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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 4.1939

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Holzhausen, Walter: Die Rolle der Graphik im Werk Johann Melchior Dinglingers
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https://doi.org/10.11588/diglit.6339#0098
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kann hier nicht Gegenstand der Betrachtung sein. Die Erfindung aber, die Imagination, wird
bei ihm vom Graphischen in außerordentlich weitgehendem Maße getragen. Der Bedingtheit
und Beschränkung in der Wirkung der Vorlage auf das schöpferische Ingenium bleiben wir uns
also wohl bewußt. Sie weist nur die Fäden von Beziehungen auf; gleichsam durch unterirdische
Kanäle wird des Künstlers Vorstellungs- und Phantasiewelt gespeist, bereichert, angeregt.
Das Kunstwerk erhebt sich weit und unerreichbar über die Welt der Vorlage; insofern
diese aber überhaupt Bedeutung haben kann, hat das Graphische schlecht-
hin, haben B u c hi llu s t r a t i o n e n, Folgen von Vo r 1 a g e s t ic h en und Stichen
mit bildmäßigen Themen dem Werke Dinglingers wie bei keinem anderen
Meister des künstlerischen Handwerks zu Grunde gelegen!

Zierstil der Gefäße bei Dinglinger

Der besondere Zauber seiner Zierkunst in der Bildung von Gefäßen wird durch eine innere
Verwandtschaft mit den Bildungen der Renaissance und des Manierismus bedingt. Von diesen
leitet sich die Gefäßform wie auch die Verwendung von Elementen her, die als Stil „rustique"
einen wesentlichen Charakterzug jener Zeit ausmachen.3 Dinglingers Gefäßformen könnten
uns heute bizarr und übertrieben erscheinen; tatsächlich sind sie aus der Weiterbildung antiki-
sierender Tendenzen der Raffaelschule erwachsen. Soweit Dinglinger Elemente des Stil „rusti-
que" verwendet, handelt es sich indes nicht um eine lebensfähige Phase der Entwicklung des
Stil „rustique", und wäre es eine Endphase, sondern um ein spielerisches Spiegelbild, das seinen
Ausdruck in der naturnahen Behandlung des Beiwerkes findet. Die Vermittelung zu jener
Kunst des florentinischen und römischen Manierismus übernimmt in der Hauptsache Augs-
burg. Für Gefäße des „Goldenen Kaffeezeuges" greift Dinglinger auf Entwürfe des Florentiners
Stefano della Bella zurück, die die Augsburger Stecherin Johanna Sibylle Krause, geb. Küsel,
sehr genau nachgestochen hatte. Nach der Raccolta di Vasi diuersi di Stefano de la Bella sind
die beiden kleinen blauen und grünen Vasen (Bl. 4 und 1, Abb. 1 und 2) ziemlich genau gebildet
(Abb. 3). Das Motiv des Schwanenpaares (Bl. 3, Abb. 4) kehrt seitlich an den Dosen wieder
(Abb. 5), die beiden Deckelvasen neben der Kanne, wenn auch sehr abgeändert, sind auf Grund
von Bl. 5 der Raccolta geschaffen. Nach Italien in Augsburger Vermittelung führt übrigens
auch die Landschaft auf einer der Tassen: das Vorbild sind „Anmuthige Palatia u. Prospecten
so in Italien hin und wieder zu sehen seyn von Joh. Wilhelm Baurn ad Vivum gezeichnet worden
von Melchior Küshel aber in Kupffer gebracht anjezo bey Joh. Ulr. Kraushen Zufinden in
Augsburg".

Hier hatte Dinglinger frei mit dem Vorlagenmaterial geschaltet. Einen Einblick in seine
genial gestaltende Art, die nur Anregungen für Teile sucht, das Ganze aus sich gestaltet und im
übrigen den spätmanieristischen Schwulst der Formen aufs Geschickteste in die eigene Fein-
heit und Grazie übersetzt, gewährt die Serie der Vasa von Cherubino Alberti nach Polydoro
Caravaggio, die in Rom 1582 erschien.4 Die obere Partie von Dinglingers Jaspisvase (Abb. 6)
ist nach Bl. 8 der Folge (Abb. 7) geschaffen. Ebenso hat er die Eisenvase (Abb. 8) als Körper
nach Bl. 5 derselben Folge (Abb. 9), Knauf, Fuß und achteckigen Untersatz derselben nach
Bl. 8 (Abb. 7) gebildet.

Alberti hat sich bei der Stichfolge auf Caravaggio berufen. In dieser Zeit des Spätmanierismus

3 Vgl. Kris, E., Der Stil „rustique". Jahrb. der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien. Neue Folge 1926. Son-
derheft 7, S. 137 ff.

4 Vasa a Polydoro Caravagino Pictore Antiquitatisq. Imitatore Prestantiss. Inuenta Cherubinus Albertus in
aes incidit atq. edidit Romae Anno MDLXXXII. Dresden, Kupferstichkabinett A c'

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