betragen 4-lX3-l cm. Ganz zweifellos von derselben Hand und ebenso wie der vorher-
gehende ungewöhnlich und überaus reizvoll ist auch der vierte Holzschnitt, der den Knaben
nach rechts gewendet beim Geigenspiel sitzend zeigt. Die Ausführung des Bodens ist jenem
entsprechend, er ist gerahmt, die Maße des Rahmens sind 4-9 X 3*6 cm. Fast gleich groß,
4-5 X3"2 cm, und ähnlich gerahmt ist auch der fünfte Holzschnitt, der unten durch ein Wolken-
band begrenzt die Halbfigur der Jungfrau zeigt, die das nackte Kind auf dem Schöße hält.
Ähnlich wie bei dem ersten sind die Proportionen sehr schlank gehalten. Die seitliche und
untere äußere Begrenzung ist mit der Feder gezogen. Alle diese Holzschnitte tragen einen
durchaus einheitlichen Charakter, sie sind auch in der Handschrift ganz gleich behandelt und
durch die Bemalung mit dem handgezeichneten Schmuck unmittelbar verbunden, so daß die
Datierung der Handschrift mit Sicherheit auch für sie gelten kann. Umso bedauerlicher ist es,
daß über die Werkstatt, aus der sie hervorgingen, nichts weiteres gesagt werden kann, außer der
Betonung der Tatsache, daß alles, sowohl die verwendeten Stempel der Spielkartenfarben, als
auch die figürlichen Holzschnitte, in der Literatur nicht nachzuweisen zu sein scheint.

Nach diesen Holzschnitten aus einer unbekannten, wohl Straßburger Werkstatt, die auch für
die Frühgeschichte des Kartenspiels wegen der Vielzahl der dort verwendeten und teilweise sonst
nicht nachgewiesenen Kartenfarben von einiger Wichtigkeit sind, soll ein Wiener Schrotblatt
veröffentlicht werden, auch dieses wegen seiner zeitlichen Stellung von besonderem Interesse
(Abb. 3).

Schreiber führt in seinem Buch über die Spielkarten0 in der schon viel früher zusammen-
gestellten Liste der Wiener Briefmaler und Aufdrucker als die ältesten Wiener Meister den
Valentin Hagenberger, erwähnt 1471, und den Cuntz Mair, 1477, an. Simon Perkheimer und
Jörg Schneider, erwähnt 1479, lassen sich ihnen anschließen. Werke von ihnen sind bisher nicht
bekannt geworden. Das hier vorgeführte Schrotblatt stammt aber unmittelbar aus ihrer Zeit
und es ist damit, weit vor dem Holzschnitt in Koblingers Rochuslegende, das früheste Beispiel
von Wiener Buchgraphik, mag es auch ursprünglich gar nicht als solche bestimmt gewesen sein.
Eine Zuweisung an einen der genannten Meister ist freilich nicht durchzuführen. Die Qualität
des Stückes ist keine überwältigende; die einfache Ausführung, die volkstümliche Bindung
macht aber mit einen Hauptreiz des Stückes aus. Die Verwendung als Buchschmuck in einer
Handschrift erweist auch hier, zwanzig Jahre später als am Rhein, dieselbe Entwicklung im
Gange wie dort und zeigt in ähnlicher Weise eine Vorstufe zu den frühesten gedruckten und
illustrierten Büchern.

* Z. B. W. L. Schreiber, Handbuch der Holz- und Metallschnitte des 15. Jhs., II, 1926, Nr. 771 ff., S. 15 ff.
Für die sehr zahlreichen Darstellungen der Jungfrau mit dem Kinde vgl. Nr. 1020 ff., S. 111 ff.
5 Vgl. das Anm. 3 zitierte Werk, S. 135.

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